Übergang von Schadensersatzansprüchen bei mehreren Sozialversicherungsträger

Ein gesetzlicher Schadensersatzanspruch geht gemäß § 116 SGB X auf den Versicherungsträger, etwa die gesetzliche Krankenkasse, Unfallversicherung oder Rentenversicherung, oder den Träger der Sozialhilfe über, soweit dieser auf Grund des Schadensereignisses Sozialleistungen zu erbringen hat, die der Behebung eines Schadens der gleichen Art dienen und sich auf denselben Zeitraum wie der vom Schädiger zu leistende Schadensersatz beziehen.

Übergang von Schadensersatzansprüchen bei mehreren Sozialversicherungsträger

Mit den Problemen dieses gesetzlichen Anspruchsübergang gemäß § 116 SGB X bei konkurrierender Zuständigkeit mehrerer Leistungsträger sowie mit dem Umfang der Bindungswirkung gemäß § 118 SGB X hatte sich jetzt der Bundesgerichtshof zu befassen.

Soweit es um einen Träger der Sozialversicherung geht, findet der in § 116 Abs. 1 SGB X normierte Anspruchsübergang in aller Regel bereits im Zeitpunkt des schadenstiftenden Ereignisses statt, da aufgrund des zwischen dem Geschädigten und dem Sozialversicherungsträger bestehenden Sozialversicherungsverhältnisses von vornherein eine Leistungspflicht in Betracht kommt1. Knüpfen hingegen Sozialleistungen, wie dies nicht nur beim Sozialhilfeträger, sondern auch bei der Bundesagentur für Arbeit insbesondere bei Rehabilitationsleistungen der Fall ist, nicht an das Bestehen eines Sozialversicherungsverhältnisses an, ist für den Rechtsübergang erforderlich, dass nach den konkreten Umständen des jeweiligen Einzelfalls eine Leistungspflicht ernsthaft in Betracht zu ziehen ist2. Je nach der gegebenen tatsächlichen Sachlage kann sich daher der Anspruchsübergang auf den Sozialhilfeträger bereits im Unfallzeitpunkt, möglicherweise aber auch erst erheblich später vollziehen. Letzteres ist etwa dann der Fall, wenn die Bedrohung der Sicherung des Arbeitsplatzes durch die Behinderung des Verletzten infolge einer zunächst nicht voraussehbaren Verschlimmerung der Unfallfolgen erst zu einem späteren Zeitpunkt eintritt3.

Für Maßnahmen zur beruflichen Rehabilitation können sowohl die gesetzliche Rentenversicherung als auch die Bundesagentur für Arbeit zuständig sein. Dabei ist, wie die Revision mit Recht geltend macht, die Zuständigkeit der Bundesagentur für Arbeit im Verhältnis zur Zuständigkeit der gesetzlichen Rentenversicherung grundsätzlich subsidiär. Das ergab sich für die Zeit bis zum 31. Dezember 1997 aus der Vorschrift des § 57 AFG, nach der die Bundesanstalt für Arbeit berufsfördernde und ergänzende Leistungen nur gewähren durfte, sofern nicht ein anderer Rehabilitationsträger im Sinne des Gesetzes über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation vom 7. August 19744 zuständig war. Heute folgt die Subsidiarität aus § 22 Abs. 2 Satz 1 SGB III. Danach darf die Bundesagentur für Arbeit allgemeine und besondere Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nur erbringen, sofern nicht ein anderer Rehabilitationsträger im Sinne des Neunten Buches des Sozialgesetzbuchs zuständig ist.

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Feststellungen zur Zuständigkeit des Leistungsträgers sind vorliegend auch nicht im Hinblick auf § 118 SGB X entbehrlich. Nach dieser Vorschrift ist ein Zivilgericht, das über einen nach § 116 Abs. 1 SGB X vom Geschädigten auf einen Sozialversicherungsträger übergegangenen Anspruch zu entscheiden hat, allerdings an eine unanfechtbare Entscheidung eines Sozial- oder Verwaltungsgerichts oder eines Sozialversicherungsträgers über den Grund oder die Höhe der dem Leistungsträger obliegenden Verpflichtung grundsätzlich gebunden. Damit soll verhindert werden, dass die Zivilgerichte anders über einen Sozialleistungsanspruch entscheiden als die hierfür an sich zuständigen Leistungsträger oder Gerichte5. Sozialrechtliche Vorfragen sollen den Zivilprozess nicht belasten und deshalb vor den Zivilgerichten grundsätzlich nicht erörtert werden6. Der im Wege des Regresses in Anspruch genommene Schädiger soll deshalb grundsätzlich nicht Einwendungen gegen die Aktivlegitimation des klagenden Sozialversicherungsträgers erheben können7. Demzufolge erstreckt sich die Bindungswirkung auf den Tenor des Leistungsbescheids oder des (sozial- oder verwaltungsgerichtlichen) Urteils und dessen tragende Feststellungen, nicht aber auf zivilrechtliche Haftungsvoraussetzungen wie die Kausalität zwischen der Schädigungshandlung und dem eingetretenen Schaden. Sie erfasst der Sache nach u.a. die Versicherteneigenschaft des Geschädigten sowie Art und Höhe der Sozialleistung. Darüber hinaus soll die Bindungswirkung grundsätzlich auch die Feststellung der Zuständigkeit der den Bescheid erlassenden Behörde erfassen8.

Dabei kann, so der BGH, die Zuständigkeit der Rentenversicherung für Leistungen im Jahr 2003 nicht aus dem von ihr abgeschlossenen Abfindungsvergleich hergeleitet werden. Dabei kann dahinstehen, ob die Vorschrift des § 118 SGB X, die ihrem Wortlaut nach eine unanfechtbare Entscheidung voraussetzt, überhaupt auf einen Vergleich anwendbar ist, den ein Leistungsträger mit dem Schädiger oder dessen Haftpflichtversicherer geschlossenen hat9. Eine etwaige Bindungswirkung könnte in der Sache jedenfalls nicht über die Bindung hinausgehen, die eine unanfechtbare Entscheidung eines Leistungsträgers oder eines Sozial- oder Verwaltungsgerichts entfalten würde. Da Leistungsansprüche und -pflichten indessen an bestimmte Voraussetzungen geknüpft sind, die im Laufe der Zeit sowohl erst entstehen, als auch nachträglich wieder entfallen können10, kann eine Entscheidung darüber keine allgemeine Aussage über die Zuständigkeit eines Leistungsträgers enthalten, sondern nur dessen konkrete Leistungspflicht für einen bestimmten Zeitpunkt regeln. Nur darauf kann sich die Bindungswirkung der Entscheidung erstrecken.
Wäre die Leistungspflicht der Rentenversicherung seinerzeit nicht im Wege des Vergleichs, sondern in einer unanfechtbaren Entscheidung festgestellt worden, würde diese eine Bindungswirkung gemäß § 118 SGB X mithin nur hinsichtlich der konkreten Leistungspflicht der Rentenversicherung für den damaligen Zeitpunkt entfalten. Hinsichtlich einer Leistungspflicht und einer etwaigen Zuständigkeit der Rentenversicherung zu einem späteren Zeitpunkt läge eine die Zivilgerichte bindende Entscheidung nicht vor. Schon aus diesem Grund kommt dem Abfindungsvergleich vorliegend keine Bindungswirkung hinsichtlich der Frage zu, ob die Rentenversicherung im Jahr 2003 zuständig war.

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Andererseits kann allein aufgrund des Umstandes, dass im Jahr 2003 nicht die Rentenversicherung, sondern die Bundesagentur für Arbeit dem Versicherten Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben bewilligt hat, auch die Frage nach deren Zuständigkeit nicht im Hinblick auf die in § 118 SGB X getroffene Regelung beantwortet werden. Der Grundsatz, dass sich die Bindungswirkung einer unanfechtbaren Entscheidung auch auf die Zuständigkeit der den Bescheid erlassenden Behörde erstrecken soll, kann nämlich nicht ausnahmslos gelten. So hat der BGH entschieden, dass eine Bindungswirkung nicht besteht, wenn ein von vornherein unzuständiger Leistungsträger in der irrtümlichen Annahme seiner Zuständigkeit Leistungen aufgrund eines zwar rechtswidrigen, ihn selbst aber bindenden Verwaltungsakts erbringt11. Eine abweichende Betrachtungsweise stünde nicht nur im Widerspruch zu den vom Gesetz getroffenen Zuständigkeitsregelungen, sondern auch zu den in den §§ 102 ff. SGB X enthaltenen Ausgleichsregelungen. Diese schließen die Annahme aus, ein unzuständiger Leistungsträger könne durch eigenes Handeln auf den Anspruchsübergang bzw. dessen Zeitpunkt Einfluss nehmen und auf diese Weise zulasten des zuständigen Leistungsträgers über den Anspruch verfügen12.

Eine vergleichbare Interessenlage kann bestehen, wenn mehrere Leistungsträger ihre Zuständigkeit hinsichtlich gleichartiger sozialversicherungsrechtlicher oder sozialrechtlicher Leistungen beanspruchen. Da sich der Schädiger wegen kongruenter Leistungen nicht einer mehrfachen Inanspruchnahme ausgesetzt sehen soll, kann es erforderlich sein, bei der im Zivilrechtsstreit vorzunehmenden Prüfung eines auf einen Forderungsübergang gemäß § 116 Abs. 1 SGB X gestützten Anspruchs die Zuständigkeit der den Bescheid erlassenden Behörde nachzuprüfen. Eine Bindung an deren Entscheidung über ihre Zuständigkeit kann nämlich nur unter der Voraussetzung gerechtfertigt sein, dass nur ein Leistungsträger seine Zuständigkeit für eine bestimmte Leistung in Anspruch nimmt. Solange der Schädiger nämlich nicht Gefahr läuft, wegen gleichartiger Leistungen mehrfach auf Ersatz in Anspruch genommen zu werden, mag für ihn kein Interesse daran bestehen, die Zuständigkeit gerade des betreffenden Leistungsträgers überprüfen lassen zu können. Insoweit stellt sich für den Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherer das System der sozialen Sicherungen mit seinen in §§ 102 ff. SGB X vorgesehenen internen Ausgleichsregelungen als Einheit dar. Wenn jedoch (wie im Streitfall) ein konkurrierender zweiter Leistungsträger seine Zuständigkeit wegen gleichartiger Leistungen – wenn auch zu einem anderen Zeitpunkt – bejaht hat (hier: Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben) und ebenfalls von dem Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherer Ersatz begehrt, muss zur Vermeidung einer möglicherweise sachlich ungerechtfertigten mehrfachen Inanspruchnahme die Zuständigkeit des regressierenden Leistungsträgers im Zivilrechtsstreit nachgeprüft werden können13. Die hierfür erforderlichen Feststellungen wird das Berufungsgericht nachzuholen haben.

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Da ein Anspruchsübergang auf die Klägerin bereits zum Zeitpunkt des Unfalls erfolgt ist und der Anspruch mithin nicht erst zu einem späteren Zeitpunkt von der LVA auf die Klägerin übergegangen ist, können sich die Beklagten entgegen der Auffassung der Revision nicht mit Erfolg auf die Grundsätze berufen, die der BGH für Fälle des Rechtsübergangs auf nachfolgende Leistungsträger und rechtlich analog zu behandelnde Sachverhalte entwickelt hat (vgl. BGH, Urteilr vom 26. März 1974 – VI ZR 217/72 – VersR 1974, 862; vom 4. April 1978 – VI ZR 252/76 – VersR 1978, 660; vom 9. Juli 1985 – VI ZR 219/83 – VersR 1985, 1083; und vom 8. Dezember 1998 – VI ZR 318/97 – VersR 1999, 382)).

Der Auffassung, für den Fall, dass vorliegend weder eine ausschließliche Zuständigkeit der LVA noch eine Rechtsnachfolge – bzw. ein rechtlich analog zu bewertender Sachverhalt – vorliege, müsse sich die Bundesagentur bei ihrer Klage den von der LVA abgeschlossenen Vergleich in vollem Umfang entgegenhalten lassen, weil sie dann als Gesamtgläubiger anzusehen seien, vermag der BGH ebenfalls nicht zu folgen. Hätten im Jahr 2003 die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen von § 11 Abs. 2a Nr. 2 SGB VI vorgelegen, wäre die Rentenversicherung vorrangig, d.h. im Verhältnis zu der dann nur subsidiär zuständigen Klägerin allein leistungspflichtig gewesen. In diesem Fall wäre für eine Gesamtgläubigerschaft kein Raum.

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Diese käme gemäß § 117 Satz 1 SGB X vielmehr nur dann in Betracht, wenn die Bundesagentur für Arbeit im Jahr 2003 zuständiger Leistungsträger gewesen wäre. In diesem Fall wäre der auf sie und die Rentenversicherung übergegangene Anspruch gemäß § 116 Abs. 3 SGB X begrenzt, wenn den Versicherten ein Mitverschulden träfe.

Da ein Gesamtgläubiger grundsätzlich nicht über die Forderung der anderen Gesamtgläubiger verfügen kann, wirkt ein Erlassvertrag (§ 397 Abs. 1 BGB), den ein Gesamtgläubiger mit dem Schuldner über die Forderung schließt, nicht für und gegen die anderen Gesamtgläubiger; insoweit ist vielmehr gemäß § 429 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 423 BGB grundsätzlich von einer Einzelwirkung auszugehen14. Dies gilt auch für einen Abfindungsvergleich, der in der Sache einen Teilerlass einer Forderung einschließt15.

Einem Vergleich, den ein Sozialversicherungsträger mit dem Haftpflichtversicherer des Schädigers über die auf ihn übergegangenen Schadenersatzforderungen schließt, kann nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats allerdings eine eingeschränkte Gesamtwirkung zukommen. Diese erstreckt sich in der Regel auf den Anteil, der dem am Vergleich beteiligten Sozialversicherungsträger im Innenverhältnis zu einem weiteren als Gesamtgläubiger konkurrierenden Leistungsträger zusteht. Das hat zur Folge, dass dieser vom Haftpflichtversicherer aus übergegangenem Recht in der Regel nur noch das verlangen kann, was ihm im Innenverhältnis zum anderen Sozialversicherungsträger zusteht16.

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Bundesgerichtshof, Urteil vom 5. Mai 2009 – VI ZR 208/08

  1. vgl. dazu BGHZ 19, 177, 178 und 48, 181, 186 f.[]
  2. vgl. im Einzelnen BGHZ 127, 120, 126; 133, 129, 134 f. und Urteil vom 16. Oktober 2007 – VI ZR 227/06 – VersR 2008, 275, 276[]
  3. BGHZ 127, 120, 126 f.[]
  4. BGBl. I S. 1881[]
  5. Nehls in Hauck/Noftz, SGB X, 2. Bd., Stand: Dezember 2008, K § 118, Rn. 1; Giese, SGB X, Stand: Juni 2007, § 118, Rn. 2[]
  6. Wannagat/Eichenhofer, SGB X/3, Stand: Juli 2003, § 118, Rn. 5[]
  7. vgl. Geigel/Plagemann, Der Haftpflichtprozess, 25. Aufl., Kap. 30, Rn. 127[]
  8. vgl. Giese, aaO, Rn. 3.3; Nehls, aaO, Rn. 5; Wannagat/Eichenhofer, aaO[]
  9. vgl. dazu OLG Naumburg, Urteil vom 23. September 2008 – 9 U 146/07 – juris, Rn. 33 ff. m.w.N. = OLGR 2009, 165 [LS][]
  10. vgl. zu den versicherungsrechtlichen Voraussetzungen § 11 SGB VI[]
  11. BGHZ 155, 342, 347 f.; Kater in Kasseler Kommentar, SGB X, Stand: Januar 2009, § 116 Rn. 159; vgl. auch Lemcke, r+s 2002, 441, 442 f.[]
  12. BGHZ 155, aaO, S. 348[]
  13. vgl. BGHZ 155, aaO, S. 349 f. m.w.N.[]
  14. Staudinger/Noack, BGB [2005], § 429, Rn. 18 m.w.N.[]
  15. vgl. BGH, Urteil vom 4. März 1986 – VI ZR 234/84 – VersR 1986, 810[]
  16. BGH, Urteil vom 4. März 1986 – VI ZR 234/84 – aaO mit Anm. Sieg, Sgb 1986, 397[]
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