Die zum 01.09.2009 geänderte Neufassung des § 1384 BGB, nach der im Falle der Ehescheidung für die Höhe der Ausgleichsforderung an die Stelle der Beendigung des Güterstands der Zeitpunkt der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags tritt, ist nicht anwendbar, wenn die Scheidung vor dem Stichtag 01.09.2009 rechtskräftig geworden ist.

Tritt ein früheres Gesetz auf Grund eines späteren Gesetzes außer Kraft, so besagt das noch nichts darüber, ob das neue Recht auch für die unter dem früheren Recht begründeten Rechtsverhältnisse gilt. Eine solche Wirkungskraft auf die früher entstandenen Rechtsverhältnisse – vom Anfang ihrer Entstehung (echte Rückwirkung) oder vom Inkrafttreten des neuen Rechts an (unechte Rückwirkung und sofortiges Einwirken) – ist grundsätzlich nicht anzunehmen. Sie muss ausdrücklich bestimmt werden oder doch eindeutig dem neuen Gesetz entnommen werden können. Fehlt es daran, so kommen die allgemeinen Grundsätze über die zeitliche Geltung der Gesetze zur Anwendung. Hierzu gehört der in Art. 170 EGBGB ausgesprochene, über das Anwendungsgebiet des Einführungsgesetzes hinaus allgemein anerkannte Grundsatz, dass Schuldverhältnisse im Bezug auf Inhalt und Wirkung dem Recht unterstehen, das zur Zeit der Verwirklichung ihres Entstehungstatbestands galt [1]. Vorliegend enthält das Gesetz für die hier streitgegenständliche Änderung des § 1384 BGB keine ausdrückliche Regelung. Nach Art. 229 § 20 Abs. 2 EGBGB soll aber für Verfahren über den Ausgleich des Zugewinns, die vor dem 01.09.2009 anhängig werden, für den Zugewinnausgleich § 1374 BGB in der bis zu diesem Tage geltenden Fassung anzuwenden sein. Der Gesetzgeber ist dabei davon ausgegangen, dass damit die übrigen geänderten Bestimmungen ohne Übergangsregelung gelten [2]. Es wird daher allgemein angenommen, dass sich aus Art. 229 § 20 Abs. 2 EGBGB ergibt, dass alle anderen Vorschriften unmittelbar ab dem 01.09.2009 gelten sollen.
In Literatur und Rechtsprechung streitig ist allerdings die Frage, ob die Neuregelung auch für in der Vergangenheit bereits vollständig abgeschlossene Sachverhalte gelten soll, also auch dann, wenn – wie vorliegend – die Scheidung vor dem Stichtag 01.09.2009 rechtskräftig geworden ist und damit die Ausgleichsforderung in einer bestimmten Höhe entstanden oder eben auch nicht entstanden ist. Teilweise wird eine solche Anwendung des neuen Rechts auch auf abgeschlossene Sachverhalte befürwortet [3]. Überwiegend wird eine solche Rückwirkung auf abgeschlossene Sachverhalte allerdings abgelehnt [4].
Für einen solchen Willen des Gesetzgebers, in bereits abgeschlossene Sachverhalte einzugreifen, gibt es hier keinerlei Anhaltspunkte. Dies könnte – etwa bei einem aufgrund einer vertraglichen Aufhebung des gesetzlichen Güterstandes entstandenen Zugewinnausgleichsanspruch bei weiterhin bestehender Ehe (vgl. § 207 BGB) – viele Jahrzehnte zurückwirken. Wenn der Gesetzgeber die Rechtsfolge eines der Vergangenheit zugehörigen Verhaltens nachträglich belastend ändert, bedarf dies nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts einer besonderen Rechtfertigung vor dem Rechtstaatsprinzip und den Grundrechten des Grundgesetzes, unter deren Schutz Sachverhalte „ins Werk gesetzt“ worden sind. Die Grundrechte wie auch das Rechtstaatsprinzip garantieren im Zusammenwirken die Verlässlichkeit der Rechtsordnung als wesentliche Voraussetzung für die Selbstbestimmung über den eigenen Lebensentwurf und damit als eine Grundbedingung freiheitlicher Verfassungen. Es würde den Einzelnen in seiner Freiheit erheblich gefährden, dürfte die öffentliche Gewalt an sein Verhalten oder an ihn betreffende Umstände ohne Weiteres im Nachhinein belastendere Rechtsfolgen knüpfen als sie zum Zeitpunkt seines rechtserheblichen Verhaltens galten. Eine Rechtsnorm entfaltet „echte“ Rückwirkung, wenn ihre Rechtsfolge mit belastender Wirkung schon vor dem Zeitpunkt ihrer Verkündung für bereits abgeschlossene Tatbestände gelten soll („Rückwirkung von Rechtsfolgen“). Das ist grundsätzlich verfassungsrechtlich unzulässig. Bis zum Zeitpunkt der Verkündung muss der von einem Gesetz Betroffene grundsätzlich darauf vertrauen können, dass seine auf geltendes Recht gegründete Rechtsposition nicht durch eine zeitlich rückwirkende Änderung der gesetzlichen Rechtsfolgenanordnung nachteilig geändert wird. Soweit belastende Rechtsfolgen einer Norm erst nach ihrer Verkündung eintreten, tatbestandlich aber von einem bereits ins Werk gesetzten Sachverhalt ausgelöst werden („tatbestandliche Rückanknüpfung“), liegt eine „unechte“ Rückwirkung vor. Eine solche unechte Rückwirkung ist nicht grundsätzlich unzulässig [5]. Sie liegt etwa im Sachbereich des Steuerrechtes dann vor, wenn der Gesetzgeber eine bereits entstandene Steuerschuld nachträglich abändert [6].
Nach diesen Grundsätzen wäre in den hier streitigen Fällen eine echte Rückwirkung gegeben, da mit der Rechtskraft der Scheidung der Zugewinnausgleichanspruch endgültig entstanden ist und dieser in einer bestimmten Höhe entstandene Anspruch nachträglich durch ein später in Kraft getretenes Gesetz wieder abgeändert werden würde.
Damit hätte diese vor dem oben dargestellten rechtlichen Hintergrund einer ausdrücklichen Anordnung des Gesetzgebers bedurft, an der es jedoch fehlt. Daher kann offen bleiben, ob eine solche echte Rückwirkung vorliegend zulässig wäre. Dies wird zwar teilweise so vertreten, weil hier kein schutzwürdiges Vertrauen vorliegen könne [7]. Diese Ansicht übersieht aber, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die hier streitgegenständliche Vorschrift mit der Verhinderung von Manipulationen zum Nachteil des anderen Ehegatten nichts zu tun hat. Damit sollte vielmehr zu Gunsten der Gläubiger des ausgleichspflichtigen Ehegatten gewährleistet werden, dass eine dessen Verbindlichkeiten deckende Vermögensmasse bei ihm verbleibt und nicht durch Teilung mit dem anderen Ehegatten vermindert wird [8].
Oberlandesgericht Karlsruhe, Urteil vom 19. Juli 2013 – 5 UF 288/11
- BGHZ 44, 192, 194 m.w.N.[↩]
- BT-Drs. 16/10798, S. 25[↩]
- Büte, FPR 2010, 87; Schwamb, FamRB 2009, 394; Schwab, FamRZ 2009, 1961; Klein, Reform der Zugewinngemeinschaft 2009, § 3 Rn. 32 f.; OLG Hamm, FamRZ 2011, 566, 567 beschränkt allerdings auf § 1379 BGB; BGH, FamRZ 2011, 25, 27 allerdings ohne nähere Begründung[↩]
- Palandt/Brudermüller, BGB, 72. Aufl., Art. 229 § 20 EGBGB, Rn. 3; Hauß/Gutdeutsch, FamRB 2009, 325; Braeuer, NJW 2010, 351, 352; Kogel, FamRB 2010, 87, 88; Koch, FamRZ 2011, 1261, 1262; MünchKomm/Koch, BGB, 5. Aufl., Art. 229 § 20 EGBGB, Rn. 1; KG Berlin, FamRZ 2012, 1642 f.; Oberlandesgericht, Urteil vom 06.11.2009 – 5 UF 237/08 – Umdruck S. 17 f.[↩]
- BVerfG, Beschluss vom 07.07.2010 – 2 BvL 14/02 – Juris, Rn. 55 – 57[↩]
- BVerfG, a.a.O., Rn. 59[↩]
- vgl. in diesem Sinne etwa Büte, FPR 2010, 87 f.; vgl. auch BT-Drs. 16/10798, S. 25, ohne allerdings auf das Problem der echten Rückwirkung einzugehen[↩]
- vgl. BGH FamRZ 1988, 925 m.w.N.; vgl. auch BR-Drs. 635/08, S.19[↩]