Der krankheitsbedingte Abbruch eines Freiwilligendienstes führt zum Verlust des Kindergeldanspruchs. Die Grundsätze zum Fortbestehen eines Kindergeldanspruchs bei einer Unterbrechung der Berufsausbildung wegen Krankheit sind auf die vorzeitige Beendigung eines Freiwilligendienstes wegen Krankheit nicht entsprechend anwendbar.

Nach § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 1, Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d EStG besteht Anspruch auf Kindergeld für ein Kind, das das 18., aber noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet hat, wenn es ein im Gesetz genanntes freiwilliges soziales oder ein freiwilliges ökologisches Jahr leistet.
Im hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall erfüllt die Tochter T nicht die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d EStG, da sie im Streitzeitraum Juni 2018 bis Dezember 2018 aufgrund ihrer Erkrankung keinen Freiwilligendienst bei einem anerkannten Träger leistete. Der Freiwilligendienst bei der Johanniter-Unfall-Hilfe wurde zum 31.05.2018 gekündigt und damit beendet. Mangels rechtlicher Bindung zu dem Träger (Johanniter-Unfall-Hilfe) liegt auch keine möglicherweise unschädliche krankheitsbedingte zeitweise Unterbrechung, sondern eine Beendigung des Freiwilligendienstes vor.
Es liegt auch kein Berücksichtigungstatbestand nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG vor.
Hiernach wird ein Kind berücksichtigt, das sich in einer Übergangszeit von höchstens vier Monaten zwischen zwei Ausbildungsabschnitten oder zwischen einem Ausbildungsabschnitt und der Ableistung eines freiwilligen Dienstes i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d EStG befindet.
Der Bundesfinanzhof kann dahinstehen lassen, ob von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG entgegen dem Wortlaut unter besonderen Umständen auch Zeiten zwischen zwei freiwilligen Diensten erfasst werden können, da bei einer Fristüberschreitung ‑wie im Streitfall- die Berücksichtigung vollständig entfällt1. Selbst wenn das Kind es nicht zu vertreten hat, dass die Wartezeit mehr als vier Monate beträgt, ist es nicht zu berücksichtigen2. Die Norm kann bei längeren Übergangszeiten auch nicht analog angewandt werden3.
Bei der Tochter T handelt es sich auch nicht um ein Kind, das eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatz nicht beginnen oder fortsetzen kann (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG).
Ein FSJ stellt grundsätzlich keine Berufsausbildung dar4. Es dient regelmäßig nicht der Vorbereitung auf einen konkret angestrebten Beruf, sondern der Erlangung sozialer Erfahrungen und der Stärkung des Verantwortungsbewusstseins für das Gemeinwohl5. Anhaltspunkte dafür, dass im Streitfall die Tätigkeit während des FSJ ausnahmsweise Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen für einen konkret angestrebten Beruf vermitteln sollte, sind weder festgestellt noch vorgetragen.
Da die Ableistung eines FSJ keine Berufsausbildung darstellt, ist auch das Warten auf eine Stelle für die Ableistung des freiwilligen Dienstes nicht nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG begünstigt6.
Eine analoge Anwendung des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG auf Fälle, in denen ein FSJ aufgrund von Krankheit oder sonstigen Umständen nicht begonnen werden kann, ist nicht möglich.
Die für eine analoge Anwendung erforderliche „planwidrige“ Regelungslücke liegt nicht vor. Zur Begründung wird auf die ständige BFH-Rechtsprechung verwiesen7.
Entgegen der Ansicht des in der Vorinstanz tätigen Hessischen Finanzgerichts8 sind aus diesen Gründen auch die Rechtsgrundsätze des BFH nicht entsprechend anwendbar, der die Unterbrechung der Berufsausbildung wegen Erkrankung oder Beschäftigungsverbot nach dem Mutterschutzgesetz für den Berücksichtigungstatbestand des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG als unschädlich angesehen hat9. Denn dieser Rechtsprechung liegt der Gedanke zugrunde, dass ein Kind, das einen Ausbildungsplatz hat und ausbildungswillig ist, sich aber aus objektiven Gründen zeitweise nicht der Ausbildung unterziehen kann, nicht anders zu behandeln ist als ein Kind, das sich ernsthaft um einen Ausbildungsplatz bemüht, einen solchen aber nicht findet und deshalb nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG berücksichtigt wird.
Ein dem § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG vergleichbarer Berücksichtigungstatbestand ist für die freiwilligen sozialen Dienste hingegen gesetzlich nicht vorgesehen. Der Gesetzgeber behandelt im Rahmen des Familienlastenausgleichs (§§ 31 f., §§ 62 ff. EStG) die Berufsausbildung bewusst anders als die Freiwilligendienste. Es läge vielmehr eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung vor, wenn ein Kind, das aufgrund einer Erkrankung sein FSJ gar nicht erst beginnen kann, nur bei körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG) Kindergeld erhielte, während ein Kind, bei dem die Erkrankung während des FSJ eintritt und zur Beendigung des Dienstes führt, ohne Weiteres Kindergeld bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres (bzw. Gesundung) erhalten würde10.
Darüber hinaus ist es verfassungsrechtlich nicht geboten, das Existenzminimum eines Kindes, das einen Freiwilligendienst leistet, auf einen solchen wartet oder einen solchen aufgrund von Krankheit beenden muss, bei den Eltern durch Kindergeld oder Kinderfreibetrag von der Einkommensteuer freizustellen11. Der im Einzelfall bestehenden Unterhaltspflicht wegen mangelnder tatsächlicher Erwerbsmöglichkeiten des Kindes aufgrund von Krankheit wird durch die Steuerentlastung nach § 33a EStG ausreichend Rechnung getragen12. Dies genügt auch dem verfassungsrechtlichen Gebot der steuerlichen Verschonung des Familienexistenzminimums13.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 9. September 2020 – III R 15/20
- BFH, Urteil vom 16.04.2015 – III R 54/13, BFHE 249, 507, BStBl II 2016, 25, Rz 16, m.w.N.[↩]
- BFH, Beschluss vom 02.04.2004 – VIII B 175/03[↩]
- BFH, Urteil vom 24.05.2012 – III R 59/10, BFH/NV 2012, 1951, m.w.N.; Blümich/Selder, § 32 EStG, Rz 56, m.w.N.[↩]
- BFH, Urteile vom 24.06.2004 – III R 3/03, BFHE 206, 413, BStBl II 2006, 294; vom 07.04.2011 – III R 11/09, BFH/NV 2011, 1325; BFH, Beschluss vom 25.11.2014 – VI B 1/14, BFH/NV 2015, 332[↩]
- BFH, Urteil vom 13.12.2018 – III R 25/18, BFHE 263, 53, BStBl II 2019, 256, Rz 20[↩]
- BFH, Urteil vom 15.07.2003 – VIII R 78/99, BFHE 203, 90, BStBl II 2003, 841[↩]
- BFH, Urteile vom 22.12.2011 – III R 5/07, BFHE 236, 137, BStBl II 2012, 678; vom 09.02.2012 – III R 68/10, BFHE 236, 421, BStBl II 2012, 686; BFH, Urteile vom 24.08.2004 – VIII R 101/03, BFH/NV 2005, 198; vom 16.03.2004 – VIII R 86/02, BFH/NV 2004, 1242; in BFHE 203, 90, BStBl II 2003, 841; vom 15.07.2003 – VIII R 92/01, BFH/NV 2004, 173; vom 15.07.2003 – VIII R 75/00, HFR 2004, 137[↩]
- Hess. FG, Urteil vom 29.01.2020 – 9 K 182/19[↩]
- BFH, Urteil in BFHE 203, 106, BStBl II 2003, 848; BFH, Urteile vom 20.07.2006 – III R 69/04, BFH/NV 2006, 2067; vom 13.06.2013 – III R 58/12, BFHE 242, 118, BStBl II 2014, 834[↩]
- vgl. FG Münster, Urteil vom 09.08.2013 – 14 K 4138/10 Kg, AO Rz 42[↩]
- vgl. BFH, Urteil in BFH/NV 2011, 1325; vom 24.05.2012 – III R 68/11, BFHE 238, 394, BStBl II 2013, 864, Rz 11; BFH, Beschluss vom 18.06.2014 – III B 19/14, BFH/NV 2014, 1541[↩]
- vgl. BFH, Urteil in BFHE 236, 137, BStBl II 2012, 678, Rz 25; Helmke/Bauer in Helmke/Bauer, Familienleistungsausgleich, Kommentar, Fach A Steuerlicher Familienleistungsausgleich, I. Kommentierung, § 32 EStG Rz 80[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 17.06.2010 – III R 35/09, BFHE 230, 523, BStBl II 2011, 176, Rz 11[↩]