Kindergeld – und die Grenzen der Überprüfungsmöglichkeit im Einspruchsverfahren

Die der Familienkasse eingeräumte Überprüfungsmöglichkeit im Einspruchsverfahren findet ihre Grenze in dem angefochtenen Verwaltungsakt als formellem Gegenstand des Einspruchs.

Kindergeld – und die Grenzen der Überprüfungsmöglichkeit im Einspruchsverfahren

Im Einspruchsverfahren ist die Sache zwar gemäß § 367 Abs. 2 Satz 1 AO in vollem Umfang, unabhängig von dem Vorbringen und dem Rechtsbehelfsantrag des Einspruchsführers, erneut zu überprüfen. Der Verwaltungsakt kann auch gemäß § 367 Abs. 2 Satz 2 AO nach einem entsprechenden Hinweis zum Nachteil des Einspruchsführers geändert werden. Sowohl die Überprüfung als auch die Verböserungsmöglichkeit haben jedoch ihre Grenze in dem angefochtenen Verwaltungsakt als dem formellen Gegenstand des Einspruchs1. Es darf demnach nur der steuerlich erhebliche Vorgang, der Gegenstand des angefochtenen Verwaltungsakts gewesen ist, auch Gegenstand der Einspruchsentscheidung sein2.

Dabei kann der Bundesfinanzhof dahingestellt sein lassen, ob es sich bei der in der Begründung des Bescheids vom 22.02.2018 verweigerten Nachzahlung um einen förmlichen Abrechnungsbescheid i.S. des § 218 Abs. 2 AO gehandelt hat. Jedenfalls stellen die vorbehaltlose Festsetzung und die Verfügung über die Nichtauszahlung jeweils eigenständige Verwaltungsakte i.S. des § 118 AO dar. Beide enthalten eigenständige Regelungen der Familienkasse, die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet sind. Um der Festsetzung ihren konstitutiven Charakter zu nehmen, hätte bereits diese in einer für den Erklärungsempfänger erkennbaren Weise dahingehend eingeschränkt werden müssen, dass ihr nur deklaratorische Funktion -insbesondere zur Wahrung von kindergeldabhängigen Annexansprüchen- zukommen soll3. Dies ist jedoch nicht geschehen. Die ohne jegliche Einschränkung erfolgte Festsetzung begründete daher für den Streitzeitraum einen Kindergeldanspruch.

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Die Einspruchsentscheidung vom 28.09.2018 war danach rechtswidrig, weil die Familienkasse insoweit über den Gegenstand des Einspruchsverfahrens hinausgegangen ist. Zwar lautet der Tenor nur, dass der Einspruch als unbegründet zurückgewiesen wird, sodass die Einspruchsentscheidung die nicht angefochtene vorbehaltlose Kindergeldfestsetzung an sich unberührt lässt. Aus der Begründung der Einspruchsentscheidung ergibt sich aber, dass die Familienkasse die Auffassung vertritt, die Kindergeldfestsetzung sei bereits abgelehnt worden. Mit dieser in der Einspruchsentscheidung abgegebenen Begründung wird zumindest der Rechtsschein erweckt, dass bereits die Festsetzung des Kindergeldes abgelehnt wird. Hierfür fehlte der Familienkasse aber nach der nicht angegriffenen vorbehaltlosen Festsetzung die Entscheidungsbefugnis. Da sich der Vater aufgrund der Einspruchsentscheidung einer Situation gegenübersieht, die den Rechtsschein erweckt, ein Verwaltungsakt (hier: Ablehnung der Festsetzung) existiere bereits, muss -zur Rechtsschutzwahrung (Art.19 Abs. 4 GG)- die Einspruchsentscheidung aufgehoben werden.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 14. April 2021 – III R 50/20

  1. BFH, Urteile vom 28.11.1989 – VIII R 40/84, BFHE 159, 410, BStBl II 1990, 561; vom 28.07.1993 – II R 50/90, BFH/NV 1993, 712; BFH, Beschluss vom 04.07.2013 – X B 91/13, BFH/NV 2013, 1540, Rz 18[]
  2. BFH, Urteil vom 08.11.1994 – VII R 1/93, BFH/NV 1995, 657[]
  3. vgl. BFH, Urteil vom 22.04.2020 – III R 33/19, BFH/NV 2021, 350, Rz 30[]

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