Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nach der es bezogen auf die Rechtslage vor 2016 bei der Prüfung einer Krankenhausabrechnung unter Einbeziehung des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK), neben der gesetzlich ausdrücklich vorgesehenen „Auffälligkeitsprüfung“ noch eine davon unabhängige „Prüfung der sachlich-rechnerischen Richtigkeit“ gab, die zu keinem Anspruch der Krankenhäuser auf Zahlung einer Aufwandspauschale gegen die Krankenkassen führte, überschreitet die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung nicht. Mit dieser Begründung hat die mit heute veröffentlichtem Beschluss die Verfassungsbeschwerden mehrerer Träger von Krankenhäusern gegen Entscheidungen des Bundessozialgerichts nicht zur Entscheidung angenommen.

Inhaltsübersicht
Die Prüfung der Krankenkausabrechnungen[↑]
Die Abrechnung von Krankenhausleistungen erfolgt in Deutschland überwiegend auf der Grundlage des sogenannten DRG-Systems (vgl. vor allem § 17b bis § 17d des Gesetzes zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser und zur Regelung der Krankenhauspflegesätze – Krankenhausfinanzierungsgesetz -KHG- und § 9 des Gesetzes über die Entgelte für voll- und teilstationäre Krankenhausleistungen – Krankenhausentgeltgesetz -KHEntgG- sowie die auf dieser Grundlage erlassenen Normverträge). Dabei steht DRG für „diagnosis related groups“; in diesen werden unterschiedliche Diagnose- und (Behandlungs-)Pro-zedurenkombinationen zusammengefasst, die einen vergleichbaren ökonomischen und von der konkreten Verweildauer der Patienten unabhängigen Aufwand der Krankenhäuser abbilden sollen. Die jeweilige DRG wird dabei durch die Kodierung von Haupt- und Nebendiagnosen anhand der International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems, derzeit in der 10. Fassung (ICD-10), sowie von Operationen und therapeutischen Prozeduren anhand eines Operationen- und Prozedurenschlüssels (OPS) „angesteuert“.
Auf Grund der Komplexität dieses durch das Gesetz zur Einführung des diagnose-orientierten Fallpauschalensystems für Krankenhäuser (Fallpauschalengesetz – FPG) vom 23.04.20021 mit Wirkung zum 1.01.2003 in Deutschland eingeführten Klassifikationssystems kommt es unstreitig in erheblichem Maße zu Fehlkodierungen der für die Abrechnung maßgeblichen Diagnosen und Prozeduren. Deshalb ist die Kontrolle von Abrechnungen für die Krankenkassen von großer Bedeutung, andererseits für die Krankenhäuser mit erheblichem wirtschaftlichen und organisatorischen Aufwand verbunden. Das gilt insbesondere für Prüfungen auf der dritten Stufe des vom Bundessozialgericht entwickelten Prüfsystems der Abrechnung von stationären Krankenhausleistungen2: Danach prüfen die Krankenkassen auf einer ersten Stufe die von den Krankenhäusern auf der Grundlage des § 301 SGB V übermittelten Daten. Erschließen sich die Notwendigkeit der Krankenhausbehandlung oder die Richtigkeit der Abrechnung den Mitarbeitern der Krankenkasse aufgrund dieser Angaben, daran anknüpfender Nachfragen oder eines Kurzberichts über die Behandlung nicht, ist auf der zweiten Stufe ein Prüfverfahren unter Einschaltung des MDK einzuleiten. Dazu hat die Krankenkasse dem MDK nach § 276 Abs. 1 Satz 1 SGB V die zur Begutachtung erforderlichen Unterlagen vorzulegen, die ihr vom Krankenhaus zur Verfügung gestellt worden sind. Ist der Sachverhalt auch auf dieser Grundlage nicht zu klären, hat das Krankenhaus schließlich auf einer dritten Stufe dem MDK alle weiteren Angaben zu erteilen und Unterlagen vorzulegen, die im Einzelfall zur Beantwortung der Prüfanfrage der Krankenkasse benötigt werden. Rechtsgrundlage hierfür ist § 276 Abs. 2 Satz 1 SGB V.
In diesem Rahmen war bis zu der Gesetzesänderung zum 1.01.2016 die auch den Ausgangsverfahren zugrunde liegende Frage umstritten, ob alle denkbaren Prüfungen von Krankenhausabrechnungen durch die Krankenkassen unter Einbeziehung des MDK von § 275 Abs. 1 Nr. 1 SGB V erfasst werden und die Krankenkassen daher durchgängig die daran anknüpfenden Regelungen des § 275 Abs. 1c SGB V zu beachten und gegebenenfalls die Aufwandspauschale nach dessen Satz 3 zu zahlen haben, oder ob es neben einer dort geregelten „Auffälligkeitsprüfung“ noch eine davon unabhängige und in den maßgeblichen Zeiträumen den Regelungen des § 275 Abs. 1c SGB V nicht unterworfene „Prüfung der sachlich-rechnerischen Richtigkeit“ gibt.
§ 275 Abs. 1 Nr. 1 SGB V lautet:
Die Krankenkassen sind in den gesetzlich bestimmten Fällen oder wenn es nach Art, Schwere, Dauer oder Häufigkeit der Erkrankung oder nach dem Krankheitsverlauf erforderlich ist, verpflichtet,
1. bei Erbringung von Leistungen, insbesondere zur Prüfung von Voraussetzungen, Art und Umfang der Leistung, sowie bei Auffälligkeiten zur Prüfung der ordnungsgemäßen Abrechnung,
[…]
eine gutachtliche Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (Medizinischer Dienst) einzuholen.
§ 275 Abs. 1c SGB V gestaltet die Prüfungen nach § 275 Abs. 1 Nr. 1 SGB V für die Krankenhausbehandlung nach § 39 SGB V näher aus. In der bis zum 31.12 2015 geltenden Fassung, die das Bundessozialgericht allen angegriffenen Entscheidungen zugrunde legte, lautete die Vorschrift:
Bei Krankenhausbehandlung nach § 39 ist eine Prüfung nach Absatz 1 Nr. 1 zeitnah durchzuführen. Die Prüfung nach Satz 1 ist spätestens sechs Wochen nach Eingang der Abrechnung bei der Krankenkasse einzuleiten und durch den Medizinischen Dienst dem Krankenhaus anzuzeigen. Falls die Prüfung nicht zu einer Minderung des Abrechnungsbetrags führt, hat die Krankenkasse dem Krankenhaus eine Aufwandspauschale in Höhe von 300 € zu entrichten.
Die Vorschrift geht auf Art. 1 Nr. 185 Buchstabe a des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz – GKV-WSG) vom 26.03.20073 zurück und trat zum 1.04.2007 in Kraft (Art. 46 Abs. 1 GKV-WSG). Die Aufwandspauschale betrug damals 100 Euro. Im Krankenhausbereich bestehe, so die Entwurfsbegründung4, Handlungsbedarf im Hinblick auf den Umfang der gutachtlichen Stellungnahmen des MDK, welche die Krankenkassen in der Einzelfallprüfung nach § 275 Abs. 1 Nr. 1 SGB V anforderten. Von einzelnen Krankenkassen werde die Prüfungsmöglichkeit in unverhältnis-mäßiger und nicht sachgerechter Weise zur Einzelfallsteuerung genutzt. Dies führe zu unnötiger Bürokratie, was die Abläufe in den Krankenhäusern erheblich belaste, für zusätzlichen personellen und finanziellen Aufwand sorge und zu nicht gerechtfertigten Außenständen und Liquiditätsproblemen führe; eine zeitnahe Prüfung sei nicht immer gewährleistet. Als Beitrag zum Bürokratieabbau würden Anreize gesetzt, Einzelfallprüfungen zielorientierter und zügiger einzusetzen. Um ungezielten und übermäßigen Begutachtungen entgegenzuwirken, werde mit § 275 Abs. 1c Satz 3 SGB V eine Aufwandspauschale von 100 Euro eingeführt, die für alle diejenigen Krankenhausfälle zu zahlen sei, in denen die Einzelfallprüfung nicht zu einer Minderung des Abrechnungsbetrags durch die Krankenkasse führe.
Die vom Bundesrat gegenüber der Regelung vorgebrachten Bedenken führten zu keiner Änderung; er hatte in seiner Äußerung zum Gesetzentwurf vorgeschlagen, die Regelung über die Aufwandspauschale zu streichen, und dazu geltend gemacht5, die bisherigen Prüfungen durch die Medizinischen Dienste zeigten eine gute Fallauswahl der Krankenkassen, die einen Anteil von weit über 40 % fehlkodierter Fälle aufwiesen. Die DRGs seien als lernendes System angelegt. Die Erfahrungen aus den Prüfungen einschließlich der Fälle, die nicht zu einer Minderung des Abrechnungsbetrages führten, trügen zu einer Optimierung dieses Systems bei.
Durch Art. 3 Nr. 8a des Gesetzes zum ordnungspolitischen Rahmen der Krankenhausfinanzierung ab dem Jahr 2009 (Krankenhausfinanzierungsreformgesetz – KHRG) vom 17.03.20096 wurde die Aufwandspauschale mit Wirkung ab 25.03.2009 (vgl. Art. 5 Abs. 1 KHRG) von 100 Euro auf 300 Euro erhöht. Die Änderung ging auf die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit zum Entwurf des Krankenhausfinanzierungsreformgesetzes zurück7, zu der es erläuternd hieß8, die Einführung der Aufwandspauschale habe nicht in dem erhofften Umfang zu einer Reduzierung der Prüfquote geführt. Mit der Anhebung der von den Krankenkassen bei erfolglosen Einzelfallprüfungen zu zahlenden Aufwandspauschale auf 300 Euro solle der Anreiz erhöht werden, von Einzelfallprüfungen ohne konkrete Verdachtsmomente abzusehen.
Als Reaktion auf die hier angegriffene Rechtsprechung fügte der Gesetzgeber durch Art. 6 Nr. 21a des Gesetzes zur Reform der Strukturen der Krankenhausversorgung (Krankenhausstrukturgesetz – KHSG) vom 10.12 20159 an § 275 Abs. 1c SGB V mit Wirkung zum 1.01.2016 (Art. 9 Abs. 1 KHSG) einen Satz 4 an: Danach ist als Prüfung nach Satz 1 jede Prüfung der Abrechnung eines Krankenhauses anzusehen, mit der die Krankenkasse den MDK beauftragt und die eine Datenerhebung durch den MDK beim Krankenhaus erfordert. Die Änderung ging auch in diesem Fall auf die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit zurück10; zur Begründung hieß es unter anderem11:
„In einem Urteil12 hat das Bundessozialgericht eine rechtliche Differenzierung zwischen Auffälligkeitsprüfungen und Prüfungen auf sachlich-rechnerische Richtigkeit einer Krankenhausrechnung vorgenommen. […] Für Letztere gelte weder die Frist des § 275 Absatz 1c Satz 2 noch die Pflicht zur Entrichtung einer Aufwandspauschale nach § 275 Absatz 1c Satz 3. Vielmehr unterlägen sie einem eigenen Prüfregime.
Infolge dieses Urteils sind zwischen Krankenhäusern und Krankenkassen Probleme entstanden, weil Krankenkassen sich bei Prüfungen der Krankenhausabrechnungen durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) vermehrt auf den Standpunkt stellen, es handele sich um Prüfungen der sachlich-rechnerischen Richtigkeit, bei denen keine Aufwandspauschale zu zahlen und keine Frist zu beachten sei. Hinzu kommt, dass im Schrifttum teilweise kritisiert wird, dass es für die Trennung der beiden Prüfarten im Gesetz keine hinreichende Stütze gebe und es an Abgrenzungskriterien fehle.
Deshalb wird mit der Neuregelung des § 275 Absatz 1c Satz 4 nunmehr bestimmt, dass sich die Fristen- und Anzeigeregelung des Satzes 2 und die Regelung zur Aufwandspauschale in Satz 3 auf jede Prüfung der Abrechnung einer stationären Behandlung beziehen, mit der eine Krankenkasse den MDK beauftragt und die eine Datenerhebung durch den MDK beim Krankenhaus erfordert. Dies gilt sowohl für die vom Bundessozialgericht angesprochenen Auffälligkeitsprüfungen als auch für die Prüfungen auf sachlich-rechnerische Richtigkeit. Mit der Voraussetzung, dass es sich um Prüfungen handeln muss, die eine Datenerhebung durch den MDK erfordern, wird auf das vom BSG entwickelte System der dreistufigen Sachverhaltsermittlung Bezug genommen. Dadurch wird in Übereinstimmung mit diesem Ansatz zum Ausdruck gebracht, dass § 275 Absatz 1c nur für Prüfungen auf der dritten Stufe der Sachverhaltserhebung anwendbar ist. […]
Die Neuregelung hat zugleich zur Folge, dass Sachverhaltsermittlungen, die eine Einsichtnahme in Unterlagen des Krankenhauses oder sonstige Datenanforderungen beim Krankenhaus erfordern, ausgeschlossen sind, wenn die Frist nach Satz 2 ungenutzt abgelaufen ist. Dies gilt unabhängig davon, ob es sich um eine Prüfung der sachlichen und rechnerischen Richtigkeit der Krankenhausabrechnung oder um eine Auffälligkeitsprüfung handelt. […]“
Die in den Verfassungsbeschwerden zur Prüfung stehende Rechtsprechung des Bundessozialgerichts führte im Ergebnis zu der in den Materialien zum Krankenhausstrukturgesetz angesprochenen Begrenzung des Anwendungsbereichs von § 275 Abs. 1c SGB V. Namentlich hielt das Bundessozialgericht – erstmals im Jahre 201413 – eine Unterscheidung zwischen einer Auffälligkeitsprüfung einerseits und einem Prüfregime der sachlich-rechnerischen Richtigkeit für möglich und geboten. Das Bundessozialgericht knüpfte dabei an die Formulierung von § 275 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 SGB V an, der von „Auffälligkeiten“ spricht, bei deren Vorliegen die Krankenkassen verpflichtet sind, zur Prüfung der ordnungsgemäßen Abrechnung ein Gutachten des MDK einzuholen. Er bezog diesen Begriff der „Auffälligkeiten“ mit historischen und systematischen Argumenten auf die Prüfung der Wirtschaftlichkeit der abgerechneten stationären Krankenhausbehandlung (§ 12 Abs. 1 SGB V), insbesondere von deren Notwendigkeit dem Grunde und der Dauer nach. Er sah daneben Raum für eine von derartigen Auffälligkeiten unabhängige Prüfung der sachlich-rechnerischen Richtigkeit einer Rechnung, die jedem Schuldner und damit auch den Krankenkassen im Verhältnis zu den Krankenhäusern unter Einbeziehung des MDK eingeräumt sei, und betonte deren Notwendigkeit aus teleologischen Erwägungen, nicht zuletzt da einer Irreführung der Krankenkassen durch die Krankenhäuser vorgebeugt werden müsse. Da § 275 Abs. 1c SGB V sich nach seinem Satz 1 allein auf die Prüfungen nach § 275 Abs. 1 Nr. 1 SGB V bezieht, hielt das Bundessozialgericht ihn nur im Rahmen der Auffälligkeitsprüfung für anwendbar. Bei einer Prüfung der sachlich-rechnerischen Richtigkeit müssten die Krankenkassen dagegen jedenfalls im Rahmen der bis zum 31.12 2015 geltenden Rechtslage weder die Frist aus § 275 Abs. 1c Satz 2 SGB V beachten noch hätten die Krankenhäuser Anspruch auf die Aufwandspauschale nach § 275 Abs. 1c Satz 3 SGB V.
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, die sich auf die seit dem 1.01.2016 geltende, durch die Anfügung von § 275 Abs. 1c Satz 4 SGB V geänderte Gesetzesfassung bezieht, liegt noch nicht vor. Bislang und auch in den hier angegriffenen Entscheidungen verwies das Gericht ausdrücklich darauf, dass sich aus der Rechtsänderung „jedenfalls“ für die frühere Rechtslage kein Anlass ergebe, von seiner bisherigen Rechtsprechung abzuweichen. Dabei sei die alte Rechtslage in allen Fälle maßgeblich, bei denen die Behandlung vor dem 1.01.2016 begonnen habe, unabhängig davon, wann jene und die nachfolgende Prüfung abgeschlossen worden seien und die Krankenhäuser die Aufwandspauschale geltend gemacht hätten.
Die Verfassungsbeschwerden[↑]
Die drei jetzt vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Verfassungsbeschwerden richten sich gegen die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, wonach eine Aufwandspauschale bei der Prüfung der sachlich-rechnerischen Richtigkeit einer Krankenhausabrechnung vormals nicht geltend gemacht werden konnte.
Die drei Beschwerdeführerinnen sind Träger von Krankenhäusern; dabei befinden sich die Beschwerdeführerinnen zu 2. und zu 3. im Verfahren 1 BvR 318/17 und die Beschwerdeführerin im Verfahren 1 BvR 2207/17 vollständig oder mehrheitlich in kommunaler, die übrigen Beschwerdeführerinnen in privater Hand. Die Ausgangsverfahren betrafen durchgängig und mit weitgehend vergleichbaren Sachverhalten die Frage, ob ein Anspruch auf die Aufwandspauschale nach § 275 Abs. 1c Satz 3 SGB V auch nach einer Prüfung der sachlich-rechnerischen Richtigkeit unter Einbeziehung des MDK besteht. Während die Beschwerdeführerinnen vor den Instanzgerichten Erfolg hatten, hob das Bundessozialgericht die instanzgerichtlichen Verurteilungen zur Zahlung der Pauschale auf und wies die Klagen ab14. Mit den Verfassungsbeschwerden rügen die Beschwerdeführerinnen, die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts überschreite die Grenzen verfassungsrechtlich zulässiger Rechtsfortbildung.
Mit den Verfassungsbeschwerden rügen die Beschwerdeführerinnen, die vom Bundessozialgericht entwickelte Rechtsprechung zur Unterscheidung einer Auffälligkeitsprüfung und einer Prüfung der sachlich-rechnerischen Richtigkeit, auf die § 275 Abs. 1c SGB V nicht anwendbar sei, überschreite die Grenzen verfassungsrechtlich zulässiger Rechtsfortbildung.
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts[↑]
Die Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführerinnen zu 2. und zu 3. im Verfahren 1 BvR 318/17 und der Beschwerdeführerin im Verfahren 1 BvR 2207/17 sind unzulässig, weil diese wegen ihrer Zugehörigkeit zur öffentlichen Hand nicht grundrechtsfähig sind.
Hinsichtlich der Rüge, das Bundessozialgericht habe die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung überschritten, sind die Verfassungsbeschwerden unbegründet. Selbst wenn man davon ausgeht, es handele sich um richterliche Rechtsfortbildung, sind deren verfassungsrechtliche Grenzen durch die angegriffenen Entscheidungen noch nicht überschritten.
Die Verfassungsbeschwerden der kommunalen Krankenhäuser[↑]
Die Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführerinnen zu 2. und zu 3. im Verfahren 1 BvR 318/17 und der Beschwerdeführerin im Verfahren 1 BvR 2207/17 sind unzulässig, weil diese wegen ihrer Zugehörigkeit zur öffentlichen Hand nicht grundrechtsfähig sind15.
Sie befinden sich mehrheitlich oder vollständig in kommunaler Trägerschaft. Der Verweis auf eine Konkurrenzsituation der Krankenhäuser in öffentlicher Hand vermag an den daraus folgenden Konsequenzen für die Grundrechtsfähigkeit nichts zu ändern.
Das Vorbringen der Beschwerdeführerinnen, sie seien vergleichbar den Hochschulen, den Rundfunkanstalten und den Kirchen einem grundrechtlich geschützten Lebensbereich zugeordnet und müssten deshalb als grundrechtsfähig angesehen werden, trägt nicht. Eine Identifizierung der Interessen der eigentlichen Grundrechtsträger, also der Patienten, mit denen der Beschwerdeführerinnen scheidet aus. Die kommunalen Krankenhäuser erbringen zwar Leistungen, die den Patienten als Grundrechtsträgern zu Gute kommen; ihr Handeln ist aber legitimerweise auch durch andere, namentlich finanzielle Erwägungen bestimmt. Das verbietet eine Identifizierung ihrer Interessen mit denen der Patienten. Das zeigt gerade der vorliegende Fall: In den Ausgangsverfahren ging es um finanzielle Interessen der Beschwerdeführerinnen bei der Ausgestaltung des Abrechnungsverfahrens und die Abwehr von als übermäßig empfundenen Kontrollen, was mit den Interessen der Patienten allenfalls mittelbar übereinstimmt. Zudem hat das Bundesverfassungsgericht schon für die Kommunen selbst hervorgehoben, dass sie nicht in gleicher Weise wie Hochschulen oder Rundfunkanstalten eigenständige; vom Staat unabhängige oder jedenfalls distanzierte Einrichtungen seien, die einem grundrechtlichen Schutzbereich spezifisch zugeordnet wären16.
Ebenso wenig ergibt sich die Zulässigkeit der von den kommunalen Häusern erhobenen Verfassungsbeschwerden nach dem Grundsatz, dass sich auch Hoheitsträger auf Prozessgrundrechte berufen können17. Eine Erstreckung dieser Rechtsprechung auf die Einhaltung der Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung ist nicht geboten18; Gleiches gilt für die Beachtung des Willkürverbots bei der Auslegung und Anwendung einfachen Rechts durch die Fachgerichte. Formal wären diese im Rahmen von Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art.20 Abs. 3 GG oder Art. 3 Abs. 1 GG geltend zu machen, also aufgrund materieller Grundrechte. Auf diese können sich juristische Personen des öffentlichen Rechts nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts jedoch nicht berufen19. Vor allem aber sind materiell Willkürverbot und die Einhaltung der verfassungsrechtlichen Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung mit der materiellen Rechtsposition, deren Durchsetzung das jeweilige fachgerichtliche Verfahren dient, eng verzahnt. Das Willkürverbot und die verfassungsrechtlichen Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung verhindern, dass Fachgerichte im Streit stehende Rechtspositionen verfassungswidrig beschneiden. Das zielt nicht auf die Ausgestaltung des fachgerichtlichen Verfahrens wie Art. 101 Abs. 1 Satz 2 oder Art. 103 Abs. 1 GG, sondern auf das Ergebnis des Rechtsstreits und auf die Entscheidung über den Inhalt der Rechtsposition der Betroffenen20. Eine Berufung kommunaler Gebietskörperschaften oder ihrer unternehmerischen Töchter auf Art. 2 Abs. 1 oder Art. 3 Abs. 1 GG scheidet daher aus, auch wenn in ihrem Rahmen gerichtliches Handeln zu kontrollieren ist21.
Zudem haben die Beschwerdeführerinnen mit ihrer Argumentation über Art. 28 Abs. 2 GG keinen Erfolg, weil Art. 28 Abs. 2 GG nur im Rahmen der Kommunalverfassungsbeschwerde wehrfähig und diese nur gegen Gesetze zulässig ist (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4b GG, § 91 Satz 1 BVerfGG).
Zulässige Rechtsfortbildung durch das Bundessozialgericht[↑]
Hinsichtlich der Rüge, das Bundessozialgericht habe die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung überschritten, sind die Verfassungsbeschwerden unbegründet. Selbst wenn man davon ausgeht, es handele sich um richterliche Rechtsfortbildung, sind deren verfassungsrechtliche Grenzen durch die angegriffenen Entscheidungen nicht überschritten.
Anwendung und Auslegung der Gesetze durch die Gerichte stehen mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art.20 Abs. 3 GG) im Einklang, wenn sie sich in den Grenzen vertretbarer Auslegung und zulässiger richterlicher Rechtsfortbildung bewegen. Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistet in Verbindung mit Art.20 Abs. 3 GG, dass gerichtliche Entscheidungen diesen Anforderungen genügen22. Das schließt richterliche Rechtsfortbildung nicht aus. Sie gehört traditionell zu den Aufgaben der Rechtsprechung. Der Gesetzgeber hat sie anerkannt und den obersten Gerichtshöfen des Bundes die Aufgabe der Rechtsfortbildung ausdrücklich überantwortet (zum Beispiel in § 41 Abs. 4 SGG). Dies belässt dem Gesetzgeber die Möglichkeit, in unerwünschte Rechtsentwicklungen korrigierend einzugreifen und so im Wechselspiel von Rechtsprechung und Rechtsetzung demokratische Verantwortung wahrzunehmen23.
Die Anwendung des einfachen Rechts obliegt den Fachgerichten. Dies gilt grundsätzlich auch für die Beantwortung der Frage, ob und in welchem Umfang ein Bedarf nach richterlicher Rechtsfortbildung besteht24. Die Kontrolle des Bundesverfassungsgerichts geht nur darauf, ob die rechtsfortbildende Auslegung durch die Fachgerichte die gesetzgeberische Grundentscheidung und deren Ziele respektiert und ob sie den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung folgt25.
Richterliche Rechtsfortbildung darf nicht dazu führen, dass die Gerichte ihre eigenen materiellen Gerechtigkeitsvorstellungen an die Stelle derjenigen des Gesetzgebers setzen26.
Die Gerichte dürfen sich daher nicht dem vom Gesetzgeber festgelegten Sinn und Zweck des Gesetzes entziehen, sondern müssen die gesetzgeberische Grundentscheidung respektieren27 und den Willen des Gesetzgebers unter gewandelten Bedingungen möglichst zuverlässig zur Geltung bringen. Sie haben hierbei den Methoden der Auslegung zu folgen. Eine Interpretation, die sich über den klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers hinwegsetzt, greift unzulässig in die Kompetenzen des demokratisch legitimierten Gesetzgebers ein28. Für die Beantwortung der Frage, welche Regelungskonzeption dem Gesetz zugrunde liegt, kommt neben Wortlaut und Systematik den Gesetzesmaterialien eine Indizwirkung zu29. So verwirklicht sich die in Art.20 Abs. 3 und Art. 97 Abs. 1 GG vorgegebene Bindung der Gerichte an das „Gesetz“. Sie ist eine Bindung an die im Normtext zum Ausdruck gebrachte demokratische Entscheidung des Gesetzgebers, dessen Erwägungen zumindest teilweise in den Materialien dokumentiert sind30.
Davon ausgehend überschreitet die angegriffene Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Abgrenzung einer sachlich-rechnerischen Prüfung von einer in § 275 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 SGB V allein geregelten Auffälligkeitsprüfung die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung noch nicht: Einfachrechtlich wäre zwar ein anderes Verständnis der maßgeblichen Vorschriften vertretbar, wenn nicht sogar naheliegend. Das aber führt nicht zur Verfassungswidrigkeit der hier angegriffenen Entscheidungen nach der bis 31.12 2015 geltenden Rechtslage.
Zunächst ist entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerinnen gut vertretbar, die durch § 275 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 SGB V geregelte Prüfung an das Vorliegen von Auffälligkeiten zu binden und davon einen auf die sachlich-rechnerische Richtigkeit der Abrechnung einer als solchen rechtmäßigen Behandlung zielenden Prüfbereich abzugrenzen.
§ 275 Abs. 1 Nr. 1 SGB V, an den der Anspruch aus § 275 Abs. 1c Satz 3 SGB V anknüpft, regelt nach seinem Wortlaut nur, unter welchen Umständen die Krankenkassen verpflichtet sind, eine gutachtliche Stellungnahme des MDK einzuholen. Damit ist bei einer reinen Wortlautinterpretation weder festgelegt, unter welchen Bedingungen die Krankenkassen Abrechnungen der Krankenhäuser prüfen dürfen, noch darüber, unter welchen Umständen die Krankenkassen berechtigt sind, auf den medizinischen Sachverstand des MDK zurückzugreifen. Dem Wortlaut des § 275 Abs. 1 Nr. 1 SGB V kann daher nicht entnommen werden, dass die Vorschrift alle denkbaren Abrechnungsprüfungen der Krankenkassen unter Einbeziehung des MDK erfasst und den Regelungen des § 275 Abs. 1c SGB V unterwirft.
Die Beschwerdeführerinnen stützen ihre Argumentation weiter darauf, dass den Vorschriften kein Anknüpfungspunkt für die vom Bundessozialgericht vorgenommene Differenzierung zu entnehmen sei. Das Bundessozialgericht kann sich jedoch dazu auf nachvollziehbare Anknüpfungspunkte stützen. Es stellt dazu der sogenannten Auffälligkeitsprüfung eine Prüfung der sachlich-rechnerischen Richtigkeit gegenüber.
Die im Wortlaut des § 275 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 SGB V ausdrücklich angesprochenen Auffälligkeiten identifiziert das Bundessozialgericht mit Fragen, die sich mit Blick auf die Notwendigkeit der stationären Behandlung dem Grunde und dem Umfang nach ergeben. Bestehen diesbezüglich Zweifel, macht dies vor dem Hintergrund des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12 Abs. 1 SGB V) die Prüfung erforderlich, ob die stationäre Behandlung (in diesem Umfang) als gerechtfertigt angesehen werden kann und es sich also um die Abrechnung einer als solchen rechtmäßigen Leistung handelt. Das korrespondiert mit der Prüfung der Leistungserbringung nach § 275 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 SGB V, sofern entsprechende Fragen erst anlässlich der Abrechnung auftreten. Dieses Verständnis des Bundessozialgerichts erscheint auf Grund des Zusammenhangs beider Alternativen des § 275 Abs. 1 Nr. 1 SGB V und angesichts der im einleitenden Satzteil der Vorschrift für beide Fallgruppen einheitlich aufgeführten Kriterien für die Anforderung einer Stellungnahme des MDK (Art, Schwere, Dauer oder Häufigkeit der Erkrankung oder Verlauf der Krankheit) zumindest nicht unvertretbar. Zudem zielen die Prüfungen nach § 275 Abs. 1 Nr. 1 SGB V im Krankenhausbereich auch historisch primär auf die Notwendigkeit stationärer Behandlung, wie das Bundessozialgericht in den angegriffenen Entscheidungen nachvollziehbar herausgearbeitet hat31. Die Einfügung der zweiten Alternative in § 275 Abs. 1 Nr. 1 SGB V lässt sich in diesen Kontext plausibel einordnen, auch wenn sie gerade durch das Fallpauschalengesetz erfolgt ist. Da nach § 275 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 SGB V die „ordnungsgemäße“ Abrechnung zu prüfen ist, enthält die Vorschrift zwar noch einen weiteren Anhaltspunkt, der gegen das Verständnis des Bundessozialgerichts spricht; unvertretbar wird dieses dadurch jedoch angesichts der widerstreitenden Auslegungsgesichtspunkte nicht.
Mit der Prüfung der sachlich-rechnerischen Richtigkeit nimmt das Bundessozialgericht einen aus dem Vertragsarztrecht bekannten Begriff auf. Dort war als ein Unterfall der Wirtschaftlichkeitsprüfung eine „Auffälligkeitsprüfung“ im Gesetz verankert; der Wirtschaftlichkeitsprüfung stand eine Abrechnungsprüfung gegenüber, die auf die Kontrolle der Rechtmäßigkeit und Plausibilität der Abrechnungen und deren sachlich-rechnerischer Richtigkeit zielte (damals § 106 SGB V, insbesondere § 106 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB V, im Gegensatz zu § 106a SGB V, insbesondere § 106a Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 SGB V). Hiermit vergleichbar bezieht das Bundessozialgericht auch im hiesigen Zusammenhang das Prüfregime der sachlich-rechnerischen Richtigkeit auf die Frage der Fehlerfreiheit der Abrechnung einer als solcher dem Grunde und dem Umfang nach rechtmäßigen stationären Krankenbehandlung: Im Rahmen des DRG-Systems betrifft dies insbesondere die Korrektheit der Kodierung. Damit kann das Bundessozialgericht auch für den Begriff der sachlich-rechnerischen Richtigkeit und deren Prüfung auf einen Anknüpfungspunkt im Gesetz verweisen, auch wenn er sich in einem anderen Kontext findet. Für seine Übertragung auf die Prüfung der Krankenhausabrechnungen kann sich das Bundessozialgericht aber nachvollziehbar darauf berufen, dass § 301 SGB V die Krankenhäuser zur Übermittlung der für die Prüfung der Kodierung und damit der Höhe des Leistungsbetrags wesentlichen Daten an die Krankenkassen verpflichtet (vgl. § 301 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Nr. 6 und Nr. 7, Abs. 2 SGB V).
Die Beschwerdeführerinnen stützen ihre Rüge weiter darauf, dass für die Durchführung sachlich-rechnerischer Prüfungen keine ausreichende Rechtsgrundlage zur Verfügung stehe. Die Beschwerdeführerinnen haben sich aber nicht substantiiert damit auseinandergesetzt, dass sie sich in diesem Fall gegen die Durchführung einer derartigen Prüfung hätten wehren können statt sie zu dulden und dann im Anschluss daran die Aufwandspauschale zu liquidieren.
Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist zudem auch in dieser Hinsicht vertretbar: Die in § 301 Abs. 1 Satz 1 SGB V verankerte Verpflichtung der Krankenhäuser zur Datenübermittlung steht im Kontext anderer der Sicherung korrekter Abrechnung dienender Vorschriften; sie wäre wenig sinnvoll, wenn die Krankenkassen als Empfänger der Daten und Schuldner der entsprechenden Leistungen sie nicht prüfen könnten. Vor allem aber ist die Bezugnahme auf die allgemeinen Grundsätze des bürgerlichen Rechts durchaus nachvollziehbar: Nachdem das Sozialrecht trotz Kodifizierung im Sozialgesetzbuch oft keine eigenständige Ausgestaltung allgemeiner Rechtsbegriffe gibt, ist es gängige Praxis, auf allgemeine Regelungen des bürgerlichen Rechts zurückzugreifen. Für die hier in Rede stehenden Rechtsbeziehungen zwischen Krankenhäusern und Krankenversicherung ist dies überdies durch § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V gesetzlich legitimiert.
Wenn die Beschwerdeführerinnen argumentieren, für einen Rückgriff auf die allgemeinen Grundsätze des bürgerlichen Rechts sei kein Raum, beruht dies auf der vom Bundessozialgericht gerade nicht geteilten Prämisse einer lückenlosen Regelung der Prüfmöglichkeiten durch das SGB V und durch § 275 Abs. 1 Nr. 1 SGB V. Gleichen Einwänden sieht sich das Argument der Beschwerdeführerinnen ausgesetzt, durch die Auslegung des Bundessozialgerichts würde den von den „Selbstverwaltungspartnern“ auf der Grundlage von § 17c Abs. 2 Satz 1 KHG vereinbarten Regelungen zur Ausgestaltung des Prüfverfahrens ein wesentlicher Teil ihres Anwendungsbereiches genommen: Nachdem § 17c Abs. 2 Satz 1 KHG an das „Prüfverfahren nach § 275 Absatz 1c des Fünften Buches Sozialgesetzbuch“ anknüpft, ist die Frage nach dessen Anwendungsbereich logisch vorrangig.
In der Sache hat die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts durchaus gewichtige Gründe für sich, auch wenn der Gesetzgeber sich diese im Kontext der Einführung und Änderung von § 275 Abs. 1c SGB V nicht zu eigen gemacht hat.
Zum allgemeinen Argument zum Recht eines jeden Schuldners, die Berechtigung der ihm gegenüber erhobenen Forderungen nach Grund und Höhe zu prüfen, treten spezifische Überlegungen aus dem Verhältnis von Krankenhäusern und Krankenkassen hinzu: Schon die von den Beschwerdeführerinnen mitgeteilte Höhe der für die stationäre Krankenhausbehandlung typischerweise anfallenden Kosten und deren regelmäßige Steigerung lassen es verständlich erscheinen, dass das Bundessozialgericht eine eingeschränkte Prüftätigkeit der Kassen als problematisch angesehen hat. Ein nachvollziehbarer Grund für das vom Bundessozialgericht hervorgehobene legitime Interesse der Krankenkassen, die sachlich-rechnerische Richtigkeit von Abrechnungen prüfen zu können, ergibt sich zudem aus den Besonderheiten des DRG-Abrechnungssystems: Dabei geht es nicht so sehr um bewusste Falschabrechnungen. Plausibel ist ein Prüfungsbedarf vielmehr wegen des Charakters des DRG-Systems als lernendes System: Wo Fehlsteuerungen und Fehlerquellen auftreten und Reformbedarf besteht, wird für Krankenkassen erst erkennbar, wenn sie Abrechnungen ohne Einschränkungen und unter Zuhilfenahme des medizinischen Sachverstandes des MDK prüfen.
Die hohe Zahl von über 40 % fehlerhafter Abrechnungen verdeutlicht diesen Prüfungsbedarf, selbst wenn die notwendigen Korrekturen im Ergebnis nicht in allen Fällen zu einer Reduzierung des Abrechnungsbetrags führen. Die Beschwerdeführerinnen unterschätzen ihn, wenn sie argumentieren, dass Abrechnungskürzungen an einer Stelle wegen der Notwendigkeit einer auskömmlichen Finanzierung des Krankenhauswesens insgesamt zwingend zu höheren Zahlungen an anderer Stelle führen müssten und sich deshalb als letztlich „willkürlich“ darstellten: Die Komplexität des Finanzierungssystems und die Vielzahl selbständiger Krankenhäuser als Gläubiger zeigen, dass unzutreffende Abrechnungen kein zu vernachlässigendes Phänomen darstellen. Genauso wenig überzeugend ist das Argument, gerade aus der Vielzahl von Prüfungen, die einen Korrekturbedarf ergeben, lasse sich ein besonderes Bedürfnis nach Rechtssicherheit und nach einem schnellen Abschluss der Prüfungen ableiten.
Die angegriffenen Entscheidungen setzen sich nicht über den erkennbaren Willen des Gesetzgebers hinweg.
In § 275 Abs. 1 SGB V kommt die gesetzgeberische Grundentscheidung zum Ausdruck, dass Krankenkassen die Möglichkeit haben, Abrechnungen von Leistungsträgern zu überprüfen. Mit der Formulierung „insbesondere zur Prüfung von Voraussetzungen, Art und Umfang der Leistung, sowie bei Auffälligkeiten“ steht weiterhin fest, dass von dem Tatbestand im Wesentlichen die Wirtschaftlichkeitsprüfung erfasst ist, also die Prüfung der Verweildauer und der Aufnahmeindikation. Gleichzeitig hat der Gesetzgeber davon abgesehen, eine ausdrückliche Erfassung der sachlich-rechnerischen Richtigstellung mit aufzunehmen.
Diese Vorstellung von Bedeutung, Reichweite und Zielsetzung der Norm lässt sich auch aus den Gesetzesmaterialien hinreichend ableiten. So ist bereits in der Begründung des Gesetzesentwurfs zur Neufassung des § 275 SGB V ausgeführt: „Das Verfahren wird ausdrücklich begrenzt auf Fälle, in denen die Krankenkassen einen Anfangsverdacht haben.“32. Zu der streitgegenständlichen Aufwandspauschale, welche im Jahr 2007 durch das Fallpauschalengesetz eingeführt wurde, heißt es: „Das BSG hebt hervor, dass die Einleitung des Verfahrens unter Einschaltung des MDK spätestens dann notwendig ist, wenn die Krankenkasse nach Vorlage der Rechnung und dem Fälligwerden der geforderten Vergütung Zweifel an der Behandlungsnotwendigkeit hat.“33. Die Bezugnahme auf die Behandlungsnotwendigkeit zeigt die enge Begrenzung des Anwendungsbereichs auf die Wirtschaftlichkeitsprüfung.
Zwar wird in den Materialen zur Einführung von § 275 Abs. 1c SGB V durch das Fallpauschalengesetz auch auf den Umfang und die Komplexität der Kodierregeln und der dadurch veranlassten Fehlabrechnungen eingegangen und dieses Problem offenbar dem Anwendungsbereich der Norm zugeordnet. Allerdings ist anhand der Begründung nicht erkennbar, ob der Gesetzgeber dies als weitere Fallgruppe der Norm versteht, oder ob ihm der Unterschied zwischen sachlich-rechnerischer Richtigstellung und Wirtschaftlichkeitsprüfung möglicherweise nicht hinreichend bewusst war. Im Ergebnis begründet diese Unsicherheit aber keinen entgegenstehenden Willen, da dieser nicht klar erkennbar zutage getreten ist, sondern der Interpretation des Rechtsanwenders bedarf. Die Grundannahme des Bundessozialgerichts, welche allein die Wirtschaftlichkeitsprüfung dem Prüfungsregime des § 275 SGB V unterstellt, läuft daher nicht dem (erkennbaren) gesetzgeberischen Willen zuwider.
Die Rechtsänderung zum 1.01.2016 ändert daran nichts: Zwar ist unverkennbar, dass mit der Anfügung von § 275 Abs. 1c Satz 4 SGB V die streitige Rechtsprechung korrigiert werden sollte. Dies ist jedoch kein Indiz für einen vorher schon vorhandenen entgegenstehenden Willen des Gesetzgebers. Vielmehr zeigt die ausdrücklich als „Neuregelung“ bezeichnete Änderung der Vorschrift34, dass der Gesetzgeber von seiner Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, auf die Rechtsentwicklung, die dadurch entstandene Problemlage bei den Krankenkassen und der teilweise kritischen Stimmen im Schrifttum, „nunmehr“ zu bestimmen, dass sich die Fristen- und Anzeigeregelung des Satzes 2 und die Regelung zur Aufwandspauschale in Satz 3 auf jegliche Prüfung der stationären Abrechnung beziehe.
Die Frage, welches Gewicht einer derartigen „authentischen Interpretation“ durch den Gesetzgeber zukommt, muss nicht umfassend geklärt werden. Mit Blick auf die verfassungsrechtliche Bedeutung der Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung sind solche Ausführungen in Gesetzgebungsmaterialien, die eine ständige Rechtsprechung grundsätzlich akzeptieren, zweifellos von Bedeutung, selbst wenn sie im Rahmen einer deren Auswirkungen für die Zukunft weitgehend korrigierenden Gesetzesänderung erfolgen. Geht man vor diesem Hintergrund von einer vom Gesetzgeber akzeptierten Differenzierungsmöglichkeit zwischen einer Auffälligkeitsprüfung und einer Prüfung der sachlich-rechnerischen Richtigkeit aus, ergibt sich insgesamt das Bild eines verfassungsrechtlich akzeptablen Wechselspiels von Rechtsprechung und Rechtsetzung35.
Schließlich sprechen auch sonstige Gesichtspunkte nicht für die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Rechtsprechung: So sind zwar § 275 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 SGB V und § 275 Abs. 1c SGB V junge Normen. Das engt grundsätzlich den Spielraum für eine rechtsfortbildende Entscheidung ein36. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass mit der Einführung des DRG-Systems Prüfnotwendigkeiten entstanden waren, die sich den traditionellen Prüfungen von Grund und Dauer stationärer Behandlungen und damit dem in dieser Tradition stehenden § 275 Abs. 1 Nr. 1 SGB V nicht ohne Weiteres zuordnen ließen. Diese mit einem Systemwechsel verbundenen Auswirkungen auf mittelbar betroffene Vorschriften können einen legitimierenden Grund für die Anpassung auch junger Vorschriften im Wege richterlicher Rechtsfortbildung darstellen.
Das Bundesverfassungsgericht zieht die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung enger, wenn sie sich nachteilig auf ein verfassungsrechtlich besonders geschütztes Rechtsgut auswirkt37 und je schwerer die beeinträchtigte Rechtsposition verfassungsrechtlich wiegt38. Vor diesem Hintergrund besteht vorliegend ein weiter Spielraum für die richterliche Rechtsfortbildung. Betroffen sind schlichte Zahlungsansprüche zwischen juristischen Personen ohne Verknüpfung mit verfassungsrechtlich geschützten Rechtspositionen. Es geht nur um die Reichweite eines Steuerungsinstruments, das der Gesetzgeber zwischen beiderseits auf öffentliche Finanzmittel angewiesenen professionellen Akteuren des Gesundheitswesens einsetzt.
Aus ähnlichen Gründen ist die Verweisung der Beschwerdeführerinnen auf eine durch die angegriffene Rechtsprechung vermeintlich verursachte verfassungsrechtlich bedenkliche Asymmetrie im Verhältnis der beteiligten Akteure nicht überzeugend. Sie führen insbesondere ein Ungleichgewicht an, das sich daraus ergebe, dass die Krankenkassen wegen der angegriffenen Rechtsprechung, die zur Unanwendbarkeit der sechswöchigen Ausschlussfrist aus § 275 Abs. 1c Satz 2 SGB V auf die Prüfungen der sachlich-rechnerischen Richtigkeit führt, vier Jahre lang die Korrektur einer unzutreffenden Rechnung geltend machen könnten, während die Krankenhäuser hierfür nur bis zum Ablauf des nächsten Kalenderjahrs Zeit hätten. Abgesehen davon, dass vorliegend nicht die Frist aus § 275 Abs. 1c Satz 2 SGB V Gegenstand der Ausgangsverfahren war, setzen sich die Beschwerdeführerinnen mit einem in diesem Zusammenhang wesentlichen Argument des Bundessozialgerichts nicht auseinander: Das Gericht hat nachvollziehbar darauf verwiesen, dass den Krankenhäusern die erforderlichen Informationen von Anfang an und vollständig zur Verfügung stehen, während die Krankenkassen darauf angewiesen sind, dass die Krankenhäuser sie ihnen übermitteln.
Die Annahme des Bundessozialgerichts, die Anfügung von Satz 4 an § 275 Abs. 1c SGB V entfalte erst ab 1.01.2016 Wirkung und sei nicht als zurückwirkende Klarstellung der ohnehin geltenden Rechtslage anzusehen, verletzt die Grenzen verfassungsrechtlich zulässiger Rechtsfortbildung nicht.
Zum einen handelt es sich insoweit um die einfachrechtliche Auslegung der Regelungen über das Inkrafttreten des Krankenhausstrukturgesetzes aus Art. 9 Abs. 1 KHSG, die allein an dem von den Beschwerdeführerinnen nicht hinreichend substantiiert gerügten Willkürverbot aus Art. 3 Abs. 1 GG zu messen wäre. Zum anderen lässt sich die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu dieser Frage mit Blick auf den Wortlaut, die andernfalls entstehende Rückwirkungsproblematik und die Materialien zum Krankenhausstrukturgesetz zumindest rechtfertigen.
Die nur im Verfahren 1 BvR 2207/17 auftretende Frage, wann bei einem gestreckten Sachverhalt die maßgebliche Zäsur eintritt, kann offenbleiben, nachdem die Beschwerdeführerin in diesem Verfahren zu den kommunalen Krankenhäusern gehört und ihre Verfassungsbeschwerde unzulässig ist.
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 26. November 2018 – 1 BvR 318/17 – 1 BvR 2207/17 – 1 BvR 1474/17
- BGBl I S. 1412[↩]
- vgl. zu diesem System z.B. BSG, Urteil vom 16.05.2012 – B 3 KR 14/11 R, BSGE 111, 58, 64 ff. Rn. 18 ff.[↩]
- BGBl I S. 378, 430 f.[↩]
- vgl. BT-Drs. 16/3100, S. 171[↩]
- vgl. BT-Drs. 16/3950, S. 35[↩]
- BGBl I S. 534, 546[↩]
- vgl. BT-Drs. 16/11429, S. 31[↩]
- a.a.O., S. 47[↩]
- BGBl I S. 2229, 2251[↩]
- vgl. BT-Drs. 18/6586, S. 72 f.[↩]
- a.a.O., S. 110[↩]
- BSG 1 KR 29/13 R[↩]
- vgl. BSG, Urteil vom 01.07.2014 – B 1 KR 29/13 R, BSGE 116, 165, 168 ff. Rn. 16 ff.[↩]
- BSG, Urteile vom 25.10.2016 – B 1 KR 16/16 R, B 1 KR 18/16 R, B 1 Kr 19/16 R und B 1 KR 22/16 R[↩]
- vgl. zur Grundrechtsbindung und zur fehlenden Grundrechtsfähigkeit von Unternehmen, die sich überwiegend in öffentlicher Hand befinden BVerfGE 128, 226, 246 f.; BVerfGK 15, 484, 488 f.[↩]
- vgl. BVerfGE 45, 63, 79; 61, 82, 103[↩]
- vgl. BVerfGE 6, 45, 49 f.; 61, 82, 104; 75, 192, 200[↩]
- vgl. ebenso BVerfGE 75, 192, 200[↩]
- vgl. für viele BVerfGE 68, 193, 206[↩]
- vgl. BVerfGE 75, 192, 200 f.[↩]
- vgl. für die Frage, ob unzulässiges Richterrecht vorliegt, BVerfGE 75, 192, 200 und zu Art. 3 Abs. 1 GG BVerfG, Beschluss vom 09.01.2007 – 1 BvR 1949/05 15; mit ähnlichen Erwägungen zu Art.19 Abs. 4 GG BVerfGE 129, 108, 118[↩]
- vgl. BVerfGE 128, 193, 209 ff.; 132, 99, 127 f. Rn. 73 ff.; BVerfG, Beschluss vom 06.06.2018 – 1 BvL 7/14 u.a. 72 ff.; stRspr[↩]
- vgl. BVerfGE 132, 99, 127 Rn. 74; BVerfG, Beschluss vom 06.06.2018 – 1 BvL 7/14 u.a. 73[↩]
- vgl. BVerfGE 128, 193, 210 f.; 132, 99, 128 Rn. 76[↩]
- vgl. BVerfGE 96, 375, 395; 122, 248, 258; 128, 193, 210 f.; 132, 99, 128 Rn. 76; stRspr[↩]
- vgl. BVerfGE 82, 6, 12 f.; 132, 99, 127 Rn. 75[↩]
- vgl. BVerfGE 128, 193, 210; 132, 99, 127 f. Rn. 75[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 06.06.2018 – 1 BvL 7/14 u.a. 73[↩]
- vgl. BVerfGE 133, 168, 205 f. Rn. 66; BVerfG, Beschluss vom 06.06.2018 – 1 BvL 7/14 u.a. 74[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 06.06.2018 – 1 BvL 7/14 u.a. 75[↩]
- vgl. z.B. BSG, B 1 KR 22/16 R, Rn. 11 ff.[↩]
- BT-Drs. 14/7862, S. 6[↩]
- BT-Drs. 16/3100, S. 171[↩]
- vgl. BT-Drs. 18/6586, S. 110[↩]
- vgl. dazu z.B. BVerfGE 132, 99, 127 Rn. 74 und BVerfG, Beschluss vom 06.06.2018 – 1 BvL 7/14 u.a. 73[↩]
- vgl. BVerfGE 34, 269, 288[↩]
- vgl. BVerfGE 49, 304, 319[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 31.10.2016 – 1 BvR 871/13 u.a.20[↩]