Mit dem Problem der (nicht) rechtzeitigen Weiterleitung einer Rechtsmittelschrift durch das unzuständige Gericht hatte sich jetzt der Bundesgerichtshof zu befassen.

Im vorliegenden Fall hatte das Amtsgericht die Ehe der Verfahrensbeteiligten geschieden, den Versorgungsausgleich durchgeführt und den Antragsteller zur Zahlung eines Zugewinnausgleichs an die Antragsgegnerin verpflichtet. Hiergegen hatte der Rechtsanwalt des Antragstellers mit einem unmittelbar an das Oberlandesgericht adressierten Schriftsatz Beschwerde eingelegt
Der Bundesgerichtshof lehnte, wie zuvor bereits das Oberlandesgericht München1, eine Wiedereinsetzung ab, da der Antragsteller, der sich das Verhalten seines Verfahrensbevollmächtigten zurechnen lassen muss2, die Fristversäumung verschuldet habe. Aus der dem amtsgerichtlichen Beschluss beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung war eindeutig zu entnehmen, dass die Beschwerde innerhalb von einem Monat beim Amtsgericht einzulegen ist. Im Übrigen war der Antragsteller anwaltlich vertreten, weshalb ein möglicher Rechtsirrtum regelmäßig verschuldet ist3.
Die Behandlung des Beschwerdeschriftsatzes im Geschäftsgang des Oberlandesgerichts verstößt auch nicht gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens und lässt daher die Kausalität der schuldhaften Pflichtverletzung für die Fristversäumung nicht entfallen.
Zwar war die Beschwerdeschrift am Dienstag, dem 22. Mai 2012, noch innerhalb der Beschwerdefrist des § 63 Abs. 1 FamFG beim Oberlandesgericht eingegangen. Die unterlassene Weiterleitung der Beschwerde an das zuständige Amtsgericht verletzt die Verfahrensgrundrechte des Antragstellers aber nicht.
Wird in einer Familienstreitsache die Beschwerde anstatt bei dem gemäß § 64 Abs. 1 FamFG für ihre Entgegennahme zuständigen Amtsgericht beim Beschwerdegericht eingelegt, hat das angerufene Gericht die Beschwerdeschrift im ordentlichen Geschäftsgang an das Amtsgericht weiterzuleiten, wenn ohne weiteres die Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts erkennbar und damit regelmäßig die Bestimmung des zuständigen Gerichts möglich ist4. Dies folgt aus dem verfassungsrechtlichen Anspruch des Rechtsuchenden auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip). Geht der Schriftsatz so zeitig ein, dass die fristgerechte Weiterleitung an das Amtsgericht im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres erwartet werden kann, darf die Partei darauf vertrauen, dass der Schriftsatz noch rechtzeitig dort eingeht. Geschieht dies tatsächlich nicht, wirkt sich das Verschulden der Partei oder ihrer Verfahrensbevollmächtigten nicht mehr aus, so dass ihr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist5.
Eine weitergehende Verpflichtung, etwa eine beschleunigte Weiterleitung an das zuständige Gericht oder eine Verpflichtung, den Beteiligten oder dessen Verfahrensbevollmächtigten durch Telefonat oder Telefax von der Einreichung des Rechtsmittels bei einem unzuständigen Gericht zu unterrichten, ergibt sich von Verfassungs wegen jedoch nicht. Denn sonst würde dem Beteiligten die Verantwortung für die Ermittlung des richtigen Adressaten fristgebundener Schriftsätze vollständig abgenommen und dem nicht empfangszuständigen Gericht übertragen6.
Unterbleibt die gebotene Weiterleitung der Beschwerdeschrift an das Amtsgericht, ist weitere Voraussetzung für eine Wiedereinsetzung, dass die bei einer Weiterleitung im ordentlichen Geschäftsgang verbleibende Zeit für die Fristwahrung ausreichend ist7. Dies hat grundsätzlich der die Wiedereinsetzung begehrende Beteiligte darzulegen und glaubhaft zu machen8.
Danach hat das Oberlandesgericht zu Recht die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist versagt, weil der Antragsteller im vorliegenden Fall nicht erwarten konnte, dass die Beschwerdeschrift bei einer Weiterleitung im ordentlichen Geschäftsgang noch rechtzeitig beim Amtsgericht eingehen würde.
Die Beschwerde ging am Dienstag, dem 22. Mai 2012, bei der gemeinsamen Einlaufstelle der Justizbehörden M. ein. Mit einem Eingang des Schriftsatzes auf der Geschäftsstelle des zuständigen Bundesgerichtshofs des Oberlandesgerichts konnte daher frühestens am Mittwoch, dem 23. Mai 2012, gerechnet werden. Auch die Vorlage der Beschwerde zunächst an die Vorsitzende Richterin am Donnerstag, dem 24. Mai 2012, und an den stellvertretenden Vorsitzenden am Freitag, dem 25. Mai 2012, wegen der krankheitsbedingten Abwesenheit der Vorsitzenden Richterin, entspricht noch einer Sachbearbeitung im ordentlichen Geschäftsgang. Das gilt auch deswegen, weil die verfassungsrechtliche Fürsorgepflicht der Gerichte keine generelle Verpflichtung zur sofortigen Prüfung der Zuständigkeit erfordert9. Da dem stellvertretenden Vorsitzenden die Sache erst am Freitag zur Bearbeitung vorgelegt worden ist, wäre ein fristwahrender Eingang der Beschwerde beim zuständigen Amtsgericht aufgrund des Feiertags am 28. Mai 2012 (Pfingstmontag) am Dienstag, dem 29. Mai 2012 und damit am letzten Tag der Beschwerdefrist, nur zu erwarten gewesen, wenn noch an diesem Freitag der stellvertretende Vorsitzende des Bundesgerichtshofs die Weiterleitung der Beschwerde an das Amtsgericht verfügt hätte, diese Verfügung zur Geschäftsstelle des Bundesgerichtshofs gelangt und von dort zur Sammelpost gegeben worden wäre. Dies konnte jedoch im Rahmen des ordentlichen Geschäftsgangs nicht erwartet werden.
Weil der Antragsteller somit die Frist zur Einlegung seiner Beschwerde nicht schuldlos versäumt hat, hat das Oberlandesgericht ihm die begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 113 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 233 ZPO zu Recht versagt. Auch die Verwerfung der Beschwerde nach § 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO ist deswegen nicht zu beanstanden.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 12. Juni 2013 – XII ZB 394/12
- OLG München, Beschluss vom 26.06.2012 – 33 UF 819/12[↩]
- § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO[↩]
- BGH, Beschluss vom 23.06.2011 XII ZB 82/10 FamRZ 2010, 1425 Rn. 11[↩]
- BGH, Beschlüsse vom 27.02.2013 – XII ZB 6/13 FamRZ 2013, 779 Rn. 11; und vom 17.08.2011 – XII ZB 50/11 FamRZ 2011, 1649 Rn. 23 mwN[↩]
- BGH, Beschluss vom 23. Mai 2012 – XII ZB 375/11 FamRZ 2012, 1205 Rn. 26 mwN[↩]
- BVerfG FamRZ 2001, 827; ständige Rechtsprechung, vgl. BGH, Beschlüsse vom 27.02.2013 – XII ZB 6/13 FamRZ 2013, 779 Rn. 12; vom 15.06.2011 – XII ZB 468/10 FamRZ 2011, 1389 Rn. 12; und vom 17.08.2011 – XII ZB 50/11 FamRZ 2011, 1649 Rn. 22[↩]
- BGH, Beschluss vom 17.08.2011 XII ZB 50/11 FamRZ 2011, 1649 Rn. 27[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 23. Mai 2012 – XII ZB 375/11 FamRZ 2012, 1205 Rn. 29 mwN[↩]
- BVerfG NJW 2006, 1579[↩]