Frühruhestandsgeld und die Beitragsbemessung bei freiwilligen Krankenkassenmitgliedern

Unter die Beitragspflicht fällt auch – als sonstige Einnahme – das „Frühruhestandsgeld“, das ein Energieversorgungsunternehmen ausgeschiedenen Mitarbeitern, die freiwillig versicherte Mitglieder in der gesetzlichen Krankenversicherung sind, zahlt.

Frühruhestandsgeld und die Beitragsbemessung bei freiwilligen Krankenkassenmitgliedern

Die Änderung des § 240 SGB V durch das GKV-WSG mit Wirkung zum 1. Januar 2009 hat dahingehend keine Änderung gebracht, weil nunmehr die Beitragsbemessung für freiwillige Mitglieder durch den Spitzenverband Bund der Krankenkassen und nicht mehr durch die einzelne Krankenkasse durch Satzung geregelt wird, weshalb die zunächst nur teilweise Berücksichtigung des „“Frühruhestandsgelds““ als Abfindung bei der Festsetzung der Beiträge nicht geändert werden kann.

In dem hier vom Landessozialgericht Baden-Württemberg zu entscheidenden Fall streiten die Beteiligen über die Höhe der Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung und zur sozialen Pflegeversicherung in der Zeit vom 1. Juli 2009 bis 31. Mai 2011. Der am 1951 geborene Kläger war 19 Jahre und zwei Monate bei einem Energieversorgungsunternehmen, der E-AG, beschäftigt. Zum 1. Juni 2005 versetzte ihn die E-AG in den „Frühruhestand“ und zahlte ihm vom 1. Juni 2005 bis 31. Mai 2011 ein „Frühruhestandsgeld“.

Nach Auffassung des Landessozialgerichts ist eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen zum 1. Juli 2009, dem Zeitpunkt, zu welchem die Beklagten erstmals den vollen Zahlbetrag des „Frühruhestandsgeld“ bei der Berechnung der Beiträge berücksichtigt haben, nicht eingetreten. Eine solche wesentliche Änderung ist nicht durch die Änderung des § 240 SGB V durch das GKV-WSG erfolgt, weil nunmehr die Beitragsbemessung für freiwillige Mitglieder wie den Kläger durch den Spitzenverband Bund der Krankenkassen und nicht mehr durch die einzelne Krankenkasse durch Satzung geregelt wird.

Nach § 240 Abs. 1 Satz 1 SGB V in der Fassung des Art. 2 Nr. 29a1 GKV-WSG, die zum 1. Januar 2009 in Kraft trat (Art. 46 Abs. 10 GKV-WSG), wird für freiwillige Mitglieder die Beitragsbemessung einheitlich durch den Spitzenverband Bund der Krankenkassen geregelt. Nach § 240 Abs. 1 Satz 2 SGB V – durch das GKV-WSG nicht geändert – ist sicherzustellen, dass die Beitragsbelastung die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des freiwilligen Mitglieds berücksichtigt. Nach § 240 Abs. 2 Satz 1 SGB V in der Fassung des Art. 2 Nr. 29a1 GKV-WSG, die ebenfalls zum 1. Januar 2009 in Kraft trat (Art. 46 Abs. 10 GKV-WSG), sind bei der Bestimmung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit mindestens die Einnahmen des freiwilligen Mitglieds zu berücksichtigen, die bei einem vergleichbaren versicherungspflichtig Beschäftigten der Beitragsbemessung zugrunde zu legen sind. Unverändert gilt nach § 240 Abs. 4 Satz 1 SGB V weiterhin, dass freiwillig Versicherte einen kalendertäglichen Mindestbeitrag in Höhe des neunzigsten Teils der monatlichen Bezugsgröße zu zahlen haben.

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Nach der bis 31. Dezember 2008 geltenden Fassung des § 240 Abs. 1 Satz 1 SGB V wurde für freiwillige Mitglieder die Beitragsbemessung durch die Satzung geregelt. Die Satzung der Krankenkasse musste nach der bis 31. Dezember 2008 geltenden Fassung des § 240 Abs. 2 Satz 1 SGB V mindestens die Einnahmen des freiwilligen Mitglieds berücksichtigen, die bei einem vergleichbaren versicherungspflichtig Beschäftigten der Beitragsbemessung zugrunde zu legen sind.

Bis 31. Dezember 2008 überließ das Gesetz für freiwillige Mitglieder der Krankenversicherung, wie dies der Kläger im streitigen Zeitraum war, die Bestimmung der in der Krankenversicherung beitragspflichtigen Einnahmen grundsätzlich den Satzungen der Krankenkassen, setzte dieser Satzungsautonomie jedoch durch die Definition eines prinzipiellen Bemessungsmaßstabs in § 240 Abs. 1 Satz 2 SGB V und die in § 240 Abs. 2 bis 5 SGB V enthaltenen inhaltlichen Vorgaben Grenzen. Die Bestimmung der beitragspflichtigen Einnahmen ab 1. Januar 2009 durch den Spitzenverband Bund der Krankenkassen ist lediglich ein Wechsel des für die Bestimmung Zuständigen. Es sollte u.a. ausgeschlossen werden, dass die Krankenkassen zukünftig weiterhin unterschiedliche Einstufungsgrundsätze praktizieren, weil mit der Einführung des Gesundheitsfonds derartige Unterschiede nicht mehr aufrecht erhalten werden konnten1. Auch nach dem Wechsel der Zuständigkeit ist wie bisher unverändert die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Mitglieds bei der Bemessung der Beiträge zu berücksichtigen2. Eine inhaltliche Änderung des Maßstabes, nämlich dass die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des freiwillig Versicherten ohne Besserstellung gegenüber einem Pflichtversicherten zugrunde zu legen ist und damit welche Einnahmen der Beitragsbemessung zugrunde zu legen sind, ist deshalb mit den Änderungen durch das GKV-WSG nicht verbunden. Das dem Kläger gezahlte „Frühruhestandsgeld“ hätten die Beklagten bei der Berechnung der freiwilligen Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung zwar nicht als Arbeitsentgelt, auch nicht teilweise als Abfindung, die Arbeitsentgelt enthält, mit einem Arbeitsentgeltanteil, und auch nicht als Versorgungsbezug, jedoch als sonstige Einnahme in vollem Umfang bei der Bemessung der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung seit Beginn der Zahlung berücksichtigen müssen, mithin auch schon vor der zum 1. Januar 2009 erfolgten Änderung(en) des § 240 SGB V. Dass eine wesentliche Änderung in den rechtlichen Verhältnissen nicht eingetreten ist, sondern nur eine geänderte Rechtsauffassung der Beklagten, zeigt der Verweis im Widerspruchsbescheid auf die Besprechung der Spitzenverbände der Krankenkassen und der Deutschen Rentenversicherung Bund.

Nach § 19 Abs. 1 Satz 1 der Satzung der Beklagten zu 1) in der bis 31. Dezember 2008 geltenden Fassung gehörten zu den beitragspflichtigen Einnahmen freiwilliger Mitglieder alle Einnahmen und Geldmittel, die für den Lebensunterhalt verbraucht werden oder verbraucht werden könnten (Einnahmen zum Lebensunterhalt) bis zum kalendertäglichen Betrag der Beitragsbemessungsgrenze der Krankenversicherung. Nach § 19 Abs. 9 der Satzung der Beklagten zu 1) in der bis 31. Dezember 2008 geltenden Fassung war bei freiwillig Versicherten, die nicht hauptberuflich selbstständig sind und keine Rente der gesetzlichen Rentenversicherung bezogen – was beim Kläger der Fall war -, folgende Rangfolge der Einnahmearten vorzunehmen: Arbeitsentgelt, der Zahlbetrag der Versorgungsbezüge und sonstigen Einnahmen, die die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des freiwilligen Mitglieds bestimmen, bis zur Beitragsbemessungsgrenze.

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Eine abweichende Bestimmung der beitragspflichtigen Einnahmen enthalten die nunmehr geltenden Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler nicht. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler sind als beitragspflichtige Einnahmen u.a. auch das Arbeitsentgelt, der Zahlbetrag der Versorgungsbezüge sowie alle Einnahmen und Geldmittel, die für den Lebensunterhalt verbraucht werden oder verbraucht werden können, ohne Rücksicht auf ihre steuerliche Behandlung zugrunde zu legen. Ergänzend bestimmt § 4 Nr. 1 Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler, dass den beitragspflichtigen Einnahmen im Sinne des § 3 Abs. 1 zuzurechnen sind auch Abfindungen, Entschädigungen oder ähnliche Leistungen, die wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gezahlt werden.

Das gezahlte „Frühruhestandsgeld“ war kein Arbeitsentgelt. Arbeitsentgelt sind nach § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IV alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden. Arbeitsentgelt sind hiernach (nur) Leistungen, die aufgrund des Beschäftigungsverhältnisses für Zeiten des Beschäftigungsverhältnisses geleistet werden. Die weite Begriffsbestimmung des Arbeitsentgelts in § 14 Abs. 1 SGB IV erfasst solche Einnahmen, die dem Versicherten in ursächlichem Zusammenhang mit einer Beschäftigung zufließen. Das Erfordernis des ursächlichen Zusammenhangs umfasst dabei den zeitlichen mit, sodass ihrem Zweck nach allein auf den Zeitraum nach Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses bezogene Leistungen nicht erfasst werden. Zwar gehören zum Arbeitsentgelt auch Einnahmen, die nicht unmittelbar aus der Beschäftigung, sondern nur „im Zusammenhang mit ihr“ erzielt werden (§ 14 Abs. 1 SGB IV), was besonders bei einmaligen Einnahmen wie einer Abfindung zutreffen kann. Auch solche Einnahmen müssen jedoch, um als Arbeitsentgelt aufgrund einer versicherungspflichtigen Beschäftigung beitragspflichtig zu sein, sich zeitlich dieser versicherungspflichtigen Beschäftigung zuordnen lassen, d.h. auf die Zeit der Beschäftigung und der Versicherungspflicht entfallen. Das trifft etwa auf eine Abfindung, die wegen Beendigung der versicherungspflichtigen Beschäftigung gezahlt wird, grundsätzlich nicht zu. Soweit es sich bei ihr um eine echte Abfindung und nicht um eine Nachzahlung von während der Beschäftigung verdientem Entgelt handelt, soll die Abfindung den Arbeitnehmer dafür entschädigen, dass er seine bisherige Beschäftigung nicht fortsetzen kann, mithin gehindert ist, aus dieser Beschäftigung künftig Arbeitsentgelt zu erzielen. Eine solche Abfindung, die als Entschädigung für den Wegfall künftiger Verdienstmöglichkeiten – den Verlust des Arbeitsplatzes – gezahlt wird, ist zeitlich nicht der früheren Beschäftigung zuzuordnen; ihre Beitragspflicht kann nicht mehr auf die frühere, inzwischen weggefallene Versicherungspflicht gegründet werden3. Danach ist das dem Kläger gezahlte „Frühruhestandsgeld“, auch wenn es eine Abfindung sein sollte (wie es in § 4 der Betriebsvereinbarung auch bezeichnet wurde), kein Arbeitsentgelt, das der Bemessung der Beiträge zur freiwilligen Versicherung zugrundegelegt werden kann. Das dem Kläger gezahlte „Frühruhestandsgeld“ ist eine Entschädigung für den Wegfall künftiger Verdienstmöglichkeiten wegen des Wegfalls des Arbeitsplatzes und damit nicht dem Beschäftigungsverhältnis mit der E-AG zuzuordnen. Denn das Arbeitsverhältnis des Klägers mit der E-AG endete mit der Versetzung in den Frühruhestand (§ 1 der Betriebsvereinbarung). Damit endete auch das Beschäftigungsverhältnis. Mit dem gezahlten „Frühruhestandsgeld“ sollte kein rückständiges Arbeitsentgelt aus der Zeit des Beschäftigungsverhältnisses abgegolten werden. Es sollte vielmehr allein als Entschädigung dafür dienen, dass der Kläger nach Ende des Beschäftigungsverhältnisses gehindert war, aus diesem Entgelt zu erzielen.

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Das gezahlte „Frühruhestandsgeld“ war auch kein Versorgungsbezug. Nach § 229 Abs. 1 Satz 1 SGB V gelten als der Rente vergleichbare Einnahmen (Versorgungsbezüge), soweit sie wegen einer Einschränkung der Erwerbsfähigkeit oder zur Alters- oder Hinterbliebenenversorgung erzielt werden,

  1. Versorgungsbezüge aus einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis oder aus einem Arbeitsverhältnis mit Anspruch auf Versorgung nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen; außer Betracht bleiben
    a) lediglich übergangsweise gewährte Bezüge,
    b) unfallbedingte Leistungen und Leistungen der Beschädigtenversorgung,
    c) bei einer Unfallversorgung ein Betrag von 20 vom Hundert des Zahlbetrags und
    d) bei einer erhöhten Unfallversorgung der Unterschiedsbetrag zum Zahlbetrag der Normalversorgung, mindestens 20 vom Hundert des Zahlbetrags der erhöhten Unfallversorgung,
  2. Bezüge aus der Versorgung der Abgeordneten, Parlamentarischen Staatssekretäre und Minister,
  3. Renten der Versicherungs- und Versorgungseinrichtungen, die für Angehörige bestimmter Berufe errichtet sind,
  4. Renten und Landabgaberenten nach dem Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte mit Ausnahme einer Übergangshilfe,
  5. Renten der betrieblichen Altersversorgung einschließlich der Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst und der hüttenknappschaftlichen Zusatzversorgung.

Auf die Definition der Versorgungsbezüge in § 229 SGB V nahm auch § 19 Abs. 1b Satz 1 der Satzung der Beklagten zu 1) Bezug. Das „Frühruhestandsgeld“ erfüllt keine dieser Voraussetzungen. Insbesondere ist es keine Rente der betrieblichen Altersversorgung, denn es liegt keine Leistung der betrieblichen Altersversorgung im Sinne von § 1 Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung (BetrAVG) vor. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts rechnen hierzu alle Leistungen, mit denen ein Versorgungszweck verfolgt wird, wenn der Versorgungsanspruch durch ein biologisches Ereignis (Alter, Invalidität oder Tod) ausgelöst wird und diese Leistung aus Anlass eines Arbeitsverhältnisses zugesagt wird4. Diese Definition kann für die Beitragspflicht zur Krankenversicherung übernommen werden5. Wegen der zeitlich begrenzten Zahlung bis zum Beginn einer Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung diente es insbesondere nicht zur Altersversorgung des Klägers. Das „Frühruhestandsgeld“ diente dazu, den Zeitraum bis zum Bezug einer Altersrente zu überbrücken. Nach § 7 Nr. 1 der Betriebsvereinbarung besteht die Pflicht, sich arbeitslos zu melden und Arbeitslosengeld zu beantragen, und damit die – wenn auch geringe – Chance auf eine neue Beschäftigung zu wahren und aufrechtzuerhalten sowie weiter auch die Pflicht, zum frühestmöglichen Zeitpunkt einen Antrag auf Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung zu stellen, mithin Altersrente mit Abschlag in Anspruch zu nehmen.

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Wenn das gezahlte „Frühruhestandsgeld“ eine Leistung der betrieblichen Altersversorgung wäre – wovon die Beklagten im Widerspruchsbescheid ausgegangen sind -, hätte das „Frühruhestandsgeld“ im Übrigen von Beginn der Zahlung mit dem vollen Zahlbetrag und nicht anteilig bei der Bemessung der Beiträge berücksichtigt werden müssen.

Das dem Kläger gezahlte „Frühruhestandsgeld“ ist jedoch als sonstige Einnahme anzusehen. Denn es bestimmt die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Klägers, weil es dazu dienen soll, den Lebensunterhalt des Klägers zwischen dem Ende des Beschäftigungsverhältnisses und dem Beginn einer Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung zu sichern. Dies ergibt sich schon aus der Höhe des gezahlten „Frühruhestandsgelds“, die an die Höhe der zuletzt gezahlten Vergütungen anknüpft. Zudem werden die Lohnersatzleistungen Arbeitslosengeld und Krankengeld auf das „Frühruhestandsgeld“ angerechnet.

Die Satzungsregelung und die Regelung der Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler hinsichtlich sonstiger Einnahmen ist in Bezug auf das dem Kläger gezahlte „Frühruhestandsgeld“ deshalb auch nicht zu unbestimmt6. Weil das gezahlte „Frühruhestandsgeld“ zum Bestreiten des Lebensunterhalts bestimmt ist, wäre es jedenfalls bei einem Versicherungspflichtigen beitragspflichtig. Wäre die Satzungsregelung und die Regelung der Beitragsverfahrensgrundsätzen Selbstzahler betreffend die sonstigen Einnahmen zu unbestimmt, hätte dies zur Folge, dass das „Frühruhestandsgeld“ überhaupt nicht bei der Bemessung der Beiträge berücksichtigt werden könnte.

Da eine wesentliche Änderung der (rechtlichen) Verhältnisse bezüglich der Frage, ob das gezahlte „Frühruhestandsgeld“ nur anteilig oder – richtigerweise – vollständig der Bemessung der Beiträge zugrunde zu legen ist, nicht vorliegt, kommt es auf die Frage, ob die Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler wirksam erlassen worden sind, nicht an. Im Übrigen ist bereits durch die gesetzliche Regelung des § 240 SGB V weitgehend vorgegeben, welche Einnahmen bei der Bemessung der Beiträge freiwillig Versicherter zu berücksichtigen sind, und deshalb in der Vergangenheit der Krankenkasse als Satzungsgeber und nunmehr der Spitzenverband Bund der Krankenkassen nur wenig Spielraum blieben oder bleiben, um die beitragspflichtigen Einnahmen zu bestimmen.

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Für den Zeitraum vom 28. Februar bis 31. Mai 2011, in welchem der Kläger als Rentenantragsteller versicherungspflichtiges Mitglied der Beklagten zu 1) in der Krankenversicherung der Rentner war, richtete sich die Erhebung der Beiträge in entsprechender Anwendung des § 240 SGB V (§ 239 SGB V).

Hinsichtlich der Beiträge zur sozialen Pflegeversicherung gilt dasselbe. Denn nach § 57 Abs. 4 Satz 1 SGB XI gelten die für die Krankenversicherung genannten Vorschriften auch für die Beitragsbemessung in der Pflegeversicherung.

Um den gesamten Zahlbetrag des „Frühruhestandsgeldes“ der Berechnung der Beiträge ab 1. Juli 2009 zugrunde zu legen, hätten die Beklagten den letzten Beitragsbescheid vom 19. Dezember 2008 nach § 45 SGB X aufheben müssen. Unabhängig davon, dass dies – wie oben ausgeführt – nicht erfolgt ist, kann eine Umdeutung nicht erfolgen und es liegen auch die Voraussetzungen hierfür nicht vor.

Eine Umdeutung des Bescheids vom 19. Juni 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. Januar 2010 dahin, dass er den vorangegangenen Bescheid vom 19. Dezember 2008 nach § 45 SGB X aufhebt, ist schon nicht möglich. Nach § 43 Abs. 1 SGB X kann ein fehlerhafter Verwaltungsakt in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden können und die Voraussetzungen für dessen Erlass erfüllt sind. Eine Entscheidung, die nur als gesetzlich gebundene Entscheidung ergehen kann, kann nach § 43 Abs. 3 SGB X nicht in eine Ermessensentscheidung umgedeutet werden. Die Entscheidung, einen Verwaltungsakt wegen wesentlicher Änderung der Verhältnisse für die Zukunft nach § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X aufzuheben, ist eine gebundene Entscheidung. Demgegenüber erfordert eine Aufhebung nach § 45 SGB X auch für die Zukunft – außer im hier nicht vorliegenden Fall betrügerischer Leistungserschleichung7 – die Ausübung und Anwendung von Ermessen.

Nach § 45 Abs. 1 SGB X darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), soweit er rechtswidrig ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Nach § 45 Abs. 2 SGB X darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist (Satz 1). Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann (Satz 2). Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit

  1. er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat,
  2. der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder
  3. er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (Satz 3).
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Die Voraussetzungen des Satz 3 sind nicht gegeben. Dies behaupten die Beklagten auch nicht. Auch dürfte das Vertrauen des Klägers schutzwürdig sein. Dies muss aber nicht abschließend entschieden werden. Denn auch wenn das Vertrauen des Klägers schutzwürdig wäre, wäre die Aufhebung nach § 45 SGB X rechtswidrig, weil die Beklagten das für eine solche Entscheidung erforderlichen Ermessen nicht ausgeübt haben. Da sie sich gar nicht bewusst waren, eine Entscheidung nach § 45 SGB X treffen zu müssen, liegt schon keine Ermessensausübung vor.

Da eine wesentliche Änderung nicht eingetreten ist, kann der Bemessung der Beiträge des Klägers auch in der Zeit vom 1. Juli 2009 bis 31. Mai 2011 wie zuvor nur der anteilige Betrag des „Frühruhestandsgelds“ in Höhe von 30 v.H zugrundegelegt werden.

Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 22. Juli 2011 – L 4 KR 5088/10

  1. Bundestags-Drucksache 16/3100, S. 164[]
  2. Bundestags-Drucksache 16/3100, S. 163[]
  3. zum Ganzen BSG, Urteil vom 07.03.2007 – B 12 KR 4/06 R – m.w.N.[]
  4. vgl. BAG, Urteil vom 26.06.1990 – 3 AZR 641/88[]
  5. BSG, Urteil vom 26.03.1996 – 12 RK 44/94[]
  6. zu generalklauselartigen Satzungsregelungen vgl. BSG SozR 4-2500 § 240 Nr. 1[]
  7. vgl. hierzu BSG, Urteile vom 25.01.1994 – 4 RA 16/92 und 05.11.1997 – 9 RV 20/96[]