Verletzt sich eine Schülerin auf der Klassenfahrt durch einen Sturz vom Bett, muss die Unfallkasse hierfür keine Entschädigung leisten.
Schüler sind nicht nur während des Unterrichts, sondern auch während einer Klassenfahrt gesetzlich unfallversichert. Der Versicherungsschutz ist allerdings auf den organisatorischen Verantwortungsbereich der Schule beschränkt. Versichert sind daher nur die Betätigungen, die in einem sachlichen Zusammenhang mit der Tätigkeit als Schüler stehen. Widmet sich ein Schüler hingegen rein persönlichen Belangen, so fällt dies nicht unter den gesetzlichen Unfallversicherungsschutz.
Wird ein Schüler aufgrund eines gesundheitlich bedingten Krampfens von einer Teilhabeassistenz auf das Bett gesetzt und verletzt sich beim Herabfallen, so ist dies deshalb keiner versicherten Tätigkeit zuzurechnen.
Dies entschied jetzt das Hessische Landessozialgericht in dem Fall einer Schülerin aus dem Landkreis Fulda, die an neurologischen Ausfallerscheinungen und Epilepsie leidet. Als Schülerin einer Förderschule nahm sie in Begleitung einer Teilhabeassistentin an einer mehrtägigen Klassenfahrt teil. Als die damals 17-jährige Schülerin zum Frühstück gehen wollte, krampfte sie und wurde daraufhin von der Teilhabeassistentin auf das Bett gesetzt, von welchem sie aus ungeklärten Umständen herabfiel und sich dabei an den Zähnen verletzte. Die Unfallkasse lehnte die Gewährung von Entschädigungsleistungen ab. Der Unfall sei aufgrund eines erlittenen Krampfanfalls und nicht wegen betrieblicher Umstände erfolgt.
Wie zuvor bereits das Sozialgericht Fulda1 verneinte nun auch das Hessische Landessozialgericht einen versicherten Schulunfall:
Zwar seien Schüler auch während schulischer Veranstaltungen – wie insbesondere Klassenfahrten – unfallversichert. Versicherungsschutz bestehe jedoch insoweit nur für Verrichtungen, die im sachlichen Zusammenhang mit der grundsätzlich versicherten Tätigkeit als Schüler stünden. Widme sich der Schüler hingegen rein persönlichen, von der versicherten Tätigkeit nicht mehr beeinflussten Belangen, so unterbreche dies den Versicherungsschutz. Vorliegend sei die Schülerin allein wegen des mit ihrer Grunderkrankung im Zusammenhang stehenden Krampfens auf das Bett gesetzt worden. In dieser stabilen Position habe sie warten sollen, bis sie mit der Teilhabeassistentin das Zimmer habe verlassen können. Dies gehöre nicht zu der versicherten Tätigkeit der Schülerin. Schließlich hätten auch keine Umstände vorgelegen, die eine besondere Gefahr für die Schülerin dargestellt hätten. Insbesondere seien keine auf dem Boden gelagerten Gegenstände wie Taschen oder Koffer für den Sturz vom Bett relevant gewesen.
Arbeitsunfälle sind nach § 8 Abs. 1 SGB VII Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Für das Vorliegen eines Arbeitsunfalls im Sinne des § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII ist danach erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zum Unfallereignis geführt hat und letzteres einen Gesundheits(-erst)schaden oder den Tod des Versicherten verursacht (haftungsbegründende Kausalität) hat. Die versicherte Tätigkeit ist vorliegend nach § 2 Abs. 1 Nr. 8b SGB VII festzustellen. Danach sind Schüler in der gesetzlichen Unfallversicherung kraft Gesetzes versichert während des Besuchs von allgemein- oder berufsbildenden Schulen und während der Teilnahme an unmittelbar vor oder nach dem Unterricht von der Schule oder im Zusammenwirken mit ihr durchgeführten Betreuungsmaßnahmen. Zum Schulbesuch gehört neben Betätigungen im Schulunterricht sowie den dazugehörigen Pausen und Prüfungen auch die Teilnahme an sog. Schulveranstaltungen2. Der Versicherungsschutz ist hierbei auf den organisatorischen Verantwortungsbereich der Schule beschränkt3. Dieser organisatorische Verantwortungsbereich erfordert einen unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang zur Schule, woran es fehlt, wenn wirksame schulische Aufsichtsmaßnahmen nicht mehr gewährleistet sind4. Versicherungsschutz in der Schülerunfallversicherung kann aber auch bestehen, wenn der räumlich-zeitliche Zusammenhang (z.B. bei Klassenfahrten, Theaterbesuchen außerhalb der Unterrichtszeit) oder wirksame schulische Aufsichtsmaßnahmen (z.B. bei Schülerbetriebspraktika oder Tätigkeiten in der Schülermitverwaltung) weitgehend gelockert sind. Ein „Besuch der Schule“, wie ihn § 2 Abs. 1 Nr. 8b Alt. 1 SGB VII tatbestandlich voraussetzt, findet also nicht ausschließlich im Schulgebäude und auf dem Schulgelände statt5. Versicherungsschutz besteht im Zusammenhang mit der Teilnahme an einer solchen Schulveranstaltung jedoch nur für Verrichtungen, die im sachlichen Zusammenhang mit der grundsätzlich versicherten Tätigkeit als Schüler stehen6, nicht hingegen, wenn sich die betreffende Person rein persönlichen, von der versicherten Tätigkeit nicht mehr beeinflussten Belangen widmet7. Dies führt in der Regel zu einer Unterbrechung der versicherten Tätigkeit und damit zu einer Unterbrechung des Versicherungsschutzes.
Das Hessische Landessozialgericht stellte zunächst fest, dass das Geschehen nicht allein aufgrund der Anwesenheit und der Tätigkeit der persönlichen Teilhabeassistentin als versicherte Tätigkeit im Rahmen der schulischen Veranstaltung „mehrtägige Fahrradtour“ zu bewerten ist. Die von der Teilhabeassistentin wahrgenommenen Betreuungsaufgaben stehen nicht schulischen Aufsichtsmaßnahmen durch Lehrpersonal gleich, sondern dienen ausschließlich dem Ausgleich behinderungsbedingter Nachteile, um die Teilnahme am Unterricht ebenso wie an anderen schulischen Veranstaltungen zu ermöglichen. Die konkrete, auch mit Unterstützung durch die Teilhabeassistenz vorgenommene Handlung ist mit Blick auf die Rechtsfrage des Vorliegens einer versicherten Tätigkeit so zu beurteilen, wie dies bei Schülern und Schülerinnen der Fall wäre, die nicht auf eine entsprechende Unterstützung angewiesen sind.
Im Weiteren konnte es für das Hessische Landessozialgericht dahingestellt bleiben, ob im Rahmen einer Klassenfahrt das Holen von Rucksack oder Schal aus dem Übernachtungszimmer bzw. der Weg im Übernachtungszimmer, der vorgenommen wird, um das Zimmer zu verlassen und den Frühstücksraum aufzusuchen, versicherte Tätigkeiten sind. Denn auch diese Handlungen sind nicht maßgeblich für das hier konkret vorliegende Unfallereignis; sie waren zum Unfallzeitpunkt vielmehr unterbrochen durch eine Handlung, die als ausschließlich höchstpersönliche Verrichtung anzusehen ist. Die einzige konkret im Unfallzeitpunkt feststellbare Handlung ist das Sitzen der Schülerin auf dem Bett im Zimmer der Unterkunft. Ob es unmittelbar aus dieser Position heraus (z. B. wegen eines erneuten Krampfens) oder bei dem Versuch, aufzustehen oder die Sitzposition zu verändern, zu dem Sturz gekommen ist, und was für solche Handlungen Motiv gewesen sein könnte, ist vorliegend nicht aufzuklären. Das Sitzen auf dem Bett aber ist allein veranlasst durch ein zuvor aufgetretenes, bei der Schülerin wiederholt auftretendes, mit ihrer Grunderkrankung im Zusammenhang stehendes Krampfen. Die Teilhabeassistentin hat hierzu angegeben, dass es bei der Schülerin in unterschiedlicher Häufigkeit – bis zu mehrmals in der Woche – zu einem solchen Krampfen kommt, weshalb für sie im Rahmen ihrer Tätigkeit immer im Fokus gestanden hat, die Schülerin in solchen Situationen zu stützen oder festzuhalten. Allein diesem Zweck diente auch das Positionieren der Schülerin auf dem Bett; sie sollte dort in stabiler Lage warten, bis die Zeugin mit ihr gemeinsam das Zimmer verlassen konnte. Diese Position des Abwartens, aus der heraus es dann zu dem letztlich von seinem Ablauf her nicht aufklärbaren Sturz gekommen ist, ist keiner versicherten Tätigkeit und keinem versicherten Weg zurechenbar, sondern sollte allein der Sicherheit der Schülerin im Hinblick auf ein ihrer Grunderkrankung und damit ihrer höchstpersönlichen Sphäre, nämlich ihrer Gesundheitsfürsorge, zuzurechnendes Sturzrisiko dienen.
Eine abweichende Beurteilung des vorliegenden Sachverhaltes ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts in dessen Urteil vom 23.01.20188. Das Bundessozialgericht hat hierin zunächst entschieden, dass auch eine schulisch veranlasste Gruppenprojektarbeit, die im häuslichen Bereich eines Schülers/Mitschülers durchgeführt wird, dem Unfallversicherungsschutz unterfällt, und damit auch die in diesem Zusammenhang zurückzulegenden Wege. Dies steht für den vorliegenden Fall der schulisch veranlassten mehrtägigen Radtour nicht im Streit. Im Weiteren hat das BSG in dieser Entscheidung in Übereinstimmung mit seiner früheren Rechtsprechung ausgeführt, dass jugendtypische Gruppenprozesse und hieraus sich ergebende Gefahren den Versicherungsschutz ebenfalls nicht ausschließen. Ein solcher Sachverhalt liegt hier aber nicht vor. Darüber hinaus hat das Bundessozialgericht aber auch in dieser Entscheidung bestätigt, dass maßgeblich im Rahmen der Beurteilung der konkret zum Unfallzeitpunkt vorgenommenen Handlung die „objektivierte Handlungstendenz“ ist. Auch während der nach dieser Entscheidung des Bundessozialgerichts grundsätzlich versicherten Gruppenprojektarbeit ist also nicht jede beliebige Handlung als versicherte Tätigkeit zu bewerten, sondern auch hiernach ist die im konkreten Einzelfall durchgeführte Tätigkeit und die dieser zu Grunde liegende Handlungstendenz zu prüfen. Wie oben dargestellt, war im vorliegenden Fall die Handlungstendenz auf die höchstpersönliche Sphäre der Schülerin gerichtet.
Darüber hinaus lassen sich bei dem Sturz der Schülerin von ihrem Bett auch keinerlei Umstände feststellen, durch die diese dort und zu diesem Zeitpunkt einer besonderen, ihrem durch die schulische Veranstaltung bedingten Aufenthaltsort zuzuschreibenden Gefahr ausgesetzt gewesen ist. Auf die insoweit von Seiten der Schülerin angeführten, auf dem Fußboden gelagerten Gegenstände (Tasche, Koffer) kommt es dabei nicht an, da diese bei dem Sturz vom Bett keine Rolle gespielt haben.
Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 13. September 2019 – L 3 U 7/18
- SG Fulda, Urteil vom 04.12.2017 – S 8 U 19/16[↩]
- BSG, Urteil vom 26.10.2004 – B 2 U 41/03 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 7 RdNr. 14; Bieresborn, in: jurisPK-SGB VII, 2. Auflage 2014, § 2 RdNr. 171 m.w.N.[↩]
- st. Rspr. des BSG, vgl. z. B. Urteil vom 30.06.2009 – B 2 U 19/08 R, SozR 4-2700 § 2 Nr. 13 RdNr. 24 ff. m.w.N.; Urteil vom 26.10.2004 a.a.O. m.w.N.[↩]
- BSG, Urteil vom 30.06.2009, a.a.O., RdNr. 25; Urteil vom 18.04.2000 – B 2 U 5/99 R, SozR 3-2200 § 539 Nr. 49 S. 214[↩]
- BSG, Urteil vom 23.01.2018, – B 2 U 8/16[↩]
- BSG, Urteil vom 26.10.2004, a.a.O., RdNr. 15; Urteil vom 05.10.1995 – 2 RU 44/94, SozR 3-2200 § 539 Nr. 34[↩]
- BSG, Urteil vom 25.01.1977 – 2 RU 50/76 15[↩]
- BSG, Urteil vom 23.01.2018 – B 2 U 8/16 R[↩]
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