Masektomie für non-binäre Personen – und die Operationskosten als Kassenleistung?

Der Anspruch auf Kostenübernahme für eine geschlechtsangleichende Operation von Versicherten, die ihr Geschlecht weder als weiblich noch als männlich empfinden (non-binäres Geschlecht), setzt eine Empfehlung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss voraus. An dieser fehlt es bislang, sodass eine derartige Operation derzeit keine Kassenleistung darstellt.

Masektomie für non-binäre Personen – und die Operationskosten als Kassenleistung?

In dem hier vom Bundessozialgericht entschiedenen Fall ist die klagende Person als biologische Frau geboren, empfindet sich aber weder als Frau noch als Mann. Sie ließ ihren Vornamen und die Geschlechtsangabe im Geburtenregister ändern. Um nicht als Frau wahrgenommen zu werden, beantragte sie bei der beklagten Krankenkasse befundgestützt die Übernahme der Kosten (rund 5000 Euro) für eine Masektomie, d.h. für die Entfernung der weiblichen Brust, zur Behandlung ihrer Geschlechtsidentitätsstörung. Die Techniker Krankenkasse lehnte den Antrag nach Einholung einer Stellungnahme des Medizinischen Dienstes ab. In der Zwischenzeit wurde die Operation durchgeführt.

Das erstinstanzlich hiermit befasste Sozialgericht Mannheim hat die Techniker Krankenkasse zur Erstattung der von der klagenden Person zwischenzeitlich auf eigene Kosten in Höhe von 5305,32 € durchgeführten Mastektomie verurteilt1. Dagegen hat das Landessozialgericht Baden-Württemberg auf die Berufung der Krankenkasse das sozialgerichtliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen2. Ansprüche auf Behandlungsmaßnahmen, die darauf abzielten, die Uneindeutigkeit der äußeren Geschlechtsmerkmale zu erhöhen, seien ausgeschlossen. Die klagende Person wolle ihren Körper an ihre non-binäre Identität angleichen, für die kein phänotypisch angestrebtes Erscheinungsbild existiere. Aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 GG und Artikel 3 Absatz 3 Satz 1 GG ergebe sich kein Anspruch auf Änderung von Geschlechtsorganen bei transidentitärer Geschlechtsidentitätsstörung. Es verstieße vielmehr gegen den Gleichheitssatz, Menschen mit einer Geschlechtsidentitätsstörung einen umfassenden leistungsrechtlichen Zugang zu kosmetischen Operationen zu eröffnen, der nicht an einer solchen Störung leidenden Versicherten versperrt sei.

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Das Bundessozialgericht hat die hiergegen gerichtete Revision der klagenden Person als unbegründet zurückgewiesen und nun entschieden, dass körpermodifizierende Operationen bei Trans-Personen Bestandteil einer neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode sind. Über deren Anerkennung muss zunächst der Gemeinsame Bundesausschuss entscheiden, bevor Versicherte die Leistung von ihrer Krankenkasse beanspruchen können.

Die bisherige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zum „Transsexualismus“ beruhte auf den klar abgrenzbaren Erscheinungsbildern des weiblichen und männlichen Geschlechts. Der in den aktuellen medizinischen Leitlinien wiedergegebene Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse bezieht demgegenüber die Vielfalt aller – auch non-binärer – Geschlechtsidentitäten ein. Dies entspricht auch der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum sogenannten dritten Geschlecht. Die Kriterien für die medizinische Notwendigkeit einer geschlechtsangleichenden Operation werden dabei nicht objektiv vorgegeben. Entscheidungen über die Notwendigkeit und die Reihenfolge der Behandlungsschritte sollen vielmehr zwischen der Trans-Person und den Behandelnden „partizipativ“ getroffen werden. Dieser methodische Ansatz weicht von anderen Behandlungsverfahren ab. Aufgabe des Gemeinsamen Bundesausschusses ist nun, zum Schutz der betroffenen Personen vor irreversiblen Fehlentscheidungen die sachgerechte Anwendung der neuen Methode sowie ihre Wirksamkeit und Qualität zu beurteilen. Für bereits begonnene Behandlungen von Transsexuellen erwägt der Senat Vertrauensschutz:

Die Mastektomie zur Behandlung eines durch eine Geschlechtsinkongruenz verursachten Leidensdrucks ist Bestandteil einer neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode im Sinne des § 135 Absatz 1 Satz 1 SGB V. Es fehlt an einer Anerkennung des therapeutischen Nutzens der neuen Methode durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA).

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Die bisherige Rechtsprechung des Senats zu sogenannten Transsexuellen beruhte auf der Angleichung an klar abgrenzbare weibliche und männliche (binäre) Erscheinungsbilder, bei denen das Behandlungsziel anhand eines im Transsexuellengesetz normativ vorgegebenen, objektiven Maßstabs bewertet werden konnte. Der in der aktuellen S3-Leitlinie wiedergegebene medizinische Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse umfasst demgegenüber ausdrücklich auch non-binäre Geschlechtsinkongruenzen. Auch das Bundesverfassungsgericht hat geschlechtliche Identitäten, die weder dem weiblichen, noch dem männlichen Geschlecht zugeordnet sind, anerkannt. Das Behandlungsziel kann hier nicht anhand eines objektiven Maßstabs bestimmt werden. Die Feststellung der Diskrepanz zwischen der Geschlechtsidentität und dem körperlichen Erscheinungsbild erfolgt nach der Leitlinie zunächst durch die Trans-Personen selbst, die dann gemeinsam mit den Behandelnden die Entscheidungen über Notwendigkeit und Reihenfolge der Behandlungsschritte treffen (partizipative Entscheidungsfindung). Hiervon sind neben der Diagnosestellung auch die einzelnen Bestandteile der Behandlung erfasst, wie etwa Hormonbehandlung, Epilation, Hilfsmittelversorgung oder Operationen, wie hier die Mastektomie. Dieser therapeutische Prozess weicht methodisch von anderen Behandlungsverfahren ab. Es ist Aufgabe des GBA, zum Schutz der betroffenen Personen vor irreversiblen Fehlentscheidungen die sachgerechte Anwendung der neuen Methode sowie ihre Wirksamkeit und Qualität zu beurteilen. Der Anwendbarkeit des § 135 Absatz 1 SGB V steht nicht entgegen, dass vorliegend um die Kostenerstattung für einen stationären Eingriff gestritten wird. Die hier durchzuführende vertragsärztliche Diagnostik und ihre über den ambulanten Bereich hinausweisende Behandlungsplanung sind untrennbar mit den angedachten stationären Behandlungsmaßnahmen verbunden.

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Soweit Behandlungen von bisher als transsexuell bezeichneten Personen bereits begonnen haben, liegt es nahe, dass die Krankenkassen die Kosten bis zum Vorliegen einer Empfehlung des GBA aus Gründen des Vertrauensschutzes wie bisher weiterhin zu übernehmen haben.

Bundessozialgericht, Urteil vom 19. Oktober 2023 – B 1 KR 16/22 R

  1. SG Mannheim, Urteil vom 14.04.2021 – S 4 KR 3011/20[]
  2. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 29.06.2022 – L 5 KR 1811/21[]