Keine Verzinsung bei Schiedsgutachtenvertrag

Ein Schiedsgutachtenvertrag im engeren Sinne enthält in der Regel die stillschweigende Vereinbarung, dass die Begleichung der betroffenen Forderung für die Dauer der Erstattung des Gutachtens weder gerichtlich durchgesetzt noch außergerichtlich verlangt werden kann, mit der Folge, dass die Forderung in diesem Zeitraum noch nicht fällig ist. Diese Wirkung besteht fort, wenn die zur Bemessung der geschuldeten (Geld-)Leistung erforderliche Tatsachenfeststellung analog § 319 Abs. 1 Satz 2 BGB auf das Gericht übergeht, so dass die betreffende Forderung erst mit Rechtskraft des Gerichtsurteils fällig wird. Demzufolge können Fälligkeits-, Verzugs- oder Prozesszinsen erst ab diesem Zeitpunkt zugesprochen werden.

Keine Verzinsung bei Schiedsgutachtenvertrag

Die Parteien haben in dem hier vom Bundeesgerichtshof entschiedenen Fall einen Schiedsgutachtenvertrag geschlossen. Dabei sollte der Schiedsgutachter nicht unmittelbar die „Bestimmung der Leistung“ (hier: der Erfolgsvergütung bzw. Ausgleichszahlung) als zur Rechtsgestaltung befugter Dritter im Sinne des § 317 BGB vornehmen. Vielmehr war die Erfolgsvergütung von den Parteien bereits in der Weise bestimmt worden, dass sie auf Grundlage nicht einer tatsächlichen Veräußerung, sondern des „Unternehmenswerts (Verkehrswerts) der Beteiligungen“ zum Kündigungsstichtag zu zahlen war. Den Parteien war allerdings dieser „Unternehmenswert (Verkehrswert)“ unbekannt, den der Schiedsgutachter entsprechend den vertraglichen Vereinbarungen mitzuteilen hatte. Es lag somit, wovon beide Vorinstanzen zutreffend ausgegangen sind, ein Schiedsgutachtenvertrag im engeren Sinne vor, bei dem der Schiedsgutachter für die Klarstellung des Vertragsinhalts maßgebliche Tatsachen zu ermitteln und für die Parteien verbindlich festzustellen hatte1. Auf eine Schiedsgutachtenvereinbarung dieses Inhalts, die nur mittelbar der Bestimmung der Leistung dient, sind mangels einer anderen Vereinbarung der Parteien die §§ 317 bis 319 BGB entsprechend anzuwenden2.

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Da er sonst seinen Zweck weitgehend verfehlen würde, enthält ein Schiedsgutachtenvertrag im engeren Sinne in der Regel die stillschweigende Vereinbarung, dass der Gläubiger für die Dauer der Erstattung des Gutachtens aus der Forderung gegen den Schuldner nicht vorgehen werde3. Es handelt sich dabei um eine Abrede, wonach die Feststellung der betroffenen Tatsachen einem Dritten überlassen werden soll, mit der Folge, dass diese Tatsachen einer gerichtlichen Beweisaufnahme (zunächst) unzugänglich sind und die Begleichung der Forderung (zunächst) weder gerichtlich durchgesetzt noch außergerichtlich verlangt werden kann. Eine Klage ist insgesamt als verfrüht („als zur Zeit unbegründet“) abzuweisen, wenn die beweispflichtige Partei die rechtserhebliche Tatsache, deren Feststellung dem Schiedsgutachter übertragen ist, nicht durch Vorlage des Schiedsgutachtens nachweist4. Daraus wird deutlich, dass die Schiedsgutachtenvereinbarung im engeren Sinne (auch) eine Regelung der Leistungszeit im Sinne von § 271 BGB enthält, und zwar dahin gehend, dass die Fälligkeit der Forderung bis zur Vorlage des Gutachtens aufgeschoben wird. Soweit im Urteil des Bundesgerichtshofs vom 26. Oktober 19895 von einem pactum de non petendo die Rede ist, ist dies ersichtlich nicht dahin zu verstehen, dass eine Schiedsgutachtenabrede auf die Fälligkeit der Forderung keine Auswirkungen hätte6.

Im vorliegenden Fall stellte das das außergerichtliche Gutachten des Sachverständigen Dr. R. stelle kein (verbindliches) Schiedsgutachten dar, weil es einseitig unter Verwertung nur von der Klägerin zur Verfügung gestellter Informationen erstellt worden ist und der Gutachter zwar mit der Klägerin, nicht aber mit der Beklagten in Kontakt getreten ist, wobei die Beklagte auch von der Klägerin nicht über den Fortgang der Begutachtung und die zur Verfügung gestellten Informationen unterrichtet worden ist7.

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Damit ist die Leistungsbestimmung (Tatsachenfeststellung) analog § 319 Abs. 1 Satz 2 BGB durch das Gericht vorzunehmen.

Dieser Vorschrift liegt der Gedanke zugrunde, dass die Leistung immer dann durch das Gericht bestimmt werden soll, wenn sich die von den Vertragsparteien in erster Linie gewollte Bestimmung durch einen Dritten als nicht durchführbar erweist8. Eine Undurchführbarkeit ist schon dann gegeben, wenn die hierzu verpflichtete Partei den Schiedsgutachter nicht innerhalb angemessener Zeit benennt, ohne dass es dabei auf ihr Verschulden ankommt9. Dies gilt entsprechend für den vorliegenden Fall, in dem nicht eine Partei den Gutachter zu benennen hatte, sondern die Parteien über seine Person eine Einigung herbeizuführen hatten10.

Mit dem Übergang der Leistungsbestimmung (Tatsachenfeststellung) auf das Gericht gemäß § 319 Abs. 1 Satz 2 BGB (analog) tritt das Gericht gleichsam an die Stelle des Schiedsgutachters; in dieser Weise wirkt die Schiedsgutachtenabrede weiter fort. Dies hat zugleich die Folge, dass die Fälligkeit der betroffenen Forderung erst mit Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung beginnt.

Für Schiedsgutachtenvereinbarungen im weiteren Sinne, auf welche die §§ 317 bis 319 BGB unmittelbar anzuwenden sind und bei denen der Schiedsgutachter den Vertragsinhalt nach billigem Ermessen rechtsgestaltend zu bestimmen hat, ist es allgemein anerkannt, dass die Forderung im Falle des Übergangs der Leistungsbestimmung auf das Gericht (§ 319 Abs.1 Satz 2 BGB) erst mit Rechtskraft des Gerichtsurteils fällig wird, so dass Zinsen – vorbehaltlich anderer vertraglicher Vereinbarungen – vorher nicht verlangt werden können11. Hier wird die streitige Forderung mit dem (gestaltenden) Gerichtsurteil erst bestimmt; sie steht bis zu dessen Rechtskraft noch nicht fest und kann somit auch keinen Zinsanspruch auslösen.

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Für Schiedsgutachtenvereinbarungen im engeren Sinne, auf welche die §§ 317 bis 319 BGB, wie ausgeführt, entsprechende Anwendung finden, gilt im Ergebnis nichts anderes.

Auch beim Schiedsgutachten im engeren Sinne haben sich die Parteien darauf verständigt, dass die Leistungsbestimmung – hier zwar nur mittelbar, aber gleichwohl maßgeblich – durch einen Dritten geschehen und die betroffene Forderung deswegen in aller Regel zunächst, bis zur Verbindlichkeit dieser Bestimmung, noch nicht fällig werden soll. Dies hat seinen inneren Grund darin, dass die vom Schiedsgutachter (bzw. an seiner Stelle vom Gericht) festzustellende Tatsache typischerweise nur aufgrund besonderer fachlicher Kenntnisse unter Einsatz eines größeren Aufwands ermittelt werden kann und dass insoweit, zumal wenn es um Bewertungsfragen geht, Beurteilungs- und Wertungsspielräume bestehen, die eine Mehrzahl vertretbarer Ergebnisse zulassen. Bei einer solchen Lage ist es den Vertragsparteien – Gläubiger und Schuldner – nicht oder kaum möglich, den Anspruchsinhalt selbst zuverlässig festzustellen. Dies hat zur Folge, dass die Vor- oder Annahme von Erfüllungshandlungen Schwierigkeiten bereitet und sogar unzumutbar sein kann. Ebenso wie bei Schiedsgutachten im weiteren Sinne steht auch bei Schiedsgutachten im engeren Sinne die streitige Forderung bis zur Rechtskraft des Urteils des nach § 319 Abs. 1 Satz 2 BGB (analog) zur Bestimmung berufenen Gerichts „noch nicht fest“.

Die Gleichbehandlung zwischen Schiedsgutachten im weiteren und im engeren Sinne rechtfertigt sich zudem daraus, dass deren Abgrenzung zueinander im Einzelfall erhebliche Schwierigkeiten bereiten und von bloßen Formulierungsvarianten abhängig sein kann. Soll etwa die Änderung eines Erbbauzinses an die periodisch festzustellende Veränderung des Grundstücksverkehrswerts gekoppelt und dieser durch einen Sachverständigen als Schiedsgutachter ermittelt werden, so läge eine Bestimmung „Der Sachverständige hat die prozentuale Änderung des Erbbauzinses entsprechend der prozentualen Veränderung des Grundstücksverkehrswerts festzusetzen.“ die Einordnung als Schiedsgutachtenvereinbarung im weiteren Sinne nahe, eine Formulierung „Der Erbbauzins ist entsprechend der Veränderung des Grundstücksverkehrswerts prozentual zu erhöhen. Der Grundstücksverkehrswert wird vom Sachverständigen ermittelt.“ hingegen die Einordnung als Schiedsgutachtenvereinbarung im engeren Sinne, ohne dass sich inhaltlich wesentliche Unterschiede ergäben12.

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Das Hinausschieben der Fälligkeit bis zur Rechtskraft des Urteils führt auch nicht zu einer unbilligen Benachteiligung des Gläubigers. Dieser hat zum einen die Möglichkeit, mit dem Schuldner vertragliche Regelungen über eine frühere (rückwirkende) Verzinsung der streitigen Forderung zu treffen. Zum anderen kann er in den Fällen, in denen der Schuldner die verbindliche Feststellung der Forderung (bzw. der für sie maßgeblichen Tatsache) pflichtwidrig verzögert, gemäß § 280 Abs. 1 BGB den Ersatz etwaiger Zinsschäden (entgangene Anlagezinsen oder eigene Finanzierungszinsen) verlangen.

Mangels Fälligkeit der Klageforderung kommen bis zum Eintritt der Rechtskraft des Gerichtsurteils auch weder Ansprüche auf Verzugszinsen (§§ 288, 286 Abs. 1 Satz 1 BGB) noch auf Prozesszinsen (§ 291 BGB) in Betracht.

Ein „Zinsanspruch“ unter dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes wegen Pflichtverletzung der Beklagten (§ 280 Abs. 1 BGB) ist nicht schlüssig dargelegt. Selbst wenn die Beklagte durch ein schuldhaft pflichtwidriges Verhalten die (einvernehmliche) Bestellung eines Schiedsgutachters oder die (zeitnahe) Erstellung des Gutachtens verhindert und deshalb die Klägerin so zu stellen hätte, wie diese bei vertragsgemäßer Durchführung der Schiedsgutachtenvereinbarung gestanden hätte, und die dann feststehende Forderung ab einem früheren Zeitpunkt zu verzinsen gewesen wäre, folgt daraus noch kein Zinsschaden der Klägerin. Aus dem Vorbringen der Klägerin ergibt sich nämlich nicht, dass die Beklagte die streitige Vergütungsforderung solchenfalls nicht unverzüglich beglichen hätte, wobei eine solche Zahlung angesichts der im Laufe der Auseinandersetzungen erfolgten Abschlagszahlungen der Beklagten und der Zahlung des vom Berufungsgericht ausgeurteilten Betrages durchaus nahe liegt. Einen eigenen Zinsschaden, den sie aus der späteren Zahlung der Erfolgsvergütung erlitten hätte, weil sie Kredite habe in Anspruch nehmen müssen, Kredite nicht früher habe zurückführen können oder Anlagezinsen nicht habe erlangen können13, hat die Klägerin nicht dargetan.

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Bundesgerichtshof, Urteil vom 4. Juli 2013 – III ZR 52/12

  1. vgl. etwa BGH, Urteile vom 09.06.1983 – IX ZR 41/82, NJW 1983, 2244, 2245 und vom 26.10.1989 – VII ZR 75/89, NJW 1990, 1231, 1232 mwN; s. zur Abgrenzung des Schiedsgutachtens im engeren und weiteren Sinne BGH, Urteil vom 26.04.1991 – V ZR 61/90, NJW 1991, 2761; MünchKomm-BGB/Würdinger, 6. Aufl., § 317 Rn. 2932 mwN; Palandt/Grüneberg, BGB, 72. Aufl., § 317 Rn. 3, 56[]
  2. s. etwa BGH, Urteil vom 26.10.1989 aaO; OLG Düsseldorf, NJW-RR 2000, 279, 281 mwN; MünchKomm-BGB/Würdinger aaO § 317 Rn. 38; Palandt/Grüneberg aaO § 317 Rn. 3 mwN[]
  3. BGH, Urteil vom 26.10.1989 aaO[]
  4. s. BGH, Urteile vom 08.06.1988 – VIII ZR 105/87, NJW-RR 1988, 1405 und vom 07.06.2011 – II ZR 186/08, NJW-RR 2011, 1059, 1060 Rn. 13 aaO[]
  5. BGH, Urteil vom 26.10.1989, aaO[]
  6. siehe allgemein zum pactum de non petendo MünchKomm-BGB/Krüger aaO § 271 Rn. 18 sowie Palandt/Grüneberg aaO § 271 Rn. 13[]
  7. zur fehlenden Verbindlichkeit eines „einseitigen“ Gutachtens als Schiedsgutachten s. etwa BGH, Urteil vom 06.06.1994 – II ZR 100/92, NJW-RR 1994, 1314, 1315[]
  8. BGH, Urteile vom 06.06.1994, aaO; und vom 07.04.2000 – V ZR 36/99, NJW 2000, 2986, 2987[]
  9. s. BGH, Urteile vom 26.10.1989, aaO; und vom 07.06.2011 aaO S. 1060 f Rn. 15 mwN; vgl. auch Urteil vom 07.04.2000, aaO; sowie BGH, Urteil vom 06.11.1997 – III ZR 177/96, NJW 1998, 1388, 1390[]
  10. vgl. BGH, Urteil vom 12.01.2001 – V ZR 372/99, NJW 2001, 1928, 1929[]
  11. vgl. BGH, Urteile vom 10.03.1993 – VIII ZR 238/92, BGHZ 122, 32, 45 f; vom 24.11.1995 – V ZR 174/94, NJW 1996, 1054, 1056; vom 30.05.2003 – V ZR 216/02, NJW-RR 2003, 1355, 1357 f; vom 05.07.2005 – X ZR 60/04, NJW 2005, 2919, 2920 und vom 04.04.2006 – X ZR 122/05, BGHZ 167, 139, 149 f Rn. 22 f; vgl. auch Urteil vom 16.04.1999 – V ZR 37/98, NZM 1999, 677, 678[]
  12. vgl. dazu die Fallgestaltungen in BGH, Urteile vom 16.04.1999, aaO; und vom 12.01.2001, aaO[]
  13. vgl. dazu nur Palandt/Grüneberg aaO § 288 Rn. 13 f mwN[]
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