Göttinger Transplantationsskandal – und der Vergütungsanspruch der Universitätsklinik

Der Vergütungsanspruch eines Krankenhauses für eine medizinisch erforderliche Transplantation eines im vorgesehenen Verfahren zugeteilten Organs entfällt nicht dadurch, dass das Krankenhaus falsche Angaben zur Dringlichkeit der Transplantation an Eurotransplant gemeldet hat.

Göttinger Transplantationsskandal – und der Vergütungsanspruch der Universitätsklinik

Mit dieser Begründung hat das Bundessozialgericht die Revision der Krankenkasse in einem der Fälle des „Göttinger Transplantationsskandals“ zurückgewiesen. Im entschiedenen Fall stand fest, dass die Organtransplantationen medizinisch indiziert waren und einwandfrei durchgeführt wurden. Verletzt wurden die Regelungen zur Meldung der für die Organzuteilung erforderlichen Angaben. Diesen Regelungen kommt aber keine Vergütungsrelevanz zu. Die Vorschriften über die Organverteilung und die damit verbundenen Meldepflichten haben keine qualitätssichernde Zielrichtung. Sie dienen der Herstellung von Verteilungsgerechtigkeit. Ihre Einhaltung ist keine Voraussetzung der Leistungserbringung zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung.

In dem hier vom Bundessozialgericht entschiedenen Fall ging es um die Rückzahlung bereits gezahlter Vergütung für stationäre Krankenhausbehandlungen, die die Kaufmännische Krankenkasse KKH von der Georg-August-Universität Göttingen Stiftung Öffentlichen Rechts als Trägerin des betroffenen Hochschulklinikums begehrt. In dieser Uniklinik wurden zwei Versicherten der klagenden Krankenkasse in den Jahren 2010 und 2011 jeweils Spenderlebern transplantiert. Die Eingriffe waren medizinisch indiziert und wurden nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt. Für die stationären Aufenthalte stellte das Krankenhaus der Krankenkasse insgesamt 157 159,31 Euro (108 598,11 Euro und 48 561,20 Euro) in Rechnung, welche die Krankenkasse zunächst vollständig beglich. Nach einem anonymen Hinweis im Juli 2011 erstattete die Beklagte Strafanzeige gegen einen seinerzeit in der Transplantationschirurgie beschäftigten leitenden Oberarzt. Im Zuge der staatsanwaltlichen Ermittlungen stellte sich heraus, dass verantwortliche Mitarbeiter des Krankenhauses falsche Meldungen an Eurotransplant, die zentrale Vermittlungsstelle für Organspenden, vorgenommen hatten. Im Falle der bei der Krankenkasse versicherten Patienten waren wahrheitswidrige Angaben zu vorangegangenen Dialysebehandlungen getätigt worden. Dies hatte dazu geführt, dass die Patienten mit einem höheren Schweregrad ihrer Erkrankung eingestuft wurden und einen höheren Platz auf der Warteliste erhielten. Das gegen den leitenden Oberarzt wegen Verdachts des versuchten Totschlags und Körperverletzung geführte Strafverfahren endete mit einem Freispruch.

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Das erstinstanzlich hiermit befasste Sozialgericht Hildesheim hat die Beklagte zur Rückzahlung von 157.159,31 Euro nebst Zinsen verurteilt1. Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen hat das Urteil des Sozialgerichts Hildesheim auf die Berufung der Uniklinik aufgehoben und die Klage der Krankenkasse abgewiesen2. Die ordnungsgemäße Meldung der Daten an Eurotransplant sei keine formale oder inhaltliche Voraussetzung der Entstehung eines Vergütungsanspruchs für die stationäre Krankenhausbehandlung eines Transplantationspatienten. Auch die Erforderlichkeit der stationären Leistungen entfalle bei Falschmeldungen nicht. Ein Verstoß gegen die Meldepflichten habe keinen Einfluss auf die Eignung und Qualität der erbrachten Transplantationen. Die Falschangaben hätten sich lediglich auf das Ausmaß der Dringlichkeit bezogen, nicht auf das Erfordernis einer Transplantation als solcher.

Das Bundessozialgericht hat die hiergegen gerichtete Revision der Krankenkasse als unbegründet zurückgewiesen; der geltend gemachte Rückzahlungsanspruch steht ihr weder auf Grundlage eines Erstattungsanspruchs noch im Wege eines Schadensersatzanspruchs zu:

Der Vergütungsanspruch des Krankenhauses für die medizinisch erforderliche Transplantation eines im vorgesehenen Verfahren zugeteilten Organs entfällt nicht dadurch, dass das Krankenhaus falsche Angaben zur Dringlichkeit der Transplantation an die Vermittlungsstelle gemeldet hat. Nach den bindenden Feststellungen des Landessozialgerichts steht fest, dass die Organtransplantationen medizinisch indiziert waren und entsprechend den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt wurden. Verletzt wurden dagegen die transplantationsrechtlichen Regelungen zur Übermittlung der für die Organzuteilung durch Eurotransplant erforderlichen Angaben. Diesen Regelungen kommt aber keine Vergütungsrelevanz zu.

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Die hier betroffenen Regelungen über die Verteilung von Spenderorganen dienen nicht der Qualitätssicherung im System der gesetzlichen Krankenversicherung. Sie sollen nicht ein bestimmtes Niveau der Beschaffenheit der Leistungen sichern, sondern dienen der gerechten Verteilung von Überlebenschancen. In diesem Sinne gewährleistet das Transplantationsrecht die notwendigen Rahmenbedingungen für die Organzuteilung, die Einhaltung der Vorgaben ist aber keine formale oder inhaltliche Voraussetzung der Leistungserbringung. Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur fehlenden Erstattungsfähigkeit von Behandlungskosten einer im Ausland vorgenommenen Organtransplantation, wenn der Versicherte sich das Spenderorgan unter vollständiger Umgehung des in Deutschland nach dem Transplantationsgesetz maßgeblichen Vergabesystems beschafft hat (Bundessozialgericht vom 17.2.2004 – B 1 KR 5/02 R), ist auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar.

Ein Schadensersatzanspruch der Krankenkasse scheidet aus, da es angesichts des Schutzzwecks des Transplantationsgesetzes an einer Pflichtverletzung im Hinblick auf den Vergütungsanspruch fehlt.

Das Bundessozialgericht hat dabei nicht verkannt, dass das Vertrauen in ein gerechtes Verteilungssystem für Spenderorgane durch Manipulationen nachhaltig beschädigt wird. Dies gefährdet die Funktionsfähigkeit des Systems, das auf freiwillige Organspenden angewiesen ist. Für die Voraussetzungen eines Vergütungsanspruchs des Krankenhauses spielen diese Gerechtigkeitserwägungen nach dem hier maßgeblichen Recht aber keine Rolle.  Zur Sanktionierung von Falschmeldungen gegenüber Eurotransplant hat der Gesetzgeber in der Folge des Transplantationsskandals 2013 einen Straftatbestand geschaffen. Weiterhin ist aber weder die Transplantation des im Zusammenhang mit einer Falschmeldung zugeteilten Organes verboten, noch der Vergütungsanspruch ausdrücklich ausgeschlossen. 

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Das Bundessozialgericht entschied hier nur über den Vergütungs- bzw. Rückforderungsanspruch. Es mußte nach allem nicht entscheiden, ob die Regelungen zur Organvermittlung verfassungsgemäß und damit rechtlich verbindlich sind.

Bundessozialgericht, Urteil vom 7. März 2023 – B 1 KR 3/22 R

  1. SG Hildesheim, Urteil vom 21.10.2019 – S 22 KR 405/14[]
  2. LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 18.01.2022 – L 16/4 KR 506/19[]

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