BAföG – und die spätere Vorlage der Leistungsbescheinigung

Ein Nichtbestehen von nach § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BAföG maßgeblichen Leistungsanforderungen, das erstmals zu einer wegen der Ausbildungsbestimmungen oder sonst aus studienorganisatorischen Gründen zwingenden Wiederholung von Semestern führt, ist unabhängig von der Anzahl der nicht erbrachten Leistungsnachweise als schwerwiegender Grund im Sinne von § 15 Abs. 3 Nr. 1 BAföG anzusehen. Der nach § 48 Abs. 2 BAföG relevante spätere Zeitpunkt der Vorlage der Bescheinigung nach § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BAföG ermittelt sich im Fall des § 15 Abs. 3 BAföG nach dem Umfang des Zeitverlusts, der durch den die Überschreitung der Förderungshöchstdauer rechtfertigenden Grund entstanden ist. Die Entscheidung über die Vorlage der Bescheinigung zu einem späteren Zeitpunkt nach § 48 Abs. 2 BAföG steht nicht im Ermessen des Amtes für Ausbildungsförderung.

BAföG – und die spätere Vorlage der Leistungsbescheinigung

In dem hier vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fall hatte eine Pharmaziestudentin geklagt. Nachdem sie den nach § 48 Abs. 1 BAföG erforderlichen Nachweis über die Erbringung der üblichen Studienleistungen bis zum Abschluss des 4. Fachsemesters nicht vorlegen konnte, beantragte sie die Weiterförderung für die beiden folgenden Fachsemester und bat den Nachweis nach § 14 Abs. 2, § 15 Abs. 3 BAföG wegen einer gerechtfertigten Überschreitung der Förderungshöchstdauer zu einem späteren Zeitpunkt vorlegen zu dürfen. Diesen Antrag lehnte das Förderungsamt ab.

Die von der Studentin daraufhin erhobene Klage auf Weiterförderung im 5. und 6. Fachsemester hat das Verwaltungsgericht Gera abgewiesen1, weil eine Verlängerung der Förderungshöchstdauer nur bei einem einmaligen Leistungsversagen in Betracht komme, während die Studentin zwei Leistungsnachweise nicht erbracht habe. Mit ihrer Sprungrevision zum Bundesverwaltungsgericht verfolgt die Studentin ihr Begehren weiter. Das Verwaltungsgericht hat diese wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen, weil bislang nicht geklärt sei, wie die gerade im Bereich des Pharmazie- und Medizinstudiums praktisch relevanten Fälle ausbildungsförderungsrechtlich zu behandeln seien, in denen bereits vor der (ersten) Zwischenprüfung mehrere Leistungsnachweise nicht erbracht wurden, die zusammen zu einer für die Studierenden objektiv nicht aufzuholenden Studienverzögerung geführt haben. Auf die Sprungrevision der Studentin hat das Bundesverwaltungsgericht das Urteil des Verwaltungsgerichts Gera abgewiesen und der Studentin die beantragte Ausbildungsförderung bewilligt:

Die nach § 134 Abs. 1 VwGO zulässige Sprungrevision der Studentin ist begründet. Das angefochtene Urteil steht mit seiner Auslegung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 des Bundesgesetzes über individuelle Förderung der Ausbildung (Bundesausbildungsförderungsgesetz – BAföG) vom 07.12.20102 in der Fassung des Gesetzes vom 08.07.20193 mit Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) nicht in Einklang. Infolgedessen hat das Verwaltungsgericht die Klage zu Unrecht abgewiesen, weil die Ablehnung des von der Studentin geltend gemachten Förderanspruchs durch den Förderungsamt rechtswidrig ist und diese in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 5 Satz 1, § 144 Abs. 3 Nr. 1 VwGO). Die Studentin hat einen Anspruch auf Ausbildungsförderung in gesetzlicher Höhe für das Studium im Studiengang Pharmazie an der Universität Jena für den Bewilligungszeitraum Oktober 2019 bis September 2020.

Zwischen den Beteiligten steht mit Blick auf die Voraussetzungen, an die das Entstehen des Förderanspruchs dem Grunde nach geknüpft ist, zu Recht nicht im Streit, dass die Studentin im fraglichen Zeitraum eine abstrakt förderfähige Ausbildung an einer inländischen Hochschule betrieben hat und die persönlichen Fördervoraussetzungen grundsätzlich erfüllt. Streitig ist allein, ob die Anspruchsvoraussetzungen zum Ende des vierten Fachsemesters entfallen sind, weil die Studentin die erforderliche Bescheinigung nach § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BAföG nicht hat vorlegen können und daher nicht mehr als geeignet im Sinne von § 9 Abs. 2 BAföG anzusehen war. Dies hat das Verwaltungsgericht zu Unrecht bejaht, weil seine Annahme, dass die Voraussetzungen des § 48 Abs. 2 i. V. m. § 15 Abs. 3 Nr. 1 BAföG nicht gegeben waren, mit diesen Regelungen nicht in Einklang steht.

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Nach § 48 Abs. 2 BAföG kann das Förderungsamt eine spätere Vorlage der Bescheinigung als nach dem vierten Fachsemester zulassen, wenn (unter anderem) Tatsachen vorliegen, die voraussichtlich eine spätere Überschreitung der Förderungshöchstdauer nach § 15 Abs. 3 BAföG rechtfertigen. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass es widersprüchlich wäre, die Gesamtdauer der Förderungszeit wegen vor dem Beginn des fünften Fachsemesters eingetretener Gesichtspunkte zu verlängern, aber gleichwohl unverändert an diesem Zeitpunkt für eine Weiterförderungsentscheidung festzuhalten. Zwar stellt die Entscheidung nach § 48 Abs. 2 BAföG grundsätzlich einen eigenständigen Verwaltungsakt dar. Sie kann aber auch im Rahmen der Entscheidung über die Weiterbewilligung von Ausbildungsförderung gleichsam im Sinne der Beantwortung einer Vorfrage getroffen werden4. Dann ist auch prozessual die alleinige Geltendmachung des Weiterförderungsanspruchs zulässig, wobei über den Anspruch aus § 48 Abs. 2 BAföG vorab mitentschieden wird5.

Tatsachen, die eine spätere Vorlage der Bescheinigung nach § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BAföG nach Maßgabe des § 48 Abs. 2 BAföG rechtfertigen können, sind die in § 15 Abs. 3 BAföG enumerativ aufgezählten Gründe. Das Verwaltungsgericht hat insoweit § 15 Abs. 3 Nr. 4 BAföG zu Recht nicht für einschlägig erachtet. Denn die von der Studentin zunächst nicht bestandenen Leistungen waren noch im Grundstudium zu erbringen und können ebenso wenig wie das Nichtbestehen einer Zwischenprüfung als das „Nichtbestehen der Abschlussprüfung“ (i.S.v. § 15 Abs. 3 Nr. 4 BAföG) angesehen werden. Auch eine analoge Anwendung dieser Vorschrift auf derartige Konstellationen scheidet mangels einer Gesetzeslücke aus6. Die allein in Betracht zu ziehenden Voraussetzungen des Auffangtatbestands des § 15 Abs. 3 Nr. 1 BAföG sind auch dann erfüllt, wenn das Nichtbestehen von Leistungsanforderungen erstmals zu einer aus studienorganisatorischen Gründen zwingenden Wiederholung von Semestern führt. Dabei kommt es auf die Anzahl der nicht erbrachten Leistungsnachweise nicht an, die Ursache für die Verlängerung des Studiums sind. Dies zugrunde gelegt steht der Studentin der geltend gemachte Anspruch auf Weiterförderung zu.

Nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 BAföG wird über die Förderungshöchstdauer hinaus für eine angemessene Zeit Ausbildungsförderung geleistet, wenn sie aus schwerwiegenden Gründen überschritten worden ist.

Sinn und Zweck des § 15 Abs. 3 Nr. 1 BAföG bestehen darin; vom Gesetzgeber nicht beabsichtigte, unzumutbare Härten, die sich daraus ergeben, dass sich die Gründe für eine Verlängerung der Förderungshöchstdauer nicht abschließend aufführen lassen, durch eine Generalklausel zu mildern und so aufzufangen7. Hierzu bedient sich der Gesetzgeber des Merkmals „schwerwiegende Gründe“, bei dem es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff handelt, welcher der Verwaltung keinen (gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren) Beurteilungsspielraum eröffnet8. Die Tatsachen, die als schwerwiegende Gründe nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 BAföG rechtserheblich sein können, müssen in der Person des Auszubildenden selbst oder im Ausbildungsgang ihre Grundlage haben. Sie können nur dann berücksichtigt werden, wenn sie in dem Sinne ausbildungsbezogen sind, dass sie entweder subjektiv die Fähigkeit des Auszubildenden betreffen, seine Ausbildung planmäßig fortzuführen, oder in objektiver Hinsicht die äußeren Umstände des Ausbildungsgangs berühren. Diese enge Bindung an ausbildungsbezogene Gesichtspunkte ergibt sich aus Sinn und Zweck der Ausbildungsförderung selbst. Außerdem müssen diese Gesichtspunkte Ausnahmecharakter haben. Von dieser Auslegung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 BAföG ist auch in den Fällen des § 48 Abs. 2 BAföG auszugehen. Denn die Tatsachen, die eine Förderung über die Förderungshöchstdauer hinaus ermöglichen, können im gesamten Verlauf der Ausbildung eintreten, also auch schon bis zum Ende des vierten Fachsemesters, mit der Folge, dass Auszubildende deswegen zu Beginn des fünften Fachsemesters ein Zeugnis über eine bestandene Zwischenprüfung nicht vorlegen können oder ihnen ein für diese Studiendauer üblicher Ausbildungsstand noch nicht bescheinigt werden kann9. Relevant sind nur solche Umstände, die für die Verzögerung des erfolgreichen Abschlusses der Ausbildung innerhalb der Förderungshöchstdauer von erheblicher Bedeutung sind, weil sie es Auszubildenden unmöglich oder unzumutbar machen, diese Verzögerung zu verhindern10.

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In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist anerkannt, dass Umstände dieser Art auch bei Leistungsmängeln, die zu einer Verzögerung der Ausbildungszeit führen, in Betracht zu ziehen sind, obgleich diese als solche grundsätzlich die Anerkennung eines schwerwiegenden Grundes nicht zu rechtfertigen vermögen. Zu berücksichtigen sind (studienverzögernde) Leistungsmängel insbesondere dann, wenn Auszubildende ihre Ausbildung wegen erstmaligen Nichtbestehens einer Zwischenprüfung im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BAföG nicht weiterführen können, oder wenn sie wegen Nichterbringens laufender Leistungsnachweise, die anstelle einer Zwischenprüfung gefordert sind, nach der Studienorganisation erstmals ein Studienhalbjahr wiederholen müssen. Denn in diesen Fällen wird regelmäßig davon auszugehen sein, dass die Auszubildenden den eingetretenen Zeitverlust bis zum Ablauf der Förderungshöchstdauer ihrer Ausbildung nicht mehr aufholen können. Sie wären dann ohne Anwendung des § 48 Abs. 2 BAföG nach Bestehen der Zwischenprüfung bzw. erfolgreicher Wiederholung des Studienhalbjahrs von jeder weiteren Förderung ausgeschlossen11.

Die im Fall der Studentin in Rede stehenden Leistungsmängel lassen sich indes keiner dieser beiden Fallgruppen zuordnen. Denn es handelt sich bei den von der Studentin nicht bestandenen Leistungsnachweisen weder um eine derartige Zwischenprüfung noch um solche Leistungsnachweise, die anstelle einer Zwischenprüfung zu erbringen sind. Als eine derartige Zwischenprüfung käme allenfalls, wie das Verwaltungsgericht zutreffend erkannt hat, der nach § 1 Abs. 2 Nr. 1 der Approbationsordnung für Apotheker vom 19.07.198912 zum Abschluss des Grundstudiums zur erbringende Erste Abschnitt der Pharmazeutischen Prüfung in Betracht. Dieser wird jedoch durch die von der Studentin nicht bestandenen Ausbildungsveranstaltungen nicht ersetzt13.

Die instanzgerichtliche Rechtsprechung hat die Berücksichtigung von Leistungsmängeln als schwerwiegende Gründe im Sinne von § 15 Abs. 3 Nr. 1 BAföG auf das (erstmalige) Nichtbestehen eines einzelnen Leistungsnachweises ausgedehnt, wenn dies aufgrund der Organisation der Ausbildung zur Folge hat, dass die auszubildende Person an der Fortsetzung ihres Studiums im nächsthöheren Semester gehindert ist14. Diese Erweiterung steht zunächst nicht in Widerspruch zur bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung, die die Zuordnung von Leistungsmängeln zu den schwerwiegenden Gründen als nicht abschließend betrachtet, sondern nur regelbeispielhaft („insbesondere“) vorgenommen hat, was auch in Tz. 15.03.3 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföGVwV) zutreffend zum Ausdruck kommt. Der genannten Erweiterung ist mit der Maßgabe zuzustimmen, dass ein Nichtbestehen von nach § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BAföG maßgeblichen Leistungsanforderungen, das erstmals zu einer aus studienorganisatorischen Gründen zwingenden Wiederholung von Semestern führt, unabhängig von der Anzahl der nicht erbrachten Leistungsnachweise als nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 BAföG relevant anzusehen ist.

Diese Erweiterung ist gerechtfertigt, weil das Bestehen solcher Leistungsnachweise wertungsmäßig dem Bestehen einer Zwischenprüfung oder an ihrer Stelle zu erbringender Leistungsnachweise insoweit gleichkommt, als von diesen nach den Ausbildungs- und Prüfungsbestimmungen ebenfalls die Weiterführung der Ausbildung abhängt. Soweit das Bestehen einzelner Leistungsnachweise Voraussetzung für ein weiteres planmäßiges Fortschreiten in der Ausbildung ist, führt ein hierauf bezogenes Nichterbringen ebenso wie das Nichtbestehen einer Zwischenprüfung oder an ihrer Stelle zu erbringender Leistungsnachweise dazu, dass Auszubildende den eingetretenen Zeitverlust bis zum Ablauf der Förderungshöchstdauer ihrer Ausbildung nicht mehr aufholen können. Ein Nichtbestehen von Leistungsnachweisen innerhalb der ersten vier Fachsemester rechtfertigt die Zulassung einer späteren Vorlage der Eignungsbescheinigung nach § 48 Abs. 2 BAföG demgemäß dann, wenn es dazu führt, dass Studienleistungen in höheren Semestern nicht planmäßig erbracht werden können und dieser Leistungsrückstand innerhalb der ersten vier Fachsemester nach den Ausbildungsbestimmungen oder sonst aus studienorganisatorischen Gründen auch nicht ausgeglichen werden kann.

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Liegt eine derartige Verzögerung vor, kommt es entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts nicht darauf an, ob zahlenmäßig nur ein Leistungsversagen für diese ursächlich ist oder ob mehrere nicht erbrachte Prüfungen im Zusammenwirken diese Folge auslösen, ohne dass darüber hinaus die vom Verwaltungsgericht problematisierte Einordnung der jeweils nicht bestandenen Leistungsnachweise als „Prüfung mit Aufstiegscharakter“ noch von Bedeutung ist. Maßgeblich ist allein, dass eine kausal auf diesen Leistungsmängeln beruhende und im Rahmen von § 15 Abs. 3 Nr. 1 i. V. m. § 48 Abs. 2 BAföG relevante Unterbrechung des planmäßigen Fortschreitens der Ausbildung erstmals eintritt.

Soweit das Nichtbestehen einer Zwischenprüfung im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BAföG für die Anerkennung als schwerwiegender Grund im Sinne von § 15 Abs. 3 Nr. 1 BAföG nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts deren Erstmaligkeit zur Voraussetzung hat11, liegt dieser Einschränkung in normativer Hinsicht der systematische Rückgriff auf den Fall des § 15 Abs. 3 Nr. 4 BAföG zugrunde. Sie rechtfertigt sich dadurch, dass sowohl im Fall der Abschlussprüfung wie auch der Zwischenprüfung deren Nichtbestehen als solches den Eintritt des nicht aufholbaren Zeitverlusts bewirkt. Insofern liegt im erstmaligen Nichtbestehen der Prüfung, unabhängig davon, ob diesem das Nichtbestehen eines oder mehrerer Prüfungsteile zugrunde lag, notwendig auch eine erstmals hierauf beruhende Unterbrechung des planmäßigen Fortschreitens der Ausbildung. Hieraus lässt sich jedoch nicht der Schluss ziehen, dass als schwerwiegender Grund nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 BAföG stets nur eine Verzögerung im planmäßigen Studienablauf infolge des Nichtbestehens eines einzelnen Leistungsnachweises in Betracht käme, beziehungsweise – wie das Verwaltungsgericht es formuliert hat – sich ein Auszubildender nur einmal auf ein Leistungsversagen berufen könne. Maßgeblich ist vielmehr allein, ob das Nichtbestehen eines oder mehrerer Leistungsnachweise erstmals zu einem nicht mehr aufholbaren Leistungsrückstand geführt hat. Dem lässt sich auch nicht entgegenhalten, dass das Nichtbestehen mehrerer Leistungsnachweise größere Zweifel an der Studieneignung begründe. Denn die Anerkennung eines schwerwiegenden Grundes nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 BAföG beruht im Fall von Leistungsmängeln allein auf dem Umstand der (erstmaligen) unvermeidbaren Unterbrechung des planmäßigen Fortschreitens der Ausbildung und nicht auf der Anzahl der Einzelereignisse, die deren Ursachen sind. Demgemäß kommt es im Fall der notwendigen Wiederholung eines Studienhalbjahrs wegen des Nichtbestehens laufender Leistungsnachweise, die anstelle einer Zwischenprüfung zu erbringen sind, auch nicht darauf an, ob es sich nur um einen oder mehrere solcher Nachweise gehandelt hat15.

Dies zugrunde gelegt steht der Studentin der geltend gemachte Anspruch auf Weiterförderung zu, weil in ihrem Fall die Voraussetzungen einer späteren Vorlage der Bescheinigung nach § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BAföG nach Maßgabe des § 48 Abs. 2 BAföG wegen eines schwerwiegenden Grundes nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 BAföG gegeben sind. Denn das Nichtbestehen mehrerer Leistungsnachweise im Verlauf der ersten beiden Fachsemester hatte erstmals zur Folge, dass sie Studienleistungen im dritten und vierten Fachsemester nicht planmäßig hat erbringen können. Diesen Leistungsrückstand konnte sie innerhalb der ersten vier Fachsemester nach den Ausbildungsbestimmungen bzw. aus studienorganisatorischen Gründen auch nicht ausgleichen . Demgemäß ist die Vorlage der Bescheinigung nach § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BAföG bezogen auf das Ende des sechsten Fachsemesters zuzulassen. Diese Entscheidung steht nicht im Ermessen des Förderungsamtes.

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Zu einer Unterbrechung des planmäßigen Fortschreitens der Ausbildung der Studentin ist es nicht bereits durch das Nichtbestehen des Leistungsnachweises im ersten Fachsemester gekommen. Denn nach den für das Revisionsgericht bindenden tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts (§ 137 Abs. 2 VwGO) wäre die Studentin allein deswegen nicht gehindert gewesen, die Veranstaltungen der Folgesemester zu belegen und im Übrigen auch die nicht bestandene Veranstaltung im dritten Fachsemester parallel zu den dort zu besuchenden Veranstaltungen nachzuholen, was ihr als solches auch gelungen ist. Objektiv unmöglich wurde der Studentin allerdings nach den ebenfalls bindenden tatrichterlichen Feststellungen aufgrund der Vorgaben des Studienplans, ihr Studium im dritten und vierten Fachsemester planmäßig fortzusetzen, nachdem sie zusätzlich zur Nichterbringung einer Leistung im ersten Fachsemester auch eine Veranstaltung im zweiten Fachsemester nicht bestanden hatte. Infolgedessen konnte sie im dritten Fachsemester die für dieses Semester vorgesehenen Veranstaltungen weitgehend nicht besuchen und auch nicht die Veranstaltungen des vierten Fachsemesters, für deren Besuch wiederum überwiegend das Bestehen der Veranstaltungen des dritten Fachsemesters als Zugangsvoraussetzung vorgesehen ist. Dies konnte erst im fünften und sechsten Fachsemester nachgeholt werden. Der planmäßige Fortgang des Studiums der Studentin verzögerte sich danach bis zum sechsten Semester und damit um zwei Fachsemester. Diese erst durch das Zusammenwirken der Leistungsversagen im ersten und zweiten Fachsemester ausgelöste Verzögerung trat hierdurch auch erstmalig ein.

Nicht schädlich ist in diesem Zusammenhang, dass sich für die Studentin allein durch das Nichterbringen einer Leistung im zweiten Fachsemester ein weiterer selbstständiger objektiver Hinderungsgrund für die planmäßige Fortführung ihres Studiums ergeben hat. Sie wäre hierdurch allein zwar nicht am Erwerb der Leistungsnachweise des dritten Fachsemesters gehindert gewesen. Die – wie das Verwaltungsgericht festgestellt hat – nach dem Studienplan erst wieder im vierten Fachsemester mögliche Wiederholung der nicht bestandenen Veranstaltung des zweiten Fachsemesters machte ihr aber wegen zeitlicher Überschneidungen den Besuch aller Veranstaltungen des vierten Fachsemesters unmöglich. Diese konnten wiederum nach dem Studienplan erst im sechsten Fachsemester nachgeholt werden, sodass auch dieser Leistungsmangel für sich genommen eine nicht zu vermeidende Ausbildungsverzögerung von zwei Semestern bedeutet hat. Hiervon ausgehend liegen zwar zwei an sich selbstständig nebeneinanderstehende Faktoren vor, die als kumulierte bzw. singuläre Leistungsmängel einen planmäßigen Fortgang der Ausbildung verhindert haben. Diese sind aber austauschbar, weil sie gleichzeitig eingetreten sind und sich in identischer Weise auf die Dauer des eingetretenen Leistungsrückstands ausgewirkt haben, sodass jeder einzelne von ihnen jeweils für sich genommen hinsichtlich seiner Verzögerungswirkung auch hinweggedacht werden kann, ohne dass sich an der Hinderung der Fortsetzung der Ausbildung und deren zeitlichem Umfang etwas ändern würde. Deshalb können sie auch nicht als mehrmalige (kumulierte) Verzögerungen aufgefasst werden. Vielmehr liegt insgesamt nur eine einmalige und damit auch nur eine „erstmalige“ Verzögerung vor.

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Diesen Leistungsrückstand konnte die Studentin innerhalb der ersten vier Fachsemester nach den Ausbildungsbestimmungen bzw. aus studienorganisatorischen Gründen nicht ausgleichen. Dies ergibt sich bereits daraus, dass nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts für die Studentin die sich aus der kumulierten Wirkung des Nichterbringens von Leistungen im ersten und zweiten Fachsemester ergebenden Folgen für den Besuch der Veranstaltungen des dritten und vierten Fachsemesters wegen der studienplanmäßigen und studienorganisatorischen Vorgaben unvermeidbar waren. Daher kommt es auch nicht entscheidungserheblich darauf an, ob – wie das Verwaltungsgericht gemeint hat – die Studentin alle Lehrveranstaltungen des dritten Fachsemesters sowie den Großteil der Veranstaltungen des vierten Fachsemesters hätte absolvieren können, wenn sie nur die Veranstaltung im zweiten Fachsemester nicht bestanden hätte. Diese Einschätzung steht überdies in einem offenkundigen Widerspruch zu der vom Verwaltungsgericht selbst wiedergegebenen Auskunft des Studienberaters des Instituts für Pharmazie, nach der in der genannten Fallkonstellation immer eine Studienverzögerung um zwei Semester eintritt, weil dann infolge der notwendigen Wiederholung der nicht bestandenen Veranstaltung der Besuch sämtlicher scheinpflichtiger Veranstaltungen des vierten Fachsemesters unmöglich ist und dieser Rückstand erst im sechsten Fachsemester aufgeholt werden kann.

Liegen damit im Fall der Studentin Tatsachen im Sinne des § 48 Abs. 2 BAföG vor, die nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 BAföG eine spätere Überschreitung der Förderungshöchstdauer rechtfertigen, ist die Vorlage der Bescheinigung zu einem „entsprechend“ späteren Zeitpunkt zuzulassen. Dieser Zeitpunkt ermittelt sich nach Maßgabe der nach § 15 Abs. 3 BAföG vorgesehenen „angemessenen“ Verlängerung. Angemessen in diesem Sinne ist die Zeit, die dem Zeitverlust entspricht, der durch den die Überschreitung der Förderungshöchstdauer rechtfertigenden Grund entstanden ist16. Da im Fall der Studentin die Wiederholung von zwei Semestern erforderlich und unvermeidbar war, verlängert sich der Vorlagezeitpunkt ebenfalls um zwei Semester. Er ist also bezogen auf das Ende des sechsten Fachsemesters zu bestimmen. Daraus, dass die bisherige höchstrichterliche Rechtsprechung im Fall von Leistungsmängeln allein Fälle der Verlängerung um ein Semester behandelt hat, kann nicht der Schluss gezogen werden, eine solche Eingrenzung sei zwingend17.

Eine darüber hinausgehende Eingrenzung ergibt sich hier auch nicht daraus, dass die Verlängerung der Förderungshöchstdauer nach § 15 Abs. 3 BAföG nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch von der Prognose abhängt, dass der Auszubildende die Ausbildung in der verlängerten Förderungsdauer berufsqualifizierend abschließen kann18. Denn eine solche Prognose konnte jedenfalls im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung getroffen werden. Die Studentin hatte zum Ende des vierten Fachsemesters zwölf von 17 üblicherweise zu erbringenden Leistungsnachweisen bestanden. Es erschien keineswegs ausgeschlossen, dass sie die fehlenden fünf Leistungsnachweise bis zum Ende des sechsten Fachsemesters hätte erbringen können; dies hat auch der Förderungsamt nicht in erkennbarer Weise abweichend beurteilt. Ob darüber hinaus dann, wenn im gerichtlichen Verfahren erst nach Ablauf des maßgeblichen Zeitpunkts über die Verlängerung nach § 48 Abs. 2 BAföG zu entscheiden ist, vorrangig die tatsächliche spätere Entwicklung in den Blick zu nehmen ist19, kann zwar insbesondere mit Blick auf den grundrechtlichen Anspruch des Auszubildenden auf eine staatliche Ausbildungsförderung20 zweifelhaft sein. Einer Entscheidung hierüber bedarf es aber nicht, weil – was zwischen den Beteiligten unstreitig gestellt worden ist – die Studentin sämtliche noch fehlenden Leistungsnachweise des Grundstudiums bis zum Abschluss des sechsten Fachsemesters erbracht hat und zum Ersten Abschnitt der Pharmazeutischen Prüfung zugelassen wurde.

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Die Entscheidung über die Vorlage der Bescheinigung zu einem späteren Zeitpunkt steht nicht im Ermessen des Förderungsamtes. Zwar sieht § 48 Abs. 2 BAföG dem Wortlaut nach vor, dass das Amt für Ausbildungsförderung die spätere Vorlage „zulassen kann“, was auf die Einräumung eines Ermessens hindeuten könnte. Gleichwohl steht die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts seit jeher auf dem Standpunkt, dass die Förderung über das vierte Fachsemester hinaus fortzusetzen und die Vorlage der Eignungsbescheinigung erst zu einem entsprechend späteren Zeitpunkt zu verlangen ist, wenn der Auszubildende Gründe darlegt, die voraussichtlich zu einer Verlängerung der Förderungshöchstdauer führen werden21. Dies rechtfertigt sich einerseits aufgrund eines systematischen Abgleichs mit § 15 Abs. 3 BAföG, der für den Fall einer berücksichtigungsfähigen Überschreitung der Förderungshöchstdauer ebenfalls eine gebundene Entscheidung über die Fortsetzung der Förderung vorsieht. Andererseits ist insoweit auch der grundrechtliche Anspruch des Auszubildenden auf eine staatliche Ausbildungsförderung20 in den Blick zu nehmen, der der Annahme einer Ermessensentscheidung bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 48 Abs. 2 BAföG grundsätzlich entgegensteht.

Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 3. März 2023 – 5 C 6.21

  1. VG Gera, Urteil vom 04.05.2021 – 6 K 173/20 Ge[]
  2. BGBl. I S.1952; 2012 I S.197[]
  3. BGBl. I S. 1048[]
  4. vgl. Fischer, in: Rothe/Blanke, Bundesausbildungsförderungsgesetz, Stand: November 2022, § 48 Rn. 37[]
  5. vgl. auch BVerwG, Urteil vom 16.11.1978 – 5 C 34.77, BVerwGE 57, 75 <79>[]
  6. BVerwG, Urteil vom 28.06.1995 – 11 C 25.94, Buchholz 436.36 § 15 BAföG Nr. 42 S. 15[]
  7. BVerwG, Urteil vom 28.06.1995 – 11 C 25.94, Buchholz 436.36 § 15 BAföG Nr. 42 S. 15 m. w. N.[]
  8. Fischer, in: Rothe/Blanke, Bundesausbildungsförderungsgesetz, Stand: November 2022, § 15 Rn.19[]
  9. BVerwG, Urteil vom 22.10.1981 – 5 C 113.79, BVerwGE 64, 168 <172 ff.>[]
  10. BVerwG, Urteil vom 28.06.1995 – 11 C 25.94, Buchholz 436.36 § 15 BAföG Nr. 42 S. 17[]
  11. BVerwG, Urteil vom 28.06.1995 – 11 C 25.94, Buchholz 436.36 § 15 BAföG Nr. 42 S. 16[][]
  12. BGBl. I S. 1489[]
  13. vgl. auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 31.03.2022 – 12 S 53/20 31[]
  14. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 31.03.2022 – 12 S 53/20 33 m. w. N.[]
  15. vgl. BVerwG, Urteil vom 28.06.1995 – 11 C 25.94, Buchholz 436.36 § 15 BAföG Nr. 42 S. 16[]
  16. vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 17.11.2022 – 14 LB 84/22 43 m. w. N.; Fischer, in: Rothe/Blanke, Bundesausbildungsförderungsgesetz, Stand: November 2022, § 48 Rn. 35[]
  17. vgl. Fischer, in: Rothe/Blanke, Bundesausbildungsförderungsgesetz, Stand: November 2022, § 15 Rn.20.6[]
  18. vgl. BVerwG, Urteil vom 07.02.1980 – 5 C 38.78, Buchholz 436.36 § 15 BAföG Nr. 7 S. 14 f.[]
  19. vgl. für die Verlängerung der Förderungshöchstdauer: BVerwG, Urteil 25.01.1995 – 11 C 9.94, Buchholz 436.36 § 15 BAföG Nr. 40 S. 5 m. w. N.; im Übrigen auch Tz. 48.02.1 Satz 1 BAföGVwV[]
  20. vgl. BVerwG, Beschluss vom 20.05.2021 – 5 C 11.18 – FamRZ 2021, 2009[][]
  21. BVerwG, Urteil vom 16.11.1978 – 5 C 38.77, BVerwGE 57, 79 <82> vgl. auch Fischer, in: Rothe/Blanke, Bundesausbildungsförderungsgesetz, Stand: November 2022, § 48 Rn. 36 m. w. N.[]

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