Der „Gesamtplan“ des Kindes, sein Berufsziel erst durch eine weitere Ausbildung zu erreichen, ist nicht das allein maßgebliche Kriterium für die Annahme einer einheitlichen Erstausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG.

Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ist der Erstausbildungsbegriff des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG enger auszulegen als das in § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG verwendete Tatbestandsmerkmal „Kind, das … für einen Beruf ausgebildet wird“1. In Fällen, in denen die einheitliche Erstausbildung mit daneben ausgeübter Erwerbstätigkeit von einer berufsbegleitend durchgeführten Weiterbildung (Zweitausbildung) abzugrenzen ist, sind die bereits bestehenden Rechtsprechungsgrundsätze -wie der Bundesfinanzhof bereits im Urteil in BFHE 263, 209, BStBl II 2019, 765 entschieden hat- fortzuentwickeln und zu präzisieren.
Danach kann es an einer einheitlichen Erstausbildung auch dann fehlen, wenn das Kind nach Erlangung des ersten Abschlusses in einem öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang eine Berufstätigkeit aufnimmt und die daneben in einem weiteren Ausbildungsabschnitt durchgeführten Ausbildungsmaßnahmen gegenüber der Berufstätigkeit in den Hintergrund treten. Ob die nach Erlangung des Abschlusses aufgenommene Berufstätigkeit die Hauptsache und die weiteren Ausbildungsmaßnahmen eine auf Weiterbildung und/oder Aufstieg in dem bereits aufgenommenen Berufszweig gerichtete Nebensache darstellen, ist dabei mittels einer Gesamtwürdigung der Verhältnisse anhand der vom Bundesfinanzhof in seiner Entscheidung in BFHE 263, 209, BStBl II 2019, 765, Rz 16 ff. genannten Kriterien, auf die hier verwiesen wird, zu entscheiden.
Über die Frage, ob die einzelnen Ausbildungsabschnitte zu einer einheitlichen Erstausbildung gehören, entscheidet das Finanzgericht unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Zwar ist die finanzrichterliche Überzeugungsbildung revisionsrechtlich nur eingeschränkt auf Verstöße gegen Denkgesetze und allgemeine Erfahrungssätze überprüfbar. Das Finanzgericht hat jedoch im Einzelnen darzulegen, wie und dass es seine Überzeugung in rechtlich zulässiger und einwandfreier Weise gewonnen hat2. Die aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens zu gewinnende Würdigung des Finanzgericht ist nur dann ausreichend und für das Revisionsgericht bindend, wenn sie auf einer logischen, verstandesmäßig einsichtigen Würdigung zutreffender Kriterien beruht, deren nachvollziehbare Folgerungen den Denkgesetzen entsprechen und von den festgestellten Tatsachen getragen werden. Fehlt es an einer tragfähigen Tatsachengrundlage für die Folgerungen in der tatrichterlichen Entscheidung oder fehlt die nachvollziehbare Ableitung dieser Folgerungen aus den festgestellten Tatsachen und Umständen, liegt ein Verstoß gegen die Denkgesetze vor3.
Im hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Streitfall ist dem erstinstanzlich tätigen Finanzgericht Nürnberg4 ein solcher Rechtsanwendungsfehler unterlaufen:
Das Finanzgericht ist zwar zutreffend davon ausgegangen, dass der Sohn M im Streitzeitraum -Februar 2014 bis einschließlich Februar 2015- die Voraussetzungen eines Berücksichtigungstatbestands nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG erfüllte, da der Sohn durch das Studium i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG für einen Beruf ausgebildet wurde.
Revisionsrechtlich zu beanstanden ist allerdings die Würdigung des Finanzgerichts Nürnberg, dass der berufsbegleitende Studiengang „Bankfachwirt“ zusammen mit der Ausbildung zum Bankkaufmann noch eine einheitliche Erstausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG bildete. Entgegen der Ansicht des Finanzgerichts kann der „Gesamtplan“ des Kindes, die Ausbildung endgültig erst mit Abschluss des Bankbetriebswirtes als beendet anzusehen, nach den oben fortentwickelten Rechtsgrundsätzen des Bundesfinanzhofs nicht das allein maßgebliche Kriterium für die Annahme einer einheitlichen Erstausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG sein und alle anderen Kriterien „überlagern“. Der Bundesfinanzhof hat ausdrücklich in seinen neuen Entscheidungen darauf hingewiesen, dass er an den Rechtsgrundsätzen in seinen Urteilen in BFHE 246, 427, BStBl II 2015, 152; und vom 08.09.20165 nicht mehr festhält6. Eine einheitliche Erstausbildung im Rahmen des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG kann daher durch das angestrebte Berufsziel des Kindes nicht nachvollziehbar begründet werden.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 14. April 2021 – III R 50/20
- BFH, Urteil vom 03.07.2014 – III R 52/13, BFHE 246, 427, BStBl II 2015, 152, Rz 22 ff.[↩]
- BFH, Beschluss vom 13.03.1997 – I B 78/96, BFH/NV 1997, 772[↩]
- z.B. BFH, Urteil vom 26.06.2014 – VI R 51/13, BFHE 246, 326, BStBl II 2015, 9, Rz 21, m.w.N.; BFH, Urteile vom 16.04.2015 – III R 6/14, BFH/NV 2015, 1237, Rz 16, m.w.N.; und vom 19.01.2017 – III R 44/14, BFH/NV 2017, 735, Rz 22[↩]
- FG Rheinland-Pfalz , 18.12.2019 – 2 K 2059/18[↩]
- BFH, Urteil vom 08.09.2016 – III R 27/15, BFHE 255, 202, BStBl II 2017, 278[↩]
- BFH, Urteil vom 19.02.2020 – III R 28/19, BFHE 268, 308, BStBl II 2020, 562, Rz 20[↩]