Ob der Anspruchsteller nach § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt steuerpflichtig behandelt wurde und deshalb nach § 62 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG Kindergeld beanspruchen kann, richtet sich nach dem Einkommensteuerbescheid, soweit dieser nicht auf falschen Angaben des Steuerpflichtigen beruht1. Dies gilt auch dann, wenn der Bescheid materiell-rechtliche Fehler aufweist.

Nach § 62 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG hat Anspruch auf Kindergeld, wer nach § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt wird. Bei Anwendung des § 62 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG liegt eine Behandlung „nach § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig“ jedoch nicht notwendig für das gesamte Kalenderjahr vor, d.h. den Veranlagungszeitraum i.S. von § 25 Abs. 1 EStG, sondern aufgrund der kindergeldspezifischen monatsbezogenen Betrachtungsweise des § 66 Abs. 2 EStG nur in den Kalendermonaten, in denen der Kindergeldberechtigte Einkünfte i.S. des § 49 EStG erzielt, die nach § 1 Abs. 3 EStG der Einkommensteuer unterliegen2.
Im hier entschiedenen Fall hat die Mutter aus der Verpachtung ihres früheren Hotelbetriebs Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielt; dies stimmt mit der teilweisen Ablichtung des Einkommensteuerbescheids für 2016 in der Kindergeldakte überein. Ob die Einkünfte aus der grenzüberschreitenden Verpachtung des Hotelbetriebs als inländische gewerbliche Einkünfte (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 15 EStG) oder stattdessen als inländische Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung (§ 49 Abs. 1 Nr. 6 i.V.m. § 21 EStG) zu qualifizieren sind, wie die Familienkasse vermutet, ist nicht vollständig zweifelsfrei, aber unerheblich.
Auf die Frage, ob das Finanzamt die inländischen Einkünfte im Einkommensteuerbescheid der zutreffenden Einkunftsart zugeordnet hat, kommt es jedoch nicht an. Denn dem Steuerbescheid kommt für den Kindergeldanspruch Bindungswirkung zu, soweit er nicht auf falschen Angaben des Steuerpflichtigen beruht3, wofür im Streitfall nichts ersichtlich ist. Der Wortlaut des § 62 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG fordert auch nur eine tatsächliche Behandlung nach § 1 Abs. 3 EStG, nicht aber einen hinsichtlich aller Besteuerungsgrundlagen materiell-rechtlich zutreffenden Steuerbescheid. Zudem kann eine Behandlung nach § 1 Abs. 3 EStG auf inländischen Einkünften jeder der sieben Einkunftsarten (§ 2 Abs. 1 EStG) beruhen.
Nach § 62 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG hat Anspruch auf Kindergeld, wer nach § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt wird.
Die Anspruchsberechtigung nach § 62 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG hängt damit -anders als in den Fällen des § 62 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 Buchst. a EStG- von der tatsächlichen einkommensteuerrechtlichen Behandlung des Antragstellers ab. Eine Behandlung nach § 1 Abs. 3 EStG setzt voraus, dass das Finanzamt in dem maßgeblichen Einkommensteuerbescheid dem Antrag des Steuerpflichtigen entsprochen und ihn demnach gemäß § 1 Abs. 3 EStG veranlagt hat4. Da der nach § 1 Abs. 3 Satz 1 EStG erforderliche Antrag für jeden Veranlagungszeitraum neu zu stellen ist -in der Regel nach dessen Ablauf5-, bedarf es eines Beweismittels, aus dem sich ergibt, dass für den betreffenden Anspruchszeitraum bereits eine entsprechende steuerliche Behandlung nach § 1 Abs. 3 EStG durch das zuständige Finanzamt vorgenommen wurde.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 23. März 2021 – III R 11/20
- BFH, Urteil vom 22.02.2018 – III R 10/17, BFHE 261, 214, BStBl II 2018, 717[↩]
- BFH, Urteil vom 14.03.2018 – III R 5/17, BFHE 261, 117, BStBl II 2018, 482, Rz 11 und 13[↩]
- BFH, Urteil in BFHE 261, 214, BStBl II 2018, 717[↩]
- BFH, Urteile vom 18.07.2013 – III R 59/11, BFHE 242, 228, BStBl II 2014, 843, Rz 46, und in BFHE 261, 214, BStBl II 2018, 717[↩]
- Gosch in Kirchhof, EStG, 20. Aufl., § 1 Rz 25[↩]