Für die Umgangskosten mit seinem Kind besteht keine Bagatellgrenze von 10 % des Regelbedarfs.

Nach dem Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Februar 20101 zum Leistungsrecht der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II haben Arbeitslosengeld II-Empfänger einen speziellen Anspruch auf Leistungen für einen unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen, besonderen Bedarf, der mittlerweile auch in § 21 Abs 6 SGB II ins Gesetz geschrieben wurde.
Nach § 21 Abs 6 SGB wird bei Leistungsberechtigten ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf besteht. Der Mehrbedarf ist unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten des Leistungsberechtigten gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht. Anwendungsfälle dieser Härtefallklausel des § 21 Abs 6 SGB II können nach der Gesetzesbegründung2 dauerhaft benötigte Hygienemittel bei bestimmten Erkrankungen (z.B. HIV, Neurodermitis), Putz- bzw. Haushaltshilfe für Rollstuhlfahrer und Kosten zur Wahrnehmung des Umgangsrechts bei getrennt lebenden Eltern sein. Diese Aufzählung ist nicht abschließend.“
Dem nun ergangenen Urteil des Bundessozialgerichts lag ein Fall aus Bielefeld zugrunde: Den Antrag des Klägers, der Arbeitslosengeld II bezog, auf einen solchen Mehrbedarf im Juli 2010 wegen der Ausübung des Umgangsrechts (alle 2 Wochen) mit seiner im Jahr 2006 geborenen, aber nicht bei ihm, sondern in 17 km Entfernung bei ihrer Mutter lebenden Tochter lehnte das beklagte Jobcenter Arbeitplus Bielefeld ab. Es meinte, bei einer Entfernung von 17 km und jeweils zweimaliger Hin- und Rückfahrt mit dem PKW sowie einer Pauschale von 0,20 € je Entfernungskilometer ergebe sich nur ein Betrag von 13,60 € im Monat, der unter einer Bagatellgrenze von 10 % des Regelbedarfs – damals 359 € – liege. Vor dem Sozialgericht und dem Landessozialgericht war der Kläger erfolgreich, sie haben ihm 27,20 € pro Monat bei einer Pauschale von 0,20 € pro Kilometer zugesprochen.
Das Bundessozialgericht hat nun, wie zuvor bereit das Sozialgericht und das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen in Essen, die Auffassung des Klägers bestätigt:
Dass der Kläger, wie alle Eltern, die Arbeitslosengeld II beziehen, grundsätzlich Anspruch auf einen Mehrbedarf wegen der Kosten des Umgangsrechts mit seiner von ihm getrennt lebenden Tochter hat, ergibt sich aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Februar 2010 (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 – 1 BvL 1/09 ua, BVerfGE 125, 175) und dem daraufhin vom Gesetzgeber geschaffenen § 21 Abs 6 SGB II.
Der Anspruch setzt zwar einen vom durchschnittlichen Bedarf erheblich abweichenden, unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen Mehrbedarf voraus. Ein solcher ist aber gegeben, wenn für die Fahrten zur Ausübung des Umgangsrechts jeweils 68 km mit einem PKW zurückgelegt werden müssen und das Umgangsrecht alle zwei Wochen besteht. Denn selbst wenn nur eine Kilometerpauschale von 20 Ct wie nach dem Bundesreisekostengesetz zugrunde gelegt wird, ergibt sich ein Betrag von 27,20 € pro Monat. Dieser Betrag beinhaltet auch eine erhebliche Abweichung vom durchschnittlichen Bedarf hinsichtlich der Regelleistung von damals 359 € insgesamt und des in der damaligen Regelleistung enthaltenen Betrags für Fahrtkosten von hochgerechnet gut 20 €, zumal in diesen die Ausgaben für PKW nicht berücksichtigt wurden.
Eine Rechtsgrundlage für die von dem beklagten Jobcenter vertretene allgemeine Bagatellgrenze ist für das Bundessozialgericht nicht zu erkennen. Eine Heranziehung der 10 %-Regelung für die Rückzahlung von Darlehen nach § 42a SGB II scheidet aus. Bei einem Darlehen haben die Betroffenen das Geld vorher erhalten, das sie dann an das Jobcenter zurückzahlen, während es ihnen bei einer Bagatellgrenze vorenthalten würde, obwohl sie darauf einen Anspruch haben.
Bundessozialgericht, Urteil vom 4. Juni 2014 – B 14 AS 30/13 R