Unterbringung in einer Pflegefamilie – und die Unterrichtungspflicht des Jugendamtes

Die sich aus § 37 Abs. 1 SGB VIII ergebende Verpflichtung des Jugendamts, die leiblichen Eltern über die Unterbringung des Kindes in einer Pflegefamilie zu unterrichten, hat nicht den Zweck, den Kindesvater vor der Zahlung nicht mehr geschuldeten Kindes- und Betreuungsunterhalts an seine geschiedene Ehefrau zu schützen. Die besondere, sich aus § 92 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII ergebende Pflicht des Jugendamts, eine unterhaltspflichtige Person über die Folgen für ihre Unterhaltspflicht aufzuklären, besteht nur im Zusammenhang mit der Erhebung eines Kostenbeitrags.

Unterbringung in einer Pflegefamilie – und die Unterrichtungspflicht des Jugendamtes

Ein Amtshaftungsanspruch (§ 839 Abs. 1 Satz 1 BGB, Art. 34 GG) ist daher nicht begründet, nur weil der der zuständige Mitarbeiter des Jugendamts den Kindsvater nicht zeitnah über die Unterbringung seiner Kinder in einer Vollzeitpflegestelle informiert und er deshalb zu Unrecht Ehegatten- und Kindesunterhalt gezahlt habe.

Die Bediensteten des Jugendamts des beklagten Landkreises haben zwar eine ihnen gegenüber dem Kindesvater als Dritten bestehende Amtspflicht verletzt:

Nachdem die beiden Kinder auf Antrag ihrer Mutter ab dem 1.10.2001 bei einer Pflegefamilie untergebracht worden waren, bestand für das Jugendamt des beklagten Landkreises die Verpflichtung, einerseits darauf hinzuwirken, dass die Pflegepersonen und die leiblichen Eltern zum Wohle der Kinder zusammenarbeiten, andererseits auch beratend und unterstützend tätig zu werden (§ 37 Abs. 1 Satz 1 bis 3 SGB VIII in der Fassung der Bekannt- machung vom 19.06.2001, BGBl. I, S. 1046). Diese Aufgaben des Jugend- amts sind vor dem Hintergrund und der primären Zielsetzung zu sehen, die Erziehungsbedingungen in der Herkunftsfamilie zu verbessern und die Be- ziehung des Kindes zu seinen leiblichen Eltern zu fördern, um eine Rückkehr des Kindes in die Herkunftsfamilie und damit deren Refunktionalisierung zu ermöglichen1. Die Regelung in § 37 Abs. 1 SGB VIII berücksichtigt damit das trotz der Unterbringung der Kinder in einer Pflegefamilie fortbestehende und nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG geschützte Elternrecht2 und setzt zudem das Recht der Eltern auf Achtung des Familienlebens nach Art. 8 Abs. 1 EMRK um3. Hierbei handelt es sich um eine Regelverpflichtung4, von der nur unter besonderen Umständen abgewichen werden kann. Solche sind hier nicht erkennbar, zumal auch nicht sorgeberechtigte Elternteile mit in diese Regelung einbezogen sind, weil die Pflege von Beziehungen und Kontakten zu beiden Elternteilen im Vordergrund steht5.

us dem Gesagten ergibt sich ohne Weiteres, dass die Einschaltung und zeitnahe Unterrichtung des Kindesvaters bei der Anordnung und Durchführung der Vollzeitpflege der Kinder auch seinem Interesse diente, er mithin geschütz- ter Dritter im Sinne des § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB ist6.

Trotz Nichtbeachtung dieser dem Kindesvater gegenüber bestehenden Amtspflicht verneint der Bundesgerichtshof jedoch eine Haftung des beklagten Landkreises und begründet dies damit, dass der geltend gemachte Schaden in Form der Zahlung von Kindesunterhalt und nachehelichem Betreuungsunterhalt an die geschiedene Ehefrau nicht vom Schutzbereich der verletzten Normen und den sich daraus ergebenden Pflichten des Jugendamts umfasst ist.

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Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bedeutet die Feststellung, dass der Geschädigte zum Kreis der geschützten Dritten gehört, nicht, dass er Aus- gleich aller ihm durch die verletzte Amtspflicht zugefügten Nachteile verlangen kann. Es kommt vielmehr darauf an, ob gerade das im Einzelfall berührte Inte- resse nach dem Zweck und der rechtlichen Bestimmung des Amtsgeschäfts geschützt werden soll. Entscheidend ist demnach, ob der Schutzzweck der ver- letzten Amtspflicht auch den jeweils geltend gemachten Schaden erfasst7. Von einer derarti- gen Sachlage kann im Streitfall nicht ausgegangen werden.

Die Pflicht des Jugendamts aus § 37 Abs. 1 SGB VIII, auf eine ent- sprechende Zusammenarbeit hinzuwirken, zu beraten und zu unterstützen und damit einhergehend die notwendigen Informationen zu erteilen, hat nicht den Zweck, den Unterhaltspflichtigen, hier den Kindesvater, vor der Zahlung gege- benenfalls nicht mehr geschuldeten Unterhalts an seine Kinder oder seine ge- schiedene Ehefrau zu bewahren.

Die mit dieser gesetzlichen Regelung in Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK vorgesehene gemeinsame Gestaltung des Hil- feprozesses dient vor allem dem Interesse des Kindes oder Jugendlichen, um damit den bestehenden Beziehungen und Bindungen zur Pflegeperson und zu den leiblichen Eltern Rechnung zu tragen, Loyalitätskonflikten entgegen zu wir- ken und die Ressourcen von Eltern und Erziehungspersonen nutzbar zu ma- chen8. Der Schutzzweck der sich danach ergeben- den Pflichten des Jugendamts ist somit aus Sicht der Eltern allein darauf ausge- richtet, diesen die Möglichkeit zu geben, das (fortbestehende) Elternrecht sowie die elterliche Erziehungsverantwortung aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG und Art. 8 EMRK in einer am Kindeswohl orientierten Weise wahrzunehmen und daran mitzuwirken, dass durch eine Verbesserung der Erziehungsbedingungen die Voraussetzungen für eine Rückkehrperspektive geschaffen werden. Zwar mö- gen die finanziellen Verhältnisse grundsätzlich einen Beitrag dazu leisten kön- nen, eine Rückkehr zu fördern. Die beschriebenen Pflichten des Jugendamts, die eine Einbeziehung und Information des Kindesvaters umfassen, haben je- doch nicht die finanziellen Auswirkungen dieser Maßnahme im Blick. Die anzu- strebende sachgerechte Zusammenarbeit und die Aufrechterhaltung der emoti- onalen Bindung zwischen dem Kind oder Jugendlichen und seiner Herkunfts- familie während der Zeit der Unterbringung bei einer Pflegestelle sind auf das Recht der Eltern ausgerichtet, das Kind erziehen und mit ihm Umgang pflegen zu können. Die Beachtung zivilrechtlicher Unterhaltsverpflichtungen eines El- ternteils steht damit in keinem unmittelbaren Zusammenhang, vielmehr ist die Regelung derartiger Ansprüche grundsätzlich Sache der Kindeseltern unterei- nander. Das „Wächteramt“ des Staates geht nicht soweit, dass er bei familiären Konfliktsituationen die Beteiligten generell dabei zu unterstützen hat, berechtig- te Unterhaltsforderungen durchzusetzen oder unberechtigte Unterhaltsforde- rungen abzuwehren. Dies findet auch in den einschlägigen Bestimmungen des Unterhaltsrechts seinen Niederschlag. Danach wird das Jugendamt nur dann Beistand eines Kindes für die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen und damit – ausnahmsweise – zu einem Verfahrensbeteiligten, wenn dies von einem Elternteil beantragt wird (vgl. § 1712 Abs. 1 Nr. 2 BGB; § 53a ZPO aF = § 234 FamFG).

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Dabei ergibt sich für den Bundesgerichtshof aus den maßgebli- chen gesetzlichen Regelungen für die Heranziehung von Eltern und anderen Verpflichteten zu den für die Hilfe zur Erziehung, hier in Form der Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII, erbrachten Leistungen und entstehenden Kosten nichts anderes; insbesondere kann diesen Bestimmungen nicht entnommen werden, dass die den Eltern gegenüber obliegenden Informations- und Unterrichtungs- pflichten des Jugendamts allgemein (auch) den Zweck verfolgen, einen unter- haltspflichtigen Elternteil vor nicht (mehr) berechtigten Unterhaltszahlungen zu schützen.

Die bis zum 30.09.2005 geltende Vorschrift des § 94 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII in der Fassung der Bekanntmachung vom 08.12 19989 regelte die Heranziehung der Eltern eines unterhaltsberechtig- ten Kindes zum Ersatz der Kosten unter anderem bei auswärtiger Unterbrin- gung dahin, dass unter den dort genannten Voraussetzungen ein gesetzlicher Unterhaltsanspruch des Kindes oder Jugendlichen kraft Gesetzes, begrenzt durch die Höhe der geleisteten Aufwendungen, auf den Träger der öffentlichen Jugendhilfe überging10. Diese Bestimmung betraf damit lediglich den gesetzlichen Übergang des Unterhalts- anspruchs des Kindes gegen einen barunterhaltspflichtigen Elternteil, nicht je- doch die materiellrechtliche Unterhaltsverpflichtung eines oder beider Elterntei- le als solche. Da somit die Jugendhilfeleistungen auf die Unterhaltspflicht ge- genüber einem Kind dem Grunde und der Höhe nach keine Auswirkungen hat- ten, konnte sich unter diesem Gesichtspunkt ein Informationsinteresse des Kin- desvaters nicht ergeben. Soweit in § 94 Abs. 3 Satz 3 SGB VIII aF eine Mittei- lungspflicht über die Gewährung von Jugendhilfe normiert war, handelte es sich lediglich um eine notwendige Voraussetzung für eine Inanspruchnahme von erstattungspflichtigen Personen für die Vergangenheit11. Diese Regelung diente deshalb allein dem Interesse des Jugendamts- trägers an der Durchsetzung der auf ihn von Gesetzes wegen übergegangenen Unterhaltsansprüche, jedoch nicht dem Schutz eines Elternteils vor möglicher- weise nicht (mehr) gerechtfertigten Zahlungen von Kindesunterhalt.

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Auch der ab dem 1.10.2005 geltenden Vorschrift des § 92 SGB VIII in der Fassung des Kinder- und Jugendhilfeweiterentwicklungsgesetzes vom 08.09.200512 lässt sich ein derartiger Schutz- zweck nicht entnehmen. Nach Abs. 3 Satz 1 dieser Regelung kann ein Beitrag zu den Kosten von Leistungen und vorläufigen Maßnahmen nach § 91 SGB VIII unter anderem bei den Eltern des Kindes von dem Zeitpunkt an erhoben wer- den, ab welchem dem Pflichtigen die Gewährung der Jugendhilfeleistung mitge- teilt und er über die Folgen für seine Unterhaltspflicht gegenüber dem jungen Menschen aufgeklärt worden ist. Diese Bestimmung bezieht sich damit eben- falls allein auf den Kindesunterhalt und regelt lediglich, von welchem Zeitpunkt an ein Kostenbeitrag bei dem Kostenschuldner erhoben werden darf. Deshalb handelt es sich lediglich um eine materiellrechtliche Voraussetzung hierfür13.

Das Jugendamt wird zwar zusätzlich verpflichtet, über die Folgen der Jugendhilfeleistung für eine bestehende Unterhaltspflicht aufzuklären. Diese Pflicht wurde im Hinblick auf die in das Gesetz eingefügte Regelung des § 10 Abs. 2 SGB VIII geschaffen14. Nach der bisher geltenden Vorschrift des § 94 Abs. 3 SGB VIII hatte die aus- wärtige Unterbringung eines Kindes keine Auswirkungen auf die Höhe seines Unterhaltsanspruchs gegenüber einem barunterhaltspflichtigen Elternteil. Mit den neu geschaffenen Bestimmungen wird dagegen geregelt, dass der Bedarf des Kindes durch die Jugendhilfe ganz oder teilweise gedeckt werden kann und dementsprechend seine Unterhaltsberechtigung in Höhe der Bedarfsdeckung entfällt15.

Der Gegenansicht ist zuzugeben, dass nunmehr – im Unterschied zur früheren Rechtslage – die Unterrichtung der kostenbeitragspflichtigen Person nicht mehr nur dem Interesse des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe dient, seinen An- spruch auf Erhebung des Kostenbeitrags zu sichern; vielmehr soll darüber hin- aus auch die kostenbeitrags- und unterhaltspflichtige Person davor geschützt werden, sowohl unterhaltsrechtlich als auch öffentlichrechtlich in Anspruch ge- nommen zu werden16. Daraus folgt jedoch nicht, dass die Verpflich- tung zur Information über eine Jugendhilfemaßnahme, hier die auswärtige Un- terbringung, (auch) allgemein dem Zweck dienen würde, den unterrichteten El- ternteil in die Lage zu versetzen, die Berechtigung eines geltend gemachten Unterhaltsanspruchs zu überprüfen. Vielmehr steht die besondere Belehrungs- und Hinweispflicht des § 92 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII in untrennbarem Zusam- menhang mit der Erhebung eines Kostenbeitrags. Auch soweit die Bestimmung dem Kostenbeitragspflichtigen die Möglichkeit zu Vermögensdispositionen er- öffnen soll, ist dies nur in Bezug auf eine mögliche Kostenbeitragspflicht zu se- hen17. Die nach § 92 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII vorgesehene Mitteilung über die Jugendhilfeleistungen bezieht sich damit nicht auf die Verpflichtung zu einer Unterhaltszahlung für das Kind oder den Jugendlichen schlechthin; sie hat insbesondere nicht den Zweck, den Un- terhaltspflichtigen vor den finanziellen Nachteilen zu bewahren, die ihm durch das prozessbetrügerische Verhalten desjenigen entstehen können, der Unter- haltsansprüche geltend macht.

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Im Streitfall kam die besondere Aufklärungspflicht des § 92 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII hinsichtlich des gezahlten Kindesunterhalts deshalb nicht zum Tragen, weil es wegen der fehlenden Leistungsfähigkeit des Kindesvaters zu keinem Zeitpunkt zur Festsetzung eines Kostenbeitrags gekommen ist. Die Ge- fahr einer doppelten Inanspruchnahme stand damit ohnehin nicht im Raum.

Da § 94 Abs. 3 SGB VIII aF und § 92 Abs. 3 SGB VIII lediglich Un- terhaltsansprüche von Kindern und Jugendlichen gegenüber unterhaltspflichti- gen Personen zum Gegenstand haben, wird der Schaden, der dem Kindesvater durch den zu Unrecht an die geschiedene Ehefrau weiter gezahlten Betreu- ungsunterhalt (vgl. § 1570 BGB) entstanden ist, von vorneherein nicht vom Schutzzweck der Vorschriften erfasst.

Eine Haftung des beklagten Landkreises lässt sich vorliegend auch nicht aus der Verletzung einer im Zusammenhang mit den Angaben des Kindesva- ters zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen Anfang April 2004 stehenden Auf- klärungs- oder Hinweispflicht des zuständigen Mitarbeiters des Jugendamts herleiten. Dies kann der Bundesgerichtshof, da insoweit weitere Feststellungen nicht zu er- warten sind, selbst entscheiden.

Eine derartige Belehrungspflicht ergäbe sich allerdings – entgegen der Auffassung der Revision – nicht aus der (entsprechenden) Heranziehung ver- tragsrechtlicher Haftungsgrundsätze, sondern wäre allenfalls nach Maßgabe der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs anzuerkennen, nach der sich auf Grund der besonderen tatsächlichen Lage und der bestehenden Verhältnisse im Einzelfall eine Hinweis- und Aufklärungspflicht ergeben kann. Insbesondere darf ein Beamter nicht „sehenden Auges“ zulassen, dass der bei ihm vorspre- chende Bürger Schaden erleidet, der durch einen kurzen Hinweis, eine Beleh- rung mit wenigen Worten oder eine entsprechende Aufklärung hätte vermieden werden können18.

Unter Zugrundelegung der nach dieser Rechtsprechung zu beachtenden Grundsätze ist ein maßgeblicher Gesichtspunkt für einen derartigen Amtshaf- tungsanspruch vor allem, dass der Amtsträger das besondere Interesse des Betroffenen an der jeweiligen Information und das aus der Verletzung einer Hinweis- und Aufklärungspflicht resultierende Schadensrisiko erkennt oder je- denfalls erkennen kann. Daran fehlt es im Streitfall.

Dass den Mitarbeitern des Jugendamts des beklagten Landkreises die Unterhaltszah- lungen des Kindesvaters bekannt gewesen sind, ist weder durch das Beru- fungsgericht festgestellt worden noch sonst ersichtlich. Auch die Revision stützt sich nicht auf eine entsprechende dem beklagten Landkreis zurechenbare Kenntnis bezüglich der Unterhaltszahlungen. Sie meint allerdings, eine Aufklä- rungspflicht habe sich ab Mai 2004 auf Grund des Umstands ergeben, dass der Kindesvater auf das Schreiben des Beklagten vom 30.03.2004 seine wirt- schaftlichen Verhältnisse in einem so genannten Wirtschaftsfragebogen erläu- tert und dabei einen „Selbstbehalt“ in Höhe von ca. 720 € monatlich erwähnt habe. Daraus habe das Jugendamt des beklagten Landkreises erkennen kön- nen und müssen, dass der Kindesvater Unterhalt für seine beiden Kinder leiste; dies hätte den sofortigen Hinweis darauf erforderlich gemacht, dass durch die mittlerweile vollzogene Vollzeitpflege Unterhaltszahlungen hinfällig geworden seien.

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Dem kann nicht gefolgt werden. Allein aus der vom Kindesvater gewähl- ten Formulierung in dem von ihm ausgefüllten Formular, es liege eine Gehalts- pfändung bis auf den „Selbsterhalt“ von ca. 720 € vor, konnte nicht ohne weite- res auf eine Zahlung von Unterhalt an seine beiden in einer Vollzeitpflegestelle untergebrachten Kinder geschlossen werden. Unabhängig von der Verwendung des – vom Kindesvater ersichtlich so gemeinten – Begriffs „Selbstbehalt“ erga- ben sich insoweit Unklarheiten im Hinblick darauf, dass er ein weiteres unter- haltsberechtigtes Kind in seiner Erklärung über seine wirtschaftlichen Verhält- nisse angegeben hatte. Auch spricht gegen das von der Revision zugrunde ge- legte Verständnis der Angaben des Kindesvaters, dass in dem Wirtschaftsfra- gebogen ausdrücklich die Frage nach Unterhaltszahlungen gestellt wurde, die betragsmäßig aufzuschlüsseln waren, er hierzu jedoch keine Angaben gemacht hat. Schließlich ergaben sich weitere Zweifel schon deshalb, weil die Kindes- mutter in ihrem Antrag auf Gewährung von Jugendhilfeleistungen die Unter- haltszahlungen durch den Kindesvater verschwiegen hatte, obwohl gerade sie als Empfängerin der Unterhaltsleistungen dazu verpflichtet gewesen wäre. Der Beklagte ist im Übrigen nach den unklaren Angaben des Kindesvaters auch nicht gänzlich untätig geblieben, sondern hat ihn mit Schreiben vom 13.04.2004 um Ergänzung seiner Angaben zu der mitgeteilten Pfändung aufgefordert. Eine Antwort ist jedoch ausgeblieben. Bei dieser Sachlage war für den zustän- digen Mitarbeiter des Jugendamts nicht ausreichend erkennbar, dass der Kin- desvater ohne Rechtsgrund weiterhin Unterhalt für seine Kinder und seine geschiedene Ehefrau zahlt. Nochmalige Nachfragen und Nachforschungen waren unter den gegebenen Umständen nicht erforderlich, zumal ein Kostenbeitrag im Hinblick auf die angegebenen wirtschaftlichen Verhältnisse des Kindesvaters ohnehin nicht festgesetzt worden ist.

Danach ergibt sich auch nicht hinsichtlich der durch den Kindesvater nach der Unterbringung der Kinder in einer Pflegefamilie noch geleis- teten Unterhaltszahlungen ein Schadensersatzanspruch gegen den beklagten Landkreis.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 3. Juli 2014 – III ZR 502/13

  1. vgl. MünchKomm-BGB/Tillmanns, 6. Aufl., SGB VIII § 37 Rn. 1, 2; Schmid- Oberkirchner in Wiesner, SGB VIII, 4. Aufl., § 37 Rn. 2, 14 f; v. Koppenfels- Spies in jurisPK-SGB VIII, 1. Aufl., § 37 Rn. 14 f; Münder u.a., FK-SGB VIII, – 7 – 5. Aufl., § 37 Rn. 13; Stähr in Hauck/Haines, SGB VIII, Stand Juni 2012, § 37 Rn. 6, 9; Coester, FamRZ 1991, 253, 259[]
  2. vgl. Schmid-Obkirchner aaO und Rn. 8[]
  3. vgl. EGMR, NJW 2005, 3401, 3403 Rn. 82[]
  4. vgl. MünchKomm-BGB/Tillmanns aaO Rn. 2[]
  5. vgl. v. Koppenfels-Spies aaO Rn. 11, 13; Münder u.a. aaO Rn. 3, 5; Stähr aaO Rn. 5; DIJuF-Rechtsgutachten, JAmt 2003, 239[]
  6. s. allgemein dazu nur BGH, Urteile vom 06.06.2013 – III ZR 196/12, NJW 2013, 3370, 3371 Rn. 14 mwN; und vom 08.11.2012 – III ZR 151/12, BGHZ 195, 276, 283 Rn. 15 mwN[]
  7. vgl. nur BGH, Urteile vom 06.06.2013 – III ZR 196/12, NJW 2013, 3370, 3371 Rn. 14 mwN; vom 08.11.2012 – III ZR 151/12, BGHZ 195, 276, 283 Rn. 15 mwN; vom 13.10.2011 – III ZR 231/10, BGHZ 191, 187, 193 Rn. 13; vom 22.01.2009 – III ZR 197/08, NJW 2009, 1207, 1208 Rn. 11; und vom 10.03.1994 – III ZR 9/93, BGHZ 125, 258, 269[]
  8. vgl. Schmid-Obkirchner § 37 Rn. 8; MünchKomm-BGB/Tillmanns aaO § 37 Rn. 2; Münder u.a. aaO § 37 Rn. 4, 14 f[]
  9. BGBl. I S. 3546[]
  10. vgl. dazu auch Münder u.a., aaO, § 94 Rn. 7 f[]
  11. vgl. Münder u.a. aaO Rn. 10[]
  12. BGBl. I, S. 2729[]
  13. vgl. Krome in jurisPK-SGB VIII, 2014, § 92 Rn. 35[]
  14. vgl. Krome aaO, Rn.20; Stähr, aaO, § 92 Rn. 22[]
  15. vgl. BT-Drs. 15/3676, S. 31, 41; Münder u.a., aaO, § 92, Rn. 22[]
  16. vgl. BT-Drs. 15/3676, S. 41; vgl. Degener in Jans/Happe/Saurbier/Maas, aaO, § 92 Rn. 8; Stähr, aaO; Münder u.a., aaO, Rn.20, 23; Wiesner, aaO, § 92 Rn. 13[]
  17. vgl. BVerwGE 144, 313, 316 f Rn. 12, 13[]
  18. vgl. etwa BGH, Urteile vom 05.04.1965 – III ZR 11/64, NJW 1965, 1226, 1227; vom 24.06.1982 – III ZR 19/81, BGHZ 84, 285, 291; vom 05.05.1994 – III ZR 78/93, NJW 1994, 2415, 2417 vom 07.12 1995 – III ZR 141/94, NVwZ 1996, 512, 514; vom 20.07.2000 – III ZR 64/99, VersR 2001, 1108, 1110, zusammenfassend BGH, Urteil vom 02.10.2003 – III ZR 420/02, VersR 2005, 1730, 1731, jeweils mwN; Staudinger/Wöstmann, Neubearb.2013, § 839 Rn. 157 ff[]
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