Die Frage der Opferentschädigung für die Mutter einer Ermordeten

Hängt die psychische Erkrankung einer Mutter nicht unmittelbar mit dem Mord an ihrer Tochter zusammen, sondern beruht auf den nach dem Mord veränderten Lebensumständen, so besteht für die Mutter kein Anspruch auf Opferentschädigung.

Die Frage der Opferentschädigung für die Mutter einer Ermordeten

So die Entscheidung des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen in dem hier vorliegenden Fall einer Frau, die seit der Ermordung ihrer Tochter unter einer wesentlichen Verschlimmerung ihrer psychischen Erkrankung litt und eine Opferentschädigung begehrte. Die damals 29 Jahre alte Tochter der Klägerin, einer Iranerin, war im Jahre 2006 von ihrem Freund, mit dem sie zusammen wohnte, ermordet worden. Dieser wurde im August 2007 zu einer Haftstrafe von 12 Jahren wegen Mordes und gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Die heute 57jährige Mutter und Klägerin hatte bereits vor der Tat unter einer leichten depressiven Verstimmung und einer Somatisierungsstörung gelitten. Bei Erhalt der Todesnachricht der Tochter musste die Klägerin zunächst notärztlich und später am Tag durch ihren Hausarzt versorgt werden. Als Nebenklägerin in dem Strafverfahren hat sie nach und nach die schrecklichen Einzelheiten der Tötung der Tochter erfahren. Nach der Ermordung der Tochter verschlimmerten sich die Erkrankungen der Klägerin wesentlich, so dass sich eine chronische depressive Verstimmung abzeichnete. Die Klägerin beschäftigt sich fast nur noch mit dem Tod der Tochter und der Gestaltung ihres Grabes.

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Im Dezember 2006 beantragte u.a. die Klägerin die Gewährung von Beschädigtenversorgung und machte geltend, einen Schockschaden erlitten zu haben. Das lehnte die Beklagte ab. Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht Bremen erhoben, das das Verfahren zuständigkeitshalber an das Sozialgericht Hannover verwiesen hat. Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 30. August 2010 als unbegründet abgewiesen. Die Gesundheitsstörungen der Klägerin stünden nicht in ursächlichem Zusammenhang mit der Übermittlung der Todesnachricht, so dass die Voraussetzungen für Leistungen nach dem OEG nicht erfüllt seien. Hiergegen hat die Klägerin Berufung eingelegt.

Nach Auffassung des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen ist für die Feststellung von Schädigungsfolgen gemäß § 1 OEG erforderlich, dass die Klägerin an Gesundheitsstörungen leidet, die rechtlich wesentlich durch einen vorsätzlichen, rechtswidrigen, tätlichen Angriff verursacht worden sind. Dies setzt eine unmittelbare, in einem engen zeitlichen und örtlichen Zusammenhang stehende Schädigung des Opfers voraus. Die Klägerin ist aber nicht unmittelbar von den Einwirkungen auf ihre Tochter betroffen gewesen. Die wesentliche Verschlimmerung beruht nach den überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen nicht auf einem Schockschaden. Die Verschlimmerung der Erkrankung ist also nicht durch die Überbringung der Todesnachricht hervorgerufen worden. Ob ein unmittelbarer Zusammenhang noch bestehen würde, wenn die Verschlimmerung der Leiden durch die im Prozess vor dem Landgericht erhaltenen Informationen über die Tötung verursacht worden wären, hat das Gericht offengelassen. Denn im vorliegenden Fall beruht die wesentliche Verschlimmerung der psychischen Erkrankung auf den nach dem Mord ganz erheblich veränderten Lebensumständen der Klägerin und damit im Sinne des OEG nicht unmittelbar auf dem Mord.

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Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 28. Juni 2012 – L 10 VE 56/10