Ein Arbeitsloser kann auch bei der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit im Ausland einen Anspruch auf Überbrückungsgeld haben. Für die Beurteilung kommt es nicht auf das Fortbestehen eines Wohnsitzes im Inland an. Mit einer Inlands- wie mit einer Auslandsgründung und unabhängig vom Wohnsitz ist regelmäßig das Ausscheiden aus dem Pflichtversicherungssystem der deutschen Sozialversicherung verbunden, so dass ein ausschließlich in der Vergangenheit liegender Bezug zur Versichertengemeinschaft für die Gewährung von Überbrückungsgeld maßgeblich ist.

Nachdem durch eine falsche Beurteilung der Bundesagentur für Arbeit der Antrag auf Überbrückungsgeld zu Unrecht abgelehnt worden ist, kann sie sich später nicht darauf berufen, dass der Leistungsberechtigte zwischenzeitlich das Gewerbe wieder aufgegeben hat.
Mit dieser Entscheidung hat das Hessische Landessozialgericht einem Arbeitslosen das Überbrückungsgeld zugesprochen, der in Österreich eine Pizzeria übernommen hat. Ein arbeitsloser Diplom-Betriebswirt beantragte im Jahre 2005 Überbrückungsgeld für die Übernahme einer Pizzeria im österreichischen Ried im Innkreis. Dies lehnte die Bundesagentur mit der Begründung ab, dass nur Tätigkeiten in Deutschland gefördert werden. Der Arbeitslose verwies darauf, dass er seinen Wohnsitz im Main-Taunus-Kreis behalte und die Gewinne in Deutschland versteuere.
Nach Auffassung des Landessozialgerichts kann auch eine Tätigkeit im Ausland die Arbeitslosigkeit beenden. Es verurteilte die Bundesagentur zur Leistung.
Anspruchsgrundlage ist § 57 SGB III in der zuletzt durch das Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24. Dezember 20031 mit Wirkung zum 1. Januar 2005 geänderten Fassung2. Diese ist trotz des zwischenzeitlichen Wegfalls des Anspruchs auf Überbrückungsgeld und dessen Ersetzung durch den Gründungszuschuss weiterhin anwendbar: Bei dem Anspruch auf Überbrückungsgeld handelt(e) es sich um eine Leistung der aktiven Arbeitsförderung im Sinne von § 3 Abs. 1 und 4 SGB III. Nach § 422 Abs. 1 Nr. 3 SGB III sind Vorschriften über die Erbringung derartiger Leistungen nach einer Änderung des SGB III weiter in der zuvor geltenden Fassung anzuwenden, wenn die zu fördernde Maßnahme vor der Änderung begonnen hat und die Leistung bis zum Beginn der Maßnahme beantragt wurde. Im konkreten Fall hat der Kläger das Überbrückungsgeld am 16. Juni 2005 beantragt und die selbständige Tätigkeit am 1. September 2005 aufgenommen. Somit ist § 57 SGB III trotz der zwischenzeitlichen Änderungen – zunächst von Abs. 3 mit Wirkung ab 31. Dezember 2005 durch das Fünfte Gesetz zur Änderung des SGB III und anderer Gesetze vom 22. Dezember 20053 und dann insbesondere durch den Wegfall des Anspruchs auf Überbrückungsgeld und die Einführung des Gründungszuschusses zum 1. August 2006 durch das Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20. Juli 20064 – weiter in der ab 1. Januar 2005 geltenden Fassung anzuwenden.
Danach haben Arbeitnehmer, die durch die Aufnahme einer selbständigen, hauptberuflichen Tätigkeit die Arbeitslosigkeit beenden oder vermeiden, zur Sicherung des Lebensunterhalts und zur sozialen Sicherung in der Zeit nach der Existenzgründung Anspruch auf Überbrückungsgeld (§ 57 Abs. 1 SGB III F. 2005). Das Überbrückungsgeld wird geleistet, wenn der Arbeitnehmer in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Aufnahme der selbständigen Tätigkeit Entgeltersatzleistungen nach dem SGB III bezogen und eine Stellungnahme einer fachkundigen Stelle über die Tragfähigkeit der Existenzgründung vorgelegt hat (§ 57 Abs. 2 SGB III F. 2005).
Der Kläger hat zunächst durch die Übernahme der Pizzeria B. in C. im C‑Kreis eine von § 57 Abs. 1 SGB III F. 2005 erfasste selbständige, hauptberufliche Tätigkeit aufgenommen. Der Kläger war im fraglichen Zeitraum hauptberuflich in der von ihm geführten Pizzeria in C. im C‑Kreis tätig, obwohl er seinen Hauptwohnsitz in A-Stadt beibehalten hat.
Den (zeitlichen) Umfang, in dem die selbständige Tätigkeit ausgeübt werden muss, um als hauptberuflich gelten zu können, gibt das Gesetz nicht unmittelbar vor5. Grundsätzlich ist daher sogar die Förderung von Teilzeittätigkeiten nicht ausgeschlossen, wenn dies für die Tragfähigkeit der Existenzgründung ausreicht. Allerdings setzt die Hauptberuflichkeit voraus, dass die Tätigkeit nicht anderen Beschäftigungen, einem Studium o.Ä. untergeordnet ist, also nur den Charakter eines Neben- oder Zusatzerwerbs hat. Der zeitliche Schwerpunkt muss insofern auf der selbständigen Tätigkeit liegen6.
Im konkreten Fall hat der Kläger glaubhaft und nachvollziehbar angegeben, er sei häufig montags – wenn die Pizzeria ohnehin geschlossen gewesen sei – zurück nach A‑Stadt gefahren. Mittwochs sei er dann nach C‑Stadt zurückgefahren. Den Rest der Woche habe er vor allem im Service mitgearbeitet, außerdem alle Einkäufe erledigt. Daraus ergibt sich deutlich und nachvollziehbar das Bild einer hauptberuflichen Tätigkeit. Dies stimmt überdies mit seinen Angaben bei der Antragstellung überein, er werde zukünftig 50 Stunden wöchentlich für seine Tätigkeit aufwenden. Im Ergebnis ist der Senat überzeugt, dass der Kläger selbst im Umfang einer Vollzeittätigkeit im Unternehmen mitgearbeitet hat.
Der Umstand, dass der Kläger die Pizzeria übernommen, also das Gewerbe nicht selbst aufgebaut hat, steht dem Anspruch nicht entgegen7.
Weiter ist der Anspruch auf Überbrückungsgeld auch dadurch, dass der Kläger das Gewerbe in Österreich geführt hat, nicht ausgeschlossen. Dem Wortlaut des § 57 SGB III F. 2005 ist eine entsprechende Begrenzung nicht zu entnehmen. Auch der (primäre) Zweck der Vorschrift, nämlich die Beendigung (oder Vermeidung) von Arbeitslosigkeit des Leistungsberechtigten, erfordert eine derartige Einschränkung nicht. Die Arbeitslosigkeit im Inland und die Pflicht der Beklagten, entsprechende Lohnersatzleistungen zu erbringen, entfällt bei einer Tätigkeit im Ausland in gleicher Weise wie bei einer inländischen Existenzgründung. Der Gesetzgeber hat allerdings, worauf die Beklagte im Ausgangspunkt zutreffend hingewiesen hat, mit der Förderung der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit zudem die Hoffnung verbunden, eine erfolgreiche Existenzgründung könne zur Schaffung weiterer Arbeitsplätze führen8. Diese Hoffnung ist jedoch bereits in der Gesetzesbegründung vorsichtig formuliert („kann“), vor allem aber hat sie in der Gesetzesformulierung keinen Niederschlag gefunden. Überbrückungsgeld war im fraglichen Zeitraum (ebenso wie der Gründungszuschuss heute) vielmehr unterschiedslos und ohne Ermessen der Beklagten bereits dann zu gewähren, wenn die selbständige Tätigkeit die wirtschaftliche Existenz des Leistungsberechtigten selbst zu sichern versprach.
Der zentrale Leistungszweck, nämlich die Angewiesenheit des Betroffenen auf Entgeltersatzleistungen der Arbeitslosenversicherung zu beenden, wird durch die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit im Ausland ebenso erreicht wie bei einer Existenzgründung im Inland. Daher ist das Territorialitätsprinzip (§ 30 Abs. 1 SGB I), auf das sich die Beklagte in der vom Sozialgericht ebenfalls herangezogenen Dienstanweisung beruft, für den Ort der Existenzgründung nicht maßgeblich9. Dementsprechend hat das Bundessozialgericht10 einen Anspruch auf einen Existenzgründungszuschuss bei Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit im Ausland bejaht. Die zur Begründung herangezogenen Argumente stimmen dabei mit den obigen weitgehend überein. Soweit die Beklagte demgegenüber darauf verweist, das Bundessozialgericht habe ausgeführt, der Existenzgründungszuschuss nach § 421l SGB III weise – anders als der Gründungszuschuss und das Überbrückungsgeld – keine Zweckbindung zur sozialen Sicherung auf, ist dieser Unterschied letztlich nicht entscheidend. Das Bundessozialgericht hat diesen Gesichtspunkt angeführt, um das Argument zu entkräften, aus der Rentenversicherungspflicht der Bezieher eines Existenzgründungszuschusses (§ 2 S. 1 Nr. 10 SGB VI in der damals maßgeblichen Fassung) folge deren Einbindung in das deutsche Sozialversicherungssystem und damit die Beschränkung auf Existenzgründungen im Inland. Für die Bezieher von Überbrückungsgeld bestand aber schon gar keine Rentenversicherungspflicht im Inland. Ihre Bindung an das deutsche Sozialversicherungssystem war daher sogar geringer als die der Empfänger eines Existenzgründungszuschusses. Dementsprechend fließt die Notwendigkeit der (sozial-)versicherungsrechtlichen Absicherung nach § 57 Abs. 5 SGB III F. 2005 auch nur in pauschalierter Form in die Berechnung des Überbrückungsgeldes ein; entsprechende Beträge wurden an die Berechtigten und nicht etwa (nur) direkt an entsprechende (Sozial-)Versicherungsträger gezahlt, so dass die Leistungsberechtigten diese durchaus auch zu einer entsprechenden Absicherung im Ausland verwenden konnten.
Im Ergebnis kann auch die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit im Ausland zu einem Anspruch auf Überbrückungsgeld führen11.
Verschiedentlich wird allerdings gefordert, der Leistungsberechtigte müsse zumindest seinen Inlandswohnsitz beibehalten12. Das Bundessozialgericht musste diese Frage in dem zitierten Urteil zum Existenzgründungszuschuss nicht entscheiden, da es sich dort um einen Grenzpendler (nach Luxemburg) handelte. Auch hier ist die Frage nicht entscheidungserheblich. Das Landessozialgericht ist, insbesondere auf Grund der glaubhaften Einlassung des Klägers zur Ausgestaltung seiner Tätigkeit im Rahmen der mündlichen Verhandlung, der Überzeugung, dass der Kläger seinen Wohnsitz in A‑Stadt nicht aufgegeben hatte.
Nach § 30 Abs. 3 S. 1 SGB I hat jemand seinen Wohnsitz dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Entscheidend sind dabei allein die tatsächlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse und – anders als im Zivilrecht – nicht der Wille, an einem bestimmten Ort einen Wohnsitz zu begründen. Der Wohnsitz liegt dort, wo jemand den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen hat. Er wird aufgegeben, wenn die Wohnung aufgelöst oder nicht nur vorübergehend nicht mehr benutzt wird13.
Danach ist das Gericht hier vom Fortbestehen eines Wohnsitzes in A‑Stadt überzeugt. Der Kläger hatte die mit seiner Ehefrau bewohnte Wohnung gerade noch nicht aufgegeben, auch seinen Lebensmittelpunkt noch nicht nach Österreich verlegt. Vielmehr wollten er und seine Ehefrau erst noch abwarten, ob sich die Existenzgründung als tragfähig erweisen würde. Nach seiner glaubhaften Darstellung hat er selbst sich noch so regelmäßig in A‑Stadt aufgehalten, dass auch in seiner Person von dem Fortbestehen eines Wohnsitzes dort ausgegangen werden kann. So ist er zumindest alle zwei Wochen von Montag bis Mittwoch in der ehelichen Wohnung A‑Stadt gewesen; in C‑Stadt hat er nur in einem zur Gaststätte gehörigen Zimmer gewohnt. Der Wohnsitz beider Eheleute sollte erst in die Nähe der Gaststätte verlegt werden, wenn sich deren Tragfähigkeit nach einer Probephase bewährt hätte. Ganz entsprechend hat der Kläger in Deutschland seine Steuererklärung abgegeben und seinen Wohnsitz in A‑Stadt auch melderechtlich beibehalten.
Vor diesem Hintergrund ist nur ergänzend darauf hinzuweisen, dass die maßgeblichen Gesichtspunkte, die für eine Gewährung von Überbrückungsgeld bei einer Existenzgründung im Ausland sprechen, auch bei einer Aufgabe des Inlandswohnsitzes gelten. Entscheidend dürfte insofern wiederum sein, dass die Förderung in erster Linie darauf zielt, die Arbeitslosigkeit und damit den Bezug von Entgeltersatzleistungen zu beenden, wobei dies durch die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit geschehen soll. Damit ist bei einer Inlands- wie bei einer Auslandsgründung und unabhängig vom Wohnsitz regelmäßig das Ausscheiden aus dem Pflichtversicherungssystem der deutschen Sozialversicherung verbunden, so dass allein ein ausschließlich in der Vergangenheit liegender Bezug zur Versichertengemeinschaft für die Leistungsgewährung maßgeblich ist14. Wegen der damit verbundenen Entlastung des inländischen Arbeitsmarktes sieht im Übrigen § 45 Abs. 2 SGB III jedenfalls in seiner heutigen Fassung die Unterstützung einer Beschäftigungsaufnahme in der Europäischen Union, einem anderen Vertragsstaat des Europäischen Wirtschaftsraums oder der Schweiz sogar ausdrücklich vor, obwohl bei einer Beschäftigungsaufnahme auf Grund der damit verbundenen Sozialversicherungspflicht der Inlandsbezug sogar größeres Gewicht hat. Die – im Wortlaut des Gesetzes nicht vorgesehene – Beibehaltung eines Inlandswohnsitzes ist im Ergebnis auch vom Zweck des Anspruchs auf Überbrückungsgeld nicht verlangt, so dass es auf die Frage, ob entsprechende Differenzierungen europarechtskonform sein könnten, gar nicht mehr ankäme.
Weiter hat die notwendige Stellungnahme einer fachkundigen Stelle zur Tragfähigkeit der Existenzgründung vorgelegen. Als fachkundige Stelle gelten nach § 57 Abs. 2 Nr. 2 HS. 2 SGB III F. 2005 insbesondere die Industrie- und Handelskammern, Handwerkskammern, berufsständischen Kammern, Fachverbände und Kreditinstitute. Die Aufzählung ist nicht abschließend15. Die „Insbesondere-Regelung“ führt allerdings zu einer Begrenzung der dem Antragsteller grundsätzlich eröffneten Auswahlmöglichkeit. Entscheidend ist, ob die gewählte Stelle in vergleichbarer Weise wie die gesetzlich genannten als fachkundig gelten kann und dies – jedenfalls in gewissem Maße – institutionell abgesichert ist16.
Daher kommen auch Steuer- und Unternehmensberater als fachkundige Stelle in Betracht17. Bedenken, die etwa die Bundesregierung in ihrem „Bericht 2005 zur Wirksamkeit moderner Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“18 hinsichtlich der Qualität der von Steuerberatern erstellten Tragfähigkeitsbescheinigungen geäußert hat, können nach der maßgeblichen (aber auch noch nach der gegenwärtigen) Gesetzeslage nicht dazu führen, Steuer- und Unternehmensberater aus dem Kreis der grundsätzlich als fachkundig in Betracht kommenden Stellen auszunehmen. So nennt das Gesetz ausdrücklich auch Kreditinstitute. Damit sind Personen ohne öffentlich-rechtliche Bindung und einer damit verbundenen Neutralitätsgewähr in den Kreis der Stellen mit „gesetzlich vermuteter Sachkunde“ aufgenommen. Auch bei Kreditinstituten kann aber nicht unbesehen angenommen werden, dass sie sich bei der Beurteilung selbstverständlich an Standards halten, die geeignet sind, im öffentlichen Interesse dafür zu sorgen, dass Existenzgründungsvorhaben nur nach eingehender Prüfung ihrer Tragfähigkeit gefördert werden; vielmehr ist bei Kreditinstituten sogar ein erhebliches Eigeninteresse an der Förderung denkbar, wenn sie etwa das Gründungsvorhaben finanzieren, ohne dass dies zu einer Begrenzung des Kreises potentiell fachkundiger Stellen geführt hätte. Daher kann es für die Anerkennung als fachkundige Stelle nur darauf ankommen, ob diese berufstypisch mit der Begleitung und Beurteilung unternehmerischer Tätigkeiten befasst ist. Das ist bei Steuerberatern, Unternehmensberatern und Wirtschaftsprüfern in ähnlicher Weise der Fall wie bei Kreditinstituten. Sofern nicht branchenspezifische Besonderheiten eine Rolle spielen, sondern es um ein in keiner Weise außergewöhnliches Gewerbe wie den Betrieb einer Pizzeria geht und keine Hinweise auf deren unzureichende Qualifikation zur Beurteilung des konkreten Existenzgründungsvorhabens bestehen, muss daher auch deren Stellungnahme als fachkundig akzeptiert werden. In diesem Sinne hat auch die Beklagte gerade in der von ihr zu den Akten des Sozialgerichts gereichten Durchführungsanweisung zur Förderung der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit nach § 57 SGB III – Stand 02.01.2006 – unter Ziffer 57.21 formuliert, in begründeten Fällen könnten einzelne Stellen von der Begutachtung ausgeschlossen werden. Dazu bedürfe es jedoch einer individuellen Prüfung. Ein genereller Ausschluss bestimmter Stellen (z.B. Steuerberater, Wirtschaftsprüfer) sei nicht möglich.
Der vom Kläger beauftragte Unternehmensberater D. ist nach dessen glaubhaften Angaben im Schreiben vom 26. September 2005 bei der örtlich zuständigen E. Wirtschaftskammer gemeldet und Inhaber eines entsprechenden Gewerbescheins. Er ist – aus dem Schreiben erkennbar – Mitglied einer mehrköpfigen Steuerberatungsgesellschaft, der G., H. & J. GmbH & Co. KEG, C. in C‑Stadt. Überdies ist gerade bei einem Gewerbe wie einer Pizzeria die Vertrautheit mit der Situation und den Marktaussichten vor Ort von größter Bedeutung. Insofern beruht die Auswahl der fachkundigen Stelle, die der Kläger getroffen hat, auf nachvollziehbaren Erwägungen. Nachdem ihm das Gesetz eine Wahlmöglichkeit unter den grundsätzlich in Betracht kommenden fachkundigen Stellen einräumt19, ist von ihm Weiteres in diesem Zusammenhang nicht zu verlangen – und die Beklagte selbst hat, nachdem der Kläger auf ihre Aufforderung hin das erläuternde Schreiben der fachkundigen Stelle vom 26. September 2005 vorgelegt hatte, diesbezüglich keine weiteren Bedenken formuliert.
Auch inhaltlich ist die vorgelegte Bescheinigung nicht zu beanstanden. Die fachkundige Stelle hat das von der Beklagten herausgegebene Formblatt benutzt. Diese muss sich an ihr eigenes Formblatt binden lassen20, auch wenn es eine Kürzeststellungnahme durch Ankreuzen der „Ja“-Felder nahelegt. Überdies ist der vom Kläger bei der Beklagten eingereichte und von der fachkundigen Stelle geprüfte und für tragfähig erachtete Businessplan vergleichsweise ausführlich und aussagekräftig, wobei in diesem Zusammenhang die eigene Qualifikation des Klägers als Diplom-Betriebswirt eine Rolle gespielt haben dürfte.
Die notwendige Stellungnahme einer fachkundigen Stelle liegt damit vor. Weitere Voraussetzungen hinsichtlich der Tragfähigkeit des Vorhabens und der persönlichen Eignung des Klägers waren zum maßgeblichen Zeitpunkt gesetzlich nicht verlangt. Vielmehr stand der Beklagten – bis zur Grenze evident unzutreffender Einschätzungen der fachkundigen Stelle – eine eigene inhaltliche Beurteilungskompetenz nicht zu21.
Der Kläger hat bis zur Aufnahme der selbständigen Tätigkeit – bzw. zunächst sogar bis 16. September 2005, wobei die Beklagte die Überzahlung durch den Bescheid vom 3. November 2005 korrigiert hat – Arbeitslosengeld erhalten. Eine Restlaufzeit der Entgeltersatzleistung bei Aufnahme der selbständigen Tätigkeit war im fraglichen Zeitraum nicht verlangt.
Die Aufnahme der selbständigen Tätigkeit hat weiter zum Wegfall der Arbeitslosigkeit geführt. Auch lässt der Umstand, dass zwischenzeitlich feststeht, dass die Existenzgründung – jedenfalls ohne die streitigen Leistungen – doch nicht tragfähig war, den Leistungsanspruch nicht entfallen.
Insoweit ist zunächst zu berücksichtigen, dass die Leistung als verlorener Zuschuss erbracht wird, so dass das Scheitern der Existenzgründung den Leistungsanspruch grundsätzlich nicht beeinträchtigt22. Dementsprechend erfolgt die Beurteilung sowohl der Tragfähigkeit wie des Wegfalls der Arbeitslosigkeit prognostisch23. Der Beklagten war dabei, wie bereits erwähnt, nach der damaligen gesetzlichen Lage grundsätzlich kein eigenes Prüfungsrecht eingeräumt. § 57 SGB III F. 2005 beschränkte sich vielmehr darauf, die Vorlage einer Stellungnahme von einer fachkundigen Stelle über die Tragfähigkeit der Existenzgründung zu verlangen.
Um die Effektivität gerichtlichen Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) zu wahren, kann sich zudem ein Leistungsträger, der eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat, regelmäßig hinterher nicht darauf berufen, der Zweck der Leistung sei nicht mehr erreichbar24. Das gilt umso mehr, als nach der nicht unplausiblen Einschätzung des Klägers nicht auszuschließen ist, dass das Scheitern der Existenzgründung gerade auf die rechtswidrige Ablehnung der Leistungen zurückzuführen ist. Schließlich wurde der primäre Zweck des Überbrückungsgeldes – nämlich das Ausscheiden aus dem Arbeitslosengeldbezug – immerhin für den streitigen Zeitraum (und sogar noch einige Monate darüber hinaus) erreicht.
Im Ergebnis steht dem Kläger ein Anspruch auf Überbrückungsgeld ab dem Zeitpunkt der Aufnahme der selbständigen Tätigkeit, also ab dem 1. September 2005, zu. Die Leistung ist für sechs Monate zu erbringen (§ 57 Abs. 3 S. 1 SGB III F. 2005); der Leistungszeitraum reicht hier also bis zum 28. Februar 2006.
Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 23. September 2011 – L 7 AL 104/09
- BGBl I S. 2954[↩]
- SGB III F. 2005[↩]
- BGBl I S. 3676[↩]
- BGBl I S. 1706[↩]
- vgl. hierzu und zum Folgenden: Winkler in Gagel, SGB II/SGB III, § 57 Rdnr. 26 zu den entsprechenden Anforderungen für einen Anspruch auf einen Gründungszuschuss[↩]
- vgl. so auch BT-Drs. 15/3674 S. 19 zum Gründungszuschuss[↩]
- vgl. für viele LSG Nds.-Bremen, 11.11.2010 – L 12 AL 151/07; Stratmann in Niesel, SGB III, 3. Aufl. 2005, § 57 Rdnr. 3a; außerdem Winkler, a.a.O., Rdnr. 20 wiederum zum Gründungszuschuss; zu diesem auch die Gesetzesbegründung BT-Drs. 16/1696 S. 30[↩]
- BT-Drs. 10/4211 S. 21 zur Einführung des Überbrückungsgeld in § 55a AFG durch das 7. AFG-ÄndgG[↩]
- vgl. ebs. Link in Eicher/Schlegel, SGB III, § 57 Rdnr. 44 – zur entsprechenden Problematik beim Gründungszuschuss[↩]
- BSG vom 27.08.2008 – B 11 AL 22/07 R[↩]
- vgl. ebs. LSG BW, 24.01.1990 – L 5 R 1486/88[↩]
- vgl. zum Gründungszuschuss Götze in GK-SGB III, § 57 Rdnr. 9d; nicht abschließend: Stratmann in Niesel/Brand, SGB III, 5. Aufl. 2010, § 57 Rdnr. 6; ohne entspr. Einschränkung alldgs. Link in Eicher/Schlegel, SGB III, § 57 Rdnr. 44 und Winkler, a.a.O., Rdnr. 21[↩]
- vgl. BSG, 10.03.2010 – B 12 SF 2/10 S; Seewald in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 30 SGB I Rdnr. 15f.[↩]
- vgl. in diesem Sinne auch das BSG vom 27.08.2008 – B 11 AL 22/07 R[↩]
- vgl. für viele Hess.LSG vom 21.11.2008 – L 7 AL 166/06[↩]
- vgl. ähnlich Link, a.a.O, Rndr. 68, der allerdings zusätzlich auf eine entsprechende Geltung „in der Öffentlichkeit“ abstellt, wobei nicht recht zu erkennen ist, warum es auf den mehr oder minder gerechtfertigten „guten Ruf“ etwa von Banken in der Öffentlichkeit ankommen soll[↩]
- vgl. ausdrkl. Bernard in Kasseler Handbuch zum Arbeitsförderungsrecht, § 9 Rdnr. 110 und LSG SH, 11.12.2009 – L 3 AL 28/08; ähnlich Petzold, a.a.O., Rdnr. 19; auch in der Rspr. finden sich vielfach Fälle, in denen ein Steuerberater als fachkundige Stelle tätig war, ohne dass dies als problematisch angesehen worden wäre, vgl. nur LSG Nds.-Bremen, 11.11.2010 – L 12 AL 151/07 und LSG BW, 18.05.2009 – L 19 AL 71/08[↩]
- BT-Drs. 16/505 S. 116[↩]
- vgl. Hess. LSG vom 21.11.2008 – L 7 AL 166/06 und LSG SH, 11.12.2009 – L 3 AL 28/08[↩]
- so auch Hess LSG vom 21.11.2008 – L 7 AL 166/06[↩]
- vgl. nur Stratmann in Niesel, SGB III, 3. Aufl. 2005, § 57 Rdnr. 9 und LSG SH, 11.12.2009 – L 3 AL 28/08[↩]
- vgl. Bernard, a.a.O., Rdnr. 16[↩]
- vgl. hierzu Stratmann, a.a.O., 3. Aufl., § 57 Rdnr. 5[↩]
- vgl. zu diesem Gesichtspunkt bei der nachträglichen Erbringung von Sozialhilfeleistungen BVerwG, 30.04.1992 – 5 C 1/88[↩]
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