Das Grundgesetz gebietet eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes. Dies ergibt sich aus Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsgrundsatz, der in Art.20 Abs. 3 GG allgemein niedergelegt ist und für den Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt in Art.19 Abs. 4 GG seinen besonderen Ausdruck findet1. Es ist dabei verfassungsrechtlich grundsätzlich unbedenklich, die Gewährung von Prozesskostenhilfe davon abhängig zu machen, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint2.

Prozesskostenhilfe darf der unbemittelten Partei aber von Verfassungs wegen insbesondere dann nicht versagt werden, wenn die Entscheidung in der Hauptsache von der Beantwortung einer schwierigen, bislang ungeklärten Rechtsfrage abhängt. Denn dadurch würde der unbemittelten Partei im Gegensatz zu der bemittelten die Möglichkeit genommen, ihren Rechtsstandpunkt im Hauptsacheverfahren darzustellen und von dort aus in die höhere Instanz zu bringen3.
Nach diesen Grundsätzen verletzen die im vorliegenden Verfahren angegriffenen Entscheidungen des Landessozialgerichts Baden-Württemberg4 und des Sozialgerichts Stuttgart5 den Beschwerdeführer in seinen Rechten aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art.20 Abs. 3 GG. Die angegriffenen Beschlüsse überspannen die Anforderungen an die Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung und verfehlen dadurch den Zweck der Prozesskostenhilfe, weil sich die im Verfahren zu Lasten des Beschwerdeführers beantwortete Rechtsfrage, ob der Leistungsausschluss nach § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII in der seit dem 29.12 2016 geltenden Fassung verfassungskonform ist, als ungeklärt und schwierig darstellt.
Eine höchstrichterliche Rechtsprechung hierzu existiert nicht. Eine die Frage des Leistungsausschlusses von nicht ausreisepflichtigen Unionsbürgern ohne materielles Aufenthaltsrecht betreffende Revision ist derzeit vor dem Bundessozialgericht6 anhängig.
In der Rechtsprechung der Landessozialgerichte werden hierzu unterschiedliche Auffassungen vertreten.
Mehrheitlich gehen die Landessozialgerichte davon aus, dass § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII nicht ausreisepflichtige Unionsbürger ohne materielles Aufenthaltsrecht in verfassungskonformer Weise von Leistungen nach § 23 Abs. 1 SGB XII ausschließt7.
Andere Landessozialgerichte haben ? im Rahmen von Eilverfahren beziehungsweise Prozesskostenhilfeverfahren ? die Verfassungskonformität des Leistungsausschlusses bezweifelt und den Eilanträgen beziehungsweise Prozesskostenhilfeanträgen stattgegeben8.
Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift wurden bereits im Gesetzgebungsverfahren geäußert9.
Auch in der Literatur ist die Vereinbarkeit des Leistungsausschlusses nach § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII mit dem menschenwürdigen Existenzminimum umstritten10.
Die Frage der Verfassungsmäßigkeit des Leistungsausschlusses für nicht erwerbstätige, nicht ausreisepflichtige Unionsbürger ist danach eine ungeklärte Rechtsfrage. Sie ist auch als „schwierig“ im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts einzustufen, da sich die Frage nicht ohne Weiteres aus der hierzu vorliegenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, insbesondere aus der Entscheidung zum Asylbewerberleistungsgesetz vom 18.07.201211 beantworten lässt. Sowohl die Auffassung, der Leistungsausschluss sei verfassungskonform, als auch die Gegenauffassung berufen sich mit jeweils nicht von vornherein unvertretbaren Argumenten auf diese Rechtsprechung.
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 12. Februar 2020 – 1 BvR 1246/19
- vgl. BVerfGE 78, 104, 117 f.; 81, 347, 357; 117, 163, 187[↩]
- vgl. BVerfGE 81, 347, 357[↩]
- vgl. ausführlich BVerfG, Beschluss vom 16.04.2019 – 1 BvR 2111/17, Rn. 22 m.w.N.[↩]
- LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 06.05.2019 – L 2 SO 1402/19 ER‑B[↩]
- SG Stuttgart, Beschluss vom 08.04.2019 – S 20 SO 959/19 E[↩]
- BSG – B 8 SO 7/19 R[↩]
- so z.B. Bayerisches LSG, Beschluss vom 24.04.2017 – L 8 SO 77/17 B ER 37 ff.; Beschluss vom 02.08.2017 – L 8 SO 130/17 B ER 55 ff; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 03.12 2018 – L 7 SO 4027/18 ER‑B 40; LSG Hamburg, Beschluss vom 28.09.2017 – L 4 SO 55/17 B ER 9; Hessisches LSG, Beschluss vom 27.03.2019 – L 7 AS 7/19 5 ff.; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 22.05.2018 – L 11 AS 1013/17 B ER 36; LSG Nordrhein-Westfalen (19. Senat), Beschluss vom 26. Februar 2018 – L 19 AS 249/18 B ER 31 f.; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 04.07.2019 – L 4 AS 246/19 B ER 42 f.; LSG Berlin-Brandenburg (23. Senat), Beschluss vom 07.01.2019 – L 23 SO 279/18 B ER 34 ff.[↩]
- LSG Nordrhein-Westfalen (7. Senat), Beschluss vom 28.01.2018 – L 7 AS 2299/17 B 14 f.; LSG Berlin-Brandenburg (18. Senat), Beschluss vom 28.01.2019 – L 18 AS 141/19 B ER, L 18 AS 142/19 B ER PKH 5; LSG Berlin-Brandenburg (15. Senat), Beschluss vom 20.06.2017 – L 15 SO 104/17 B ER, L 15 SO 105/17 B ER PKH20[↩]
- vgl. Ausschussdrucksache 18(11)851 – Materialien zur öffentlichen Anhörung von Sachverständigen in Berlin am 28.11.2016 zum Gesetzentwurf der Bundesregierung „Entwurf eines Gesetzes zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch“ – BT-Drs. 18/10211, dort insbesondere Devetzi/Janda, S. 32 ff.; Berlit, S. 55 ff.[↩]
- kritisch: Janda, ZRP 2016, S. 152, 153 f.; Meyer-Höger, info also 2017, S. 99, 104 ff.; Oberhäuser/Steffen, ZAR 2017, S. 149, , 151 f.; Schreiber, SR 2018, S. 181, 194; Siefert, in: Coseriu/Eicher/Siefert (Hg.) PK SGB XII, Stand 29.01.2019, § 23 Rn. 102, 107 sowie Wahrendorf, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 6. Aufl.2018, § 23 Rn. 3 ff; a.A.: Ulmer, ZRP 2016, 224, 225 f.; Birk, in: Harder/Conradis/Thie, SGB XII, 11. Aufl.2018, § 23 Rn. 55; Greiser/Ascher, VSSR 2016, S. 61, 110; Schlette, in: Hauck/Noftz SGB XII, Stand 6/2019, § 23 Rn. 1[↩]
- BVerfG, Beschluss vom 18.07.2012 – 1 BvL 10/10 u.a., BVerfGE 132, 134 ff.[↩]
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