Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen einer inhaltlich unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrung setzt die Kausalität zwischen dem Belehrungsmangel und der Fristversäumung voraus; diese kann bei einem anwaltlich vertretenen Beteiligten entfallen, wenn die durch das Gericht erteilte Rechtsbehelfsbelehrung offenkundig falsch gewesen ist und deshalb – ausgehend von dem bei einem Rechtsanwalt vorauszusetzenden Grundkenntnissen des Verfahrensrechtes und des Rechtsmittelsystems – nicht einmal den Anschein der Richtigkeit zu erwecken vermochte1.

Im rechtlichen Ausgangspunkt ist es zutreffend, dass die durch das Gericht zu erteilende Rechtsbehelfsbelehrung insbesondere über einen bestehenden Anwaltszwang informieren muss2 und nach § 17 Abs. 2 FamFG ein Fehlen des Verschuldens vermutet wird, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder – wie hier – fehlerhaft ist. Zwar ist eine unmittelbare Anwendung von § 17 FamFG in Ehesachen und Familienstreitsachen wegen § 113 Abs. 1 Satz 1 FamFG ausdrücklich ausgeschlossen; die in diesen Fällen über § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG bzw. klarstellend über § 117 Abs. 5 FamFG an die Stelle des § 17 FamFG tretende Vorschrift des § 233 ZPO kennt eine dem § 17 Abs. 2 FamFG entsprechende Regelung nicht. Da indessen die Verpflichtung des Gerichts zur Erteilung einer Rechtsbehelfsbelehrung nach § 39 FamFG unterschiedslos für alle nach dem FamFG geführten Verfahren besteht, wird die gesetzliche Vermutung des § 17 Abs. 2 FamFG in systemkonformer Analogie auch in Ehesachen und Familienstreitsachen zu gelten haben3. Für das Vorliegen einer unbewussten Regelungslücke spricht im Übrigen auch, dass nach Art. 1 Nr. 4 des vorgelegten Regierungsentwurfes für das Gesetz zur Einführung einer Rechtsbehelfsbelehrung im Zivilprozess4 beabsichtigt ist, § 233 ZPO um eine dem § 17 Abs. 2 FamFG entsprechende wortgleiche Regelung zu ergänzen.
Allerdings war im hier entschiedenen Verfahren der Antragsgegner in erster Instanz anwaltlich vertreten. Es gehört zu den Pflichten eines mit der Vertretung im erstinstanzlichen Verfahren beauftragten Rechtsanwaltes, seinen Mandanten über den Inhalt einer im ersten Rechtszug ergangenen Entscheidung zu informieren und zutreffend über die formellen Voraussetzungen des gegebenen Rechtsmittels zu belehren; erst danach endet sein Auftrag5. Die Einführung der obligatorischen Rechtsbehelfsbelehrung in Verfahren nach dem FamFG hat daran nichts Grundsätzliches geändert, denn es gehört zu den allgemeinen Pflichten des Rechtsanwaltes, Fehlleistungen des Gerichts zu erkennen und ihnen entgegenzuwirken6. Auch wenn das Gericht des ersten Rechtszuges entgegen seiner gesetzlichen Verpflichtung überhaupt keine oder nur eine unvollständige Rechtsbehelfsbelehrung erteilt, wird es bei einem anwaltlich vertretenen Beteiligten deshalb in der Regel am ursächlichen Zusammenhang zwischen Belehrungsmangel und Fristversäumung fehlen, weil ein anwaltlich vertretener Beteiligter für die zutreffende Information über seine Rechtsmittelmöglichkeiten keiner Unterstützung durch eine Rechtsbehelfsbelehrung bedarf7.
Die Fälle einer gesetzlich vorgeschriebenen, aber fehlenden bzw. unvollständigen Rechtsbehelfsbelehrung können allerdings nicht ohne weiteres mit der – hier vorliegenden – Konstellation einer inhaltlich unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrung gleichgesetzt werden. Auch ein Rechtsanwalt darf grundsätzlich auf die Richtigkeit einer durch das Gericht erteilten Rechtsbehelfsbelehrung vertrauen8. Gleichwohl muss von einem Rechtsanwalt erwartet werden, dass er die Grundzüge des Verfahrensrechts und das Rechtsmittelsystem in der jeweiligen Verfahrensart kennt9. Das Vertrauen in die Richtigkeit einer Rechtsbehelfsbelehrung kann er deshalb nicht uneingeschränkt, sondern nur in solchen Fällen in Anspruch nehmen, in denen die inhaltlich fehlerhafte Rechtsbehelfsbelehrung zu einem unvermeidbaren, zumindest aber zu einem nachvollziehbaren und daher verständlichen Rechtsirrtum des Rechtsanwaltes geführt hat10. Auch in den Fällen einer inhaltlich unrichtigen Rechtsmittelbelehrung kann es daher an der Ursächlichkeit zwischen Belehrungsmangel und Fristversäumung fehlen, wenn die durch das Gericht erteilte Rechtsbehelfsbelehrung offenkundig falsch gewesen ist und deshalb – ausgehend von dem bei einem Rechtsanwalt vorauszusetzenden Kenntnisstand – nicht einmal den Anschein der Richtigkeit zu erwecken vermochte11.
Gemessen an diesen Maßstäben erscheint die vom Amtsgericht erteilte Rechtsbehelfsbelehrung kaum geeignet, bei einem Rechtsanwalt einen nachvollziehbaren oder gar unvermeidbaren Rechtsirrtum über die Form der Beschwerdeeinlegung hervorzurufen. Das Wissen um das Bestehen und die Reichweite des Anwaltszwanges in selbständigen Familienstreitsachen gehört zu den Grundkenntnissen des familiengerichtlichen Verfahrens, mit denen ein auf dem Gebiet des Familienrechts tätiger Rechtsanwalt ohne weiteres vertraut sein muss. Dem Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners musste sich daher auch ohne vertiefte Sachprüfung die evidente Unrichtigkeit (arg. §§ 114 Abs. 1, 64 Abs. 2 Satz 1 und 2 FamG) der vom Amtsgericht erteilten Rechtsbehelfsbelehrung aufdrängen, soweit dieser zu entnehmen war, dass die Beschwerde in einer selbständigen Familienstreitsache auch privatschriftlich oder zur Niederschrift der Geschäftsstelle eingelegt werden könnte.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 13. Juni 2012 – XII ZB 592/11
- Fortführung von BGH, Beschluss vom 23.06.2010 – XII ZB 82/10, FamRZ 2010, 1425[↩]
- BGH, Beschluss vom 23.06.2010 XII ZB 82/10, FamRZ 2010, 1425 Rn. 14[↩]
- Keidel/MeyerHolz FamFG 17. Aufl. § 39 Rn. 15[↩]
- BR-Drucks. 308/12[↩]
- BGH Beschlüsse vom 27.03.2003 IX ZR 399/99, NJW 2003, 2022, 2023 und vom 29.06.2006 IX ZR 176/04, NJW 2006, 2779; MünchKomm-BGB/Heermann 5. Aufl. § 675 Rn. 32[↩]
- BGH Urteil vom 06.07.1989 – IX ZR 75/88, NJW-RR 1989, 1109[↩]
- BGH, Beschluss vom 23.06.2010 – XII ZB 82/10, FamRZ 2010, 1425 Rn. 11; BGH Beschluss vom 23.11.2011 – IV ZB 15/11, FamRZ 2012, 367 Rn. 11[↩]
- vgl. BGH Beschlüsse vom 23.09.1993 – LwZR 10/92, NJW 1993, 3206, vom 16.10.2003 – IX ZB 36/03, NJW-RR 2004, 408 und vom 12.01.2012 – V ZB 198/11 – MDR 2012, 362 Rn. 10[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 03.07.1985 – IVb ZB 40/85 – VersR 1985, 1183, 1184; BGH Beschluss vom 11.06.1996 – VI ZB 10/96 – VersR 1996, 1522[↩]
- BGH Beschluss vom 12.01.2012 – V ZB 198/11 – MDR 2012, 362 Rn. 10; OLG Rostock FamRZ 2011, 986; OLG Hamm FamRZ 2011, 233; vgl. auch BR-Drucks. 308/12, S. 21[↩]
- BGH Beschluss vom 11.06.1996 – VI ZB 10/96 – VersR 1996, 1522[↩]