Zwangsmedikation und Fixierung in der Psychiatrie – und keine wirksame gerichtliche Kontrolle

Es begegnet verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn sich nicht nachvollziehen lässt, ob -über den reinen Unterbringungsbeschluss hinaus- bisher überhaupt bereits ein Fachgericht über die Rechtmäßigkeit einer durchgeführten Fixierung und Zwangsmedikation entschieden hat.

Zwangsmedikation und Fixierung in der Psychiatrie – und keine wirksame gerichtliche Kontrolle

19 Abs. 4 Satz 1 GG verleiht dem Einzelnen, der behauptet, durch einen Akt öffentlicher Gewalt in eigenen Rechten verletzt zu sein, einen substantiellen Anspruch auf eine wirksame gerichtliche Kontrolle1. Daraus folgt grundsätzlich die Pflicht der Gerichte, die angefochtenen Maßnahmen in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht vollständig nachzuprüfen2.

Dabei haben die Gerichte das Verfahrensrecht so anzuwenden, dass den erkennbaren Interessen des rechtsschutzsuchenden Bürgers bestmöglich Rechnung getragen wird. Legt ein Gericht den Verfahrensgegenstand in einer Weise aus, die das vom Antragsteller erkennbar verfolgte Rechtsschutzziel ganz oder in wesentlichen Teilen außer Betracht lässt, verletzt dies den Rechtsanspruch des Betroffenen nach Art.19 Abs. 4 GG3.

So ist in dem hier vom Bundesverfassungsgericht beurteilten Fall zwar nicht zu beanstanden, dass das Landgericht den Feststellungsantrag der Beschwerdeführerin hinsichtlich der Fixierung und Zwangsbehandlung als unzulässig verworfen hat. Zum einen hat die Beschwerdeführerin den Feststellungsantrag im Rahmen ihrer sofortigen Beschwerde gegen den Unterbringungsbeschluss des Amtsgerichts vom 23.06.2022 und dann erneut im Rahmen der Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts vom 13.09.2022 gestellt, sodass es nicht willkürlich, sondern geboten erscheint, dass das Landgericht über diesen Antrag im Zuge der Behandlung der Beschwerden entschieden hat. Zum anderen durfte das Landgericht gar nicht in der Sache entscheiden, weil für den Feststellungsantrag nach § 327 Abs. 1 FamFG ausschließlich das Amtsgericht zuständig ist4. Letztlich entsteht der Beschwerdeführerin durch die Entscheidung des Landgerichts auch kein Nachteil im Hinblick auf ihre Rechtsschutzmöglichkeiten, denn diese Entscheidung entfaltet keine Sperrwirkung im Hinblick auf den wohl noch anhängigen Feststellungsantrag beim Amtsgericht, weil das Landgericht nicht in der Sache entschieden hat.

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Allerdings könnte der Vortrag der Beschwerdeführerin, das Amtsgericht habe ihren Feststellungsantrag – seine Richtigkeit unterstellt – ignoriert, Anlass zu verfassungsrechtlichen Bedenken geben. Da die Beschwerdeführerin entscheidende Dokumente nicht vorgelegt hat, kann jedoch nicht geprüft werden, ob das Amtsgericht den Antrag entsprechend den Anforderungen des Art.19 Abs. 4 GG behandelt hat. Das Amtsgericht hat jedenfalls – soweit ersichtlich – bisher nicht im Beschlusswege darüber entschieden. Mangels Kenntnis insbesondere des Inhalts des amtsgerichtlichen Schreibens an die Prozessbevollmächtigte der Beschwerdeführerin vom 13.09.2022, in dem das Amtsgericht wohl Ausführungen zu dem (noch) nicht entschiedenen Feststellungsantrag gemacht hat, lässt sich die Verfassungsmäßigkeit des amtsgerichtlichen Vorgehens nicht beurteilen.

Allerdings versagte sich auch das Bundesverfassungsgericht im vorliegenden Fall eine Entscheidung zur Sache, da die Verfassungsbeschwerde mangels ausreichender Begründung unzureichend sei.

Aufgrund des lückenhaften Vortrags der Beschwerdeführerin hat das Bundesverfassungsgericht auch offen bleiben, ob das Amtsgericht Rechte der Beschwerdeführerin verletzt hat, indem es die Bedeutung und Tragweite der Grundrechte aus Art. 2 Abs. 2 und Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG nicht ausreichend beachtet hat. Denn es kann, wie bereits ausgeführt, nicht nachvollzogen werden, wie das Amtsgericht mit dem Antrag der Beschwerdeführerin auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Fixierung und Zwangsmedikation umgegangen ist.

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 2. Oktober 2023 – 2 BvR 69/23

  1. vgl. BVerfGE 101, 106 <122 f.> 103, 142 <156> 113, 273 <310> 129, 1 <20>[]
  2. vgl. BVerfGE 84, 34 <49>[]
  3. vgl. BVerfGK 10, 509 <513> BVerfG, Beschluss vom 19.01.2017 – 2 BvR 476/16, Rn. 12[]
  4. vgl. Schmidt-Recla, in: Münchener Kommentar zum FamFG, 3. Aufl.2019, § 327 Rn. 5, 8 m.w.N.; Günter, in: Hahne/Schlögel/Schlünder, BeckOK FamFG, § 327 Rn. 10 <Aug.2023> Marschner, in: Jürgens, Betreuungsrecht, 7. Aufl.2023, § 327 FamFG Rn. 2 f.; Giers, in: Sternal, FamFG, 21. Aufl.2023, § 327 Rn. 1, 6[]
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