Vorsorgevollmacht – und die umstrittene Geschäftsfähigkeit bei ihrer Erteilung

Kann die Unwirksamkeit einer Vorsorgevollmacht nicht positiv festgestellt werden, bleibt es bei der wirksamen Bevollmächtigung1.

Vorsorgevollmacht – und die umstrittene Geschäftsfähigkeit bei ihrer Erteilung

Die Frage, ob der Betroffene im Zeitpunkt der Vollmachterteilung nach § 104 Nr. 2 BGB geschäftsunfähig war, hat das Gericht nach § 26 FamFG von Amts wegen aufzuklären. Dabei ist die Geschäftsunfähigkeit nach § 104 Nr. 2 BGB kein medizinischer Befund, sondern ein Rechtsbegriff, dessen Voraussetzungen das Gericht unter kritischer Würdigung des Sachverständigengutachtens festzustellen hat.

Nach § 1896 Abs. 2 Satz 1 BGB darf ein Betreuer nur bestellt werden, soweit die Betreuerbestellung erforderlich ist. An der Erforderlichkeit fehlt es, soweit die Angelegenheiten des Betroffenen durch einen Bevollmächtigten ebenso gut wie durch einen Betreuer besorgt werden können (§ 1896 Abs. 2 Satz 2 BGB). Eine Vorsorgevollmacht steht daher der Bestellung eines Betreuers grundsätzlich entgegen. Bestehen Anhaltspunkte dafür, dass die Erteilung der Vollmacht unwirksam war, weil der Betroffene zu diesem Zeitpunkt geschäftsunfähig i.S.v. § 104 Nr. 2 BGB war, steht die erteilte Vollmacht einer Betreuerbestellung nur dann nicht entgegen, wenn die Unwirksamkeit der Vorsorgevollmacht positiv festgestellt werden kann2.

Die Frage, ob der Betroffene im Zeitpunkt der Vollmachterteilung nach § 104 Nr. 2 BGB geschäftsunfähig war, hat das Gericht nach § 26 FamFG von Amts wegen aufzuklären. Dabei entscheidet grundsätzlich der Tatrichter über Art und Umfang seiner Ermittlungen nach pflichtgemäßem Ermessen3. Insoweit bedarf es deshalb nicht zwingend einer förmlichen Beweisaufnahme durch Einholung eines Sachverständigengutachtens nach § 280 Abs. 1 FamFG. Bedient sich der Tatrichter jedoch sachverständiger Hilfe, obliegt ihm die Aufgabe, das Gutachten sorgfältig und kritisch zu überprüfen. Dies berechtigt ihn allerdings nicht, die sachverständigen Äußerungen ohne ausreichende Begründung beiseite zu schieben. Vielmehr muss das Gericht, wenn es einem Gutachten nicht folgen will, seine abweichende Überzeugung begründen. Die Begründung muss erkennen lassen, dass die Beurteilung nicht von einem Mangel an Sachkunde beeinflusst ist. Sie ist im Rechtsbeschwerdeverfahren darauf zu überprüfen, ob das Gericht sich mit der Aussage des Gutachters hinreichend auseinandergesetzt und seine dazu erforderliche Sachkunde ausreichend dargetan hat. Weil der Sachverständige gerade zu dem Zweck hinzugezogen wird, dem Gericht die ihm auf dem medizinischen Spezialgebiet fehlenden Kenntnisse zu vermitteln, muss das Gericht sorgfältig prüfen, ob es seine Zweifel an dem Gutachten ohne weitere sachkundige Hilfe zur Grundlage seiner Entscheidung machen kann, etwa weil es bereits durch die ihm vom Sachverständigen vermittelte sachliche Information dazu befähigt worden ist. Fehlt es hieran und verschließt sich das Gericht der Notwendigkeit, zur Klärung seiner Bedenken den Sachverständigen zu einer Ergänzung oder mündlichen Erläuterung seines Gutachtens zu veranlassen oder einen weiteren Sachverständigen zu beauftragen, so bewegt es sich bei seiner Überzeugungsbildung außerhalb des der tatrichterlichen Beweiswürdigung eingeräumten Bereichs4.

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Gemessen hieran hat hier das in der Vorinstanz tätige Landgericht Bremen5 ausreichend dargelegt, warum ihm Zweifel auch an einer gegenständlich beschränkten Geschäftsunfähigkeit des Betroffenen zum Zeitpunkt der Erteilung der General- und Vorsorgevollmacht geblieben sind:

Das Landgericht hat dies maßgeblich damit begründet, dass die Sachverständige bei der Beurteilung der Geschäftsfähigkeit des Betroffenen nach der Komplexität des Geschäfts differenziere, indem sie eine Geschäftsfähigkeit des Betroffenen für Geschäfte mit einem überschaubaren finanziellen Inhalt bejahe, jedoch die Geschäftsfähigkeit für das Erteilen einer Generalvollmacht in einer unübersichtlich geregelten finanziellen Situation verneine. Eine solche nach dem Schwierigkeitsgrad des vorgenommenen Geschäfts differenzierende Geschäftsfähigkeit sei rechtlich nicht anerkannt. Für die Beurteilung der Geschäftsfähigkeit seien nicht primär die Fähigkeiten des Verstands des Betroffenen ausschlaggebend, sondern die Freiheit des Willensentschlusses. Es komme darauf an, ob eine freie Entscheidung aufgrund einer Abwägung des Für und Wider der in Betracht kommenden Gesichtspunkte möglich sei oder ob von einer freien Willensbildung nicht mehr gesprochen werden könne, etwa weil der Betroffene fremden Willenseinflüssen unterliege oder die Willensbildung durch unkontrollierte Triebe und Vorstellungen ausgelöst würden. Diesen Voraussetzungen für das Vorliegen der Geschäftsunfähigkeit würde die Einschätzung der Sachverständigen nicht gerecht.

Diese Begründung lässt in ausreichendem Maß erkennen, dass die von der Auffassung der Sachverständigen abweichende Beurteilung des Landgerichts nicht von einem Mangel an Sachkunde beeinflusst ist. Denn das Landgericht nimmt – entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde – bei dieser Begründung keine eigene medizinische Sachkunde in Anspruch.

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Die Geschäftsunfähigkeit nach § 104 Nr. 2 BGB ist kein medizinischer Befund, sondern ein Rechtsbegriff, dessen Voraussetzungen das Gericht unter kritischer Würdigung des Sachverständigengutachtens festzustellen hat. Auch die hier für die Würdigung der Ausführungen der Sachverständigen maßgebliche Frage, ob eine Person allgemein für alle schwierigen Geschäfte geschäftsunfähig, für alle einfacheren Geschäfte dagegen geschäftsfähig sein kann, ist eine rechtliche. Sie geht dahin, ob es nach dem Gesetz auch eine partielle Geschäftsunfähigkeit gibt, die nicht nach bestimmten gegenständlichen Bereichen, sondern nach dem Schwierigkeitsgrad der in Frage stehenden Rechtsgeschäfte abgegrenzt wird6.

Auf diesen rechtlichen Gesichtspunkt hat sich das Landgericht bei der Würdigung der Ausführungen der Sachverständigen im Wesentlichen gestützt.

Zutreffend nimmt das Landgericht dabei an, dass es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs keine auf besonders schwierige Geschäfte beschränkte (sogenannte relative) Geschäftsunfähigkeit gibt7. Zwar kann eine sonst bestehende Geschäftsfähigkeit für einen gegenständlich beschränkten Kreis von Angelegenheiten ausgeschlossen sein (sogenannte partielle Geschäftsunfähigkeit). Das ist der Fall, wenn es der betreffenden Person infolge einer krankhaften Störung der Geistestätigkeit nicht möglich ist, in diesem Lebensbereich ihren Willen frei und unbeeinflusst von der vorliegenden Störung zu bilden oder nach einer zutreffend gewonnenen Einsicht zu handeln, während das für andere Lebensbereiche nicht zutrifft8. Deshalb kann die Wirksamkeit einer Bevollmächtigung zu bejahen sein, wenn keine Zweifel bestehen, dass der Vollmachtgeber das Wesen seiner Erklärung begriffen hat und diese in Ausübung freier Willensentschließung abgibt, sollte auch seine Geschäftsfähigkeit im allgemeinen Rechtsverkehr nicht mehr gesichert sein9.

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Diese Form der partiellen Geschäftsfähigkeit hat die Sachverständige ihrer Einschätzung der Geschäftsunfähigkeit des Betroffenen im Zeitpunkt der Vollmachterteilung jedoch nicht zugrunde gelegt. Sie hat vielmehr in ihren schriftlichen Gutachten und in ihrer Anhörung im Beschwerdeverfahren mehrfach ausgeführt, dass der Betroffene aufgrund seiner kognitiven Einschränkungen komplexe Sachverhalte nicht mehr ausreichend verstehen könne und er daher auch nicht in der Lage gewesen sei, die Folgen der Erteilung einer Generalvollmacht zu überblicken. Eine Geschäftsfähigkeit des Betroffenen für Geschäfte mit einem überschaubaren finanziellen Inhalt hat sie dagegen bejaht und den Betroffenen für eine in dem maßgeblichen Zeitraum vorgenommene Grundstücksübertragung für geschäftsfähig gehalten. Wie das Landgericht zu Recht ausführt, hat die Sachverständige damit ihrer Einschätzung ein Verständnis des Begriffs der Geschäftsunfähigkeit zugrunde gelegt, das rechtlich unzutreffend ist.

Damit ist das Landgericht bei seiner von der Sachverständigen abweichenden Auffassung der Geschäftsunfähigkeit des Betroffenen nicht – wie die Rechtsbeschwerde meint – von der medizinischen Beurteilung der Sachverständigen abgewichen, ohne die dazu notwendige eigene Sach- und Fachkunde darzulegen. Das Landgericht hat vielmehr darauf abgestellt, dass die Einschätzung der Sachverständigen den rechtlichen Anforderungen an den Begriff der Geschäftsunfähigkeit i.S.v. § 104 Nr. 2 BGB nicht entspricht und das Gericht sich aus diesem rechtlichen Grund nicht von der fehlenden Geschäftsfähigkeit des Betroffenen überzeugen konnte.

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Das Landgericht war im vorliegenden Fall auch nicht gehalten, ein weiteres Sachverständigengutachten zur Frage der Geschäftsfähigkeit des Betroffenen zum Zeitpunkt der Vollmachterteilung einzuholen.

Liegt bereits ein Sachverständigengutachten vor, ist die Einholung eines weiteren Gutachtens nur dann geboten, wenn die Sachkunde des bisherigen Gutachters zweifelhaft ist, wenn das Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, wenn es Widersprüche enthält oder wenn der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die denen des früheren Gutachters überlegen erscheinen10.

Diese Voraussetzungen hat die Rechtsbeschwerde nicht dargetan. Sie liegen auch nicht vor. Das Landgericht hat von der Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens mit der Begründung abgesehen, es erscheine ausgeschlossen, dass ein neu zu bestellender Sachverständiger in der Lage sein könnte, angesichts des eingetretenen Zeitablaufs gesicherte Aussagen zu dem Geisteszustand des Betroffenen zum maßgeblichen Zeitpunkt zu treffen. Hiergegen ist aus Rechtsgründen nichts zu erinnern, zumal das Landgericht weder aus den Vernehmungen der Notare, die den am 15.01.2018 erklärten Widerruf der Vollmacht vom 30.09.2015 und die Erteilung der General- und Vorsorgevollmacht vom 09.03.2018 beurkundet haben, noch aus der Aussage der als Zeugin vernommenen Hausärztin des Betroffenen hinreichende Anhaltspunkte entnehmen konnte, die auf eine fehlende Geschäftsfähigkeit des Betroffenen im März 2018 schließen lassen.

Anhaltspunkte dafür, dass verbleibende Zweifel an der Wirksamkeit der Bevollmächtigung zu einer Einschränkung der Akzeptanz der Vollmacht im Rechtsverkehr führen könnten und deshalb die Bestellung eines Betreuers erforderlich sein könnte11, ergeben sich aus den getroffenen Feststellungen für den Bundesgerichtshof ebenfalls nicht.

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Bundesgerichtshof, Beschluss vom 29. Juli 2020 – XII ZB 106/20

  1. im Anschluss an BGH, Beschluss vom 03.02.2016 – XII ZB 425/14 , FamRZ 2016, 701[]
  2. vgl. BGH, Beschlüsse vom 02.08.2017 – XII ZB 502/16 , FamRZ 2017, 1777 Rn. 9 mwN; und vom 03.02.2016 – XII ZB 425/14 , FamRZ 2016, 701 Rn. 11[]
  3. BGH, Beschluss vom 02.08.2017 – XII ZB 502/16 , FamRZ 2017, 1777 Rn. 9 mwN[]
  4. BGH, Beschluss vom 27.04.2016 – XII ZB 557/15 , FamRZ 2016, 1352 Rn. 11 mwN[]
  5. LG Bremen, Beschluss vom 28.02.2020 – 5 T 574/18 und 5 T 575/18[]
  6. vgl. BGH Urteile vom 18.05.2001 – V ZR 126/00 9 mwN; und vom 19.06.1970 – IV ZR 83/69 , NJW 1970, 1680, 1681 mwN[]
  7. vgl. BGH Urteil vom 19.06.1970 – IV ZR 83/69 , NJW 1970, 1680, 1681 mwN[]
  8. vgl. BGH Urteil vom 18.05.2001 – V ZR 126/00 9 mwN[]
  9. vgl. OLG München FamRZ 2009, 2033, 2034; Staudinger/Bienwald BGB [2017] § 1896 Rn 274; Nedden-Boeger BtPrax 2019, 87[]
  10. BGH Urteil vom 16.03.1999 – VI ZR 34/98 , NJW 1999, 1778, 1779 mwN[]
  11. vgl. BGH, Beschluss vom 03.02.2016 – XII ZB 425/14 , FamRZ 2016, 701 Rn. 12 mwN[]