Rechtsgrundlage des Anspruchs gegen die Krankenkasse auf zukünftige festbetragsfreie Arzneimittelversorgung als Naturalleistung ist § 27 Abs 1 S 2 Nr 3, § 31 SGB V. Daran knüpft auch der Anspruch auf Erstattung der der Klägerin entstandenen Kosten für die Vergangenheit nach § 13 Abs 3 S 1 Fall 2 SGB V an (idF durch Art 1 Nr 5 Buchst b Gesundheitsstrukturgesetz 1). Denn der Anspruch auf Kostenerstattung für die Vergangenheit reicht nicht weiter als ein entsprechender Naturalleistungsanspruch; er setzt daher voraus, dass die selbst beschaffte und zukünftig zu beschaffende Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben 2.

Versicherte erhalten grundsätzlich die krankheitsbedingt notwendigen, nicht der Eigenverantwortung (§ 2 Abs 1 S 1 SGB V) zugeordneten Arzneimittel (§ 27 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB V) aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) aufgrund vertragsärztlicher Verordnung 3. Ist für ein Arzneimittel wirksam ein Festbetrag festgesetzt, trägt die Krankenkasse grundsätzlich – abgesehen von der Zuzahlung (§ 31 Abs 3 SGB V 4) – die Kosten bis zur Höhe dieses Betrags (§ 31 Abs 2 S 1 bis 5 SGB V 5). Für andere Arznei- oder Verbandmittel trägt die Krankenkasse dagegen regelmäßig die vollen Kosten abzüglich der vom Versicherten zu leistenden Zuzahlung (§ 31 Abs 2 S 1 Halbs 2 SGB V) 6. Ist für eine Leistung – wie hier für Sortis 7 – wirksam ein Festbetrag festgesetzt, erfüllt die Krankenkasse ihre Leistungspflicht gegenüber dem Versicherten regelmäßig mit dem Festbetrag (§ 12 Abs 2 SGB V). Die behandelnden Ärzte müssen ihr Therapieverhalten an der Verpflichtung zur wirtschaftlichen Verordnung ausrichten und auf die sich aus der Verordnung ergebende Pflicht zur Übernahme der Mehrkosten hinweisen, wenn sie ein Arzneimittel verordnen, dessen Preis den Festbetrag überschreitet (§ 73 Abs 5 S 3 SGB V) 8.
Die Festbetragsregelung ist Ausdruck des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12 Abs 1 SGB V) 9. Arzneimittel, die über das Maß des Notwendigen hinausgehen oder unwirtschaftlich sind, weil sie gegenüber gleich geeigneten, ausreichenden und erforderlichen Mitteln teurer sind, sind aus dem Leistungskatalog der GKV grundsätzlich ausgeschlossen 10. Betroffene Versicherte müssen unmittelbar die Festbetragsfestsetzung für Arzneimittel selbst gerichtlich überprüfen lassen, wenn sie – anders als die Klägerin – hiermit nicht einverstanden sind 11.
Die Reichweite des Wirtschaftlichkeitsgebots begrenzt zugleich die Wirkkraft der Festbetrags-festsetzung für Arzneimittel. Die Versicherten haben unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots Anspruch auf eine in der Qualität gesicherte Vollversorgung durch Sachleistungen aus einer Pflichtversicherung, die durch Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge solidarisch finanziert wird (vgl. § 3 SGB V) 12. Die Versicherten müssen sich nicht mit Teilkostenerstattung zufrieden geben 13. Der Nachweis der Wirtschaftlichkeit bedingt im Sinne des Minimalprinzips den Beleg, dass bei Existenz verschiedener gleich zweckmäßiger und notwendiger Behandlungsmöglichkeiten die Kosten für den gleichen zu erwartenden Erfolg geringer oder zumindest nicht höher sind 14. Das Wirtschaftlichkeitsgebot greift aber nicht ein, wenn lediglich überhaupt nur eine Leistung in Rede steht 15. Hingegen entspricht es dem Wirtschaftlichkeitsgebot, bei gleicher Eignung im individuellen Fall ein anderes, nicht unter die Festbetragsregelung fallendes, preisgünstigeres Arzneimittel beanspruchen zu können.
Diesem Grundprinzip trägt die Festbetragsregelung des § 35 SGB V Rechnung. Sie garantiert für die Versicherten im Wesentlichen eine Gleichbehandlung, indem sie die Rechtsgrundlage schafft, um typische Fälle in Gruppen zusammenzufassen. Dies erleichtert auch die Erfüllung der Aufgabe, die Versicherten nach dem jeweiligen Stand der medizinischen Erkenntnis oder dem Stand der Technik angemessen zu versorgen. Die Konkretisierung des Wirtschaftlichkeitsgebots durch das Verfahren nach §§ 35, 36 SGB V macht das Verwaltungshandeln der Krankenkassen für die Teilnehmer am Gesundheitsmarkt effektiver und vorhersehbarer 16. Die Festbetragsfestsetzung gilt jeweils für eine Gruppe von Arzneimitteln (§ 35 Abs 1 S 2 SGB V) und setzt hierfür die Geldbeträge fest, mit denen einerseits eine ausreichende medizinische Versorgung gewährleistet, andererseits aber ein Preiswettbewerb unter den Herstellern ermöglicht werden soll (§ 35 Abs 5 S 1 und 2 SGB V). Die gesetzlich vorgegebenen Kriterien der Festbetragsfestsetzung sind nicht an den individuellen Verhältnissen des einzelnen Patienten ausgerichtet, sondern orientieren sich in generalisierender Weise an allen Versicherten 17. Dementsprechend sind die Festbeträge so festzusetzen, dass sie lediglich "im Allgemeinen" eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche sowie in der Qualität gesicherte Versorgung gewährleisten (§ 35 Abs 5 S 1 SGB V).
Geht es dagegen um einen atypischen Ausnahmefall, in dem – trotz Gewährleistung einer ausreichenden Arzneimittelversorgung durch die Festbetragsfestsetzung im Allgemeinen – aufgrund der ungewöhnlichen Individualverhältnisse keine ausreichende Versorgung zum Festbetrag möglich ist, greift die Leistungsbeschränkung auf den Festbetrag nicht ein. In Einklang damit weist das BVerfG darauf hin, dass es der gesetzlichen Regelungskonzeption widerspricht, mit den Gesetzesmaterialien 18 davon auszugehen, es könne sich vorübergehend – insbesondere in der Anfangsphase – ergeben, dass für den Festbetrag kein Mittel auf dem Markt zur Verfügung stehe 13.
Aufgrund ungewöhnlicher Individualverhältnisse ist keine ausreichende Versorgung zum Festbetrag mehr möglich, wenn die zum Festbetrag erhältlichen Arzneimittel unerwünschte Nebenwirkungen verursachen, die über bloße Unannehmlichkeiten oder Befindlichkeitsstörungen hinausgehen und damit die Qualität einer behandlungsbedürftigen Krankheit (§ 27 Abs 1 S 1 SGB V) erreichen. Die Beurteilung der Verursachung richtet sich nach der im Sozialrecht maßgeblichen Theorie der wesentlichen Bedingung. Die Erfüllung dieser Voraussetzungen muss in Gerichtsverfahren grundsätzlich zur vollen Überzeugung des Gerichts feststehen. Lediglich für die zu prüfenden Kausalzusammenhänge genügt die überwiegende Wahrscheinlichkeit. Nach allgemeinen Grundsätzen tragen die Versicherten hierfür die objektive Beweislast.
Der Anspruch eines Versicherten auf eigenanteilsfreie Versorgung mit einem nur oberhalb des Festbetrags erhältlichen Festbetragsarzneimittel hängt – wie dargelegt – davon ab,
- dass bei ihm zumindest objektiv nachweisbar eine zusätzliche behandlungsbedürftige Krankheit oder eine behandlungsbedürftige Verschlimmerung einer bereits vorliegenden Krankheit nach indikationsgerechter Nutzung aller anwendbaren, preislich den Festbetrag unterschreitenden Arzneimittel eintritt,
- dass die zusätzliche Erkrankung/Krankheitsverschlimmerung zumindest mit überwiegender Wahrscheinlichkeit jeweils wesentlich durch die Anwendung der den Festbetrag im Preis unterschreitenden Arzneimittel bedingt ist und
- dass die Anwendung des nicht zum Festbetrag verfügbaren Festbetragsarzneimittels dagegen ohne Nebenwirkungen im Ausmaß einer behandlungsbedürftigen Krankheit bleibt und in diesem Sinne alternativlos ist.
Bei den dergestalt zu qualifizierenden Nebenwirkungen kann es sich um solche handeln, die nach Art, Ausmaß und Ausgang noch nicht Gegenstand der arzneimittelrechtlichen Zulassung gewesen sind (sog unerwartete Nebenwirkungen, vgl. § 4 Abs 13 S 3 AMG) 19. Der Atypik entsprechend sind aber auch solche Nebenwirkungen nicht ausgeschlossen, die bereits Gegenstand des arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahrens (§§ 21, 22 Abs 1 Nr 8 AMG) und der Festbetragsgruppenbildung und ‑festsetzung (§ 35 SGB V) gewesen sind, wenn diese den Besonderheiten des Falles nicht ausreichend Rechnung tragen.
Das objektivierbar gesicherte Hinzutreten einer neuen Krankheit oder die Verschlimmerung einer bestehenden Krankheit nach der Verabreichung eines Festbetragsarzneimittels in einem Behandlungsbedürftigkeit begründenden Ausmaß ist erste Voraussetzung dafür, dass überhaupt ein Anspruch auf Vollkostenübernahme eines anderen, in die Festbetragsgruppe einbezogenen Arzneimittels in Betracht kommt. Diese Umstände müssen im Sinne des Vollbeweises nach den Regeln der ärztlichen Kunst gesichert sein. Allein das subjektive Empfinden eines Versicherten vermag die Regelwidrigkeit und die daraus abgeleitete (hier zusätzliche) Behandlungsbedürftigkeit seines Zustandes nicht zu bestimmen. Maßgeblich sind vielmehr objektive Kriterien, nämlich der allgemein anerkannte Stand der medizinischen Erkenntnisse (§ 2 Abs 1 S 3, § 28 Abs 1 S 1 SGB V) 20 und die danach zur Verfügung stehenden Methoden, um Beschwerden zu objektivieren.
Ist zumindest eine neu hinzugetretene Krankheit oder die Verschlimmerung einer bestehenden Krankheit vollbeweislich gesichert, muss diese mit Wahrscheinlichkeit wesentlich jeweils durch die Anwendung des Festbetragsarzneimittels bedingt sein. Der Senat folgt insoweit der Theorie der wesentlichen Bedingung, wie sie insbesondere der 2. und 9. Senat des Bundessozialgerichts bei der Feststellung der Kausalität im Unfallversicherungs- und sozialen Entschädigungsrecht zugrunde legen, sie aber auch der erkennende Senat unter anderem im Zusammenhang mit Kostenerstattungsansprüchen anstelle des Vollbeweises hat ausreichen lassen 21. Als kausal und rechtserheblich werden danach nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zur konkreten Krankheitsentstehung zum Eintritt des Erfolgs wesentlich mitgewirkt haben. Bei der rein rechtlichen Zurechnungsprüfung der "Wesentlichkeit" einer Bedingung für die Entstehung (oder wesentliche Verschlimmerung) der Krankheit sind also nicht alle Bedingungen zu berücksichtigen, sondern nur jene, die nach den – im jeweiligen Entscheidungszeitpunkt über die Behandlung – anerkannten wissenschaftlichen Erfahrungssätzen notwendige oder hinreichende Bedingungen für den Eintritt einer Krankheit dieser Art sind 22.
Insoweit sind die tatsächlichen Lebensumstände des Versicherten, die als (Mit-)Ursache der objektivierten Krankheit in Betracht kommen, umfassend abzuklären. Um die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs zwischen Anwendung des Festbetragsarzneimittels und festgestellter behandlungsbedürftiger Erkrankung bejahen zu können, ist auch der Hersteller des angewendeten, vermeintlich der Nebenwirkungen verdächtigen Arzneimittels hierzu zu befragen. Ein gewichtiges, stets zu überprüfendes Indiz stellt in diesem Zusammenhang auch der Umstand dar, dass der Vertragsarzt die bei dem Versicherten im Rahmen der Behandlung mit dem Festbetragsarzneimittel aufgetretenen, objektiv festgestellten behandlungsbedürftigen Krankheitserscheinungen zumindest als vermutete Nebenwirkungen gemeldet hat.
Das harmoniert mit der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats, bei der Versorgung GKV-Versicherter mit Fertigarzneimitteln im Rahmen einer Primärkontrolle weitgehend auf GKV-spezifische Prüfungen zur Qualitätssicherung zu verzichten und stattdessen an das Arzneimittelrecht anzuknüpfen. Das AMG schreibt für Fertigarzneimittel eine staatliche Zulassung vor und macht deren Erteilung vom Nachweis der Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des Medikaments abhängig 23.
Das Verfahren der Qualitätssicherung nach dem AMG ist nach Erteilung der Zulassung für ein Fertigarzneimittel nicht abgeschlossen. Vielmehr schließt sich eine Dauerüberwachung der in Verkehr gebrachten Arzneimittel an. Zu diesem Zweck besteht auch im Anschluss an die Zulassung ein engmaschiges Netz von Dokumentations- und Meldepflichten, welche die Pharmakovigilanz sicherstellen sollen (sog Pharmakovigilanzverfahren). Nach erteilter Zulassung (§ 25 AMG) bleibt der Inhaber der Zulassung zur Anzeige von Änderungen verpflichtet (§ 29 Abs 1 S 2 AMG 24). Dies gilt auch für Nebenwirkungen (§ 4 Abs 13 AMG). Insbesondere hat er ausführliche Unterlagen über alle Verdachtsfälle von Nebenwirkungen zu führen (§ 63b Abs 1 AMG 25) und ferner unter anderem jeden ihm bekannt gewordenen Verdachtsfall einer schwerwiegenden Nebenwirkung, der im Geltungsbereich dieses Gesetzes aufgetreten ist, zu erfassen und der zuständigen Bundesoberbehörde unverzüglich, spätestens aber innerhalb von 15 Tagen nach Bekanntwerden, anzuzeigen (§ 63b Abs 2 S 1 Nr 1 i.V.m. § 4 Abs 13 S 2 AMG). Der zuständigen Bundesoberbehörde hat er unter anderem alle zur Beurteilung von Verdachtsfällen vorliegenden Unterlagen sowie eine wissenschaftliche Bewertung vorzulegen (§ 63b Abs 4 AMG) 26. Der Inhaber der Zulassung hat überdies gestaffelte Berichtspflichten (§ 63b Abs 5 S 1 bis 3 AMG). Die regelmäßigen aktualisierten Berichte über die Unbedenklichkeit von Arzneimitteln umfassen auch eine wissenschaftliche Beurteilung des Nutzens und der Risiken des betreffenden Arzneimittels (§ 63b Abs 5 S 4 AMG). Der Inhaber der Zulassung hat der zuständigen Bundesoberbehörde zusätzlich zu den Verpflichtungen nach § 29 Abs 1 und § 63b AMG unverzüglich alle Verbote oder Beschränkungen durch die zuständigen Behörden jedes Landes, in dem das betreffende Arzneimittel in Verkehr gebracht wird, sowie alle anderen neuen Informationen mitzuteilen, die die Beurteilung des Nutzens und der Risiken des betreffenden Arzneimittels beeinflussen könnten (§ 29 Abs 1a S 1 AMG). Der Pharmaberater des pharmazeutischen Unternehmers (bei zulassungspflichtigen Arzneimitteln der Inhaber der Zulassung, § 4 Abs 18 AMG) hat Mitteilungen von Angehörigen der Heilberufe über Nebenwirkungen und Gegenanzeigen oder sonstige Risiken bei Arzneimitteln schriftlich aufzuzeichnen und dem Auftraggeber schriftlich mitzuteilen (§ 76 Abs 1 S 2 AMG). Die Ärzteschaft ist zudem verpflichtet, die ihnen aus ihrer ärztlichen Behandlungstätigkeit bekannt werdenden unerwünschten Wirkungen von Arzneimitteln der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) mitzuteilen 27. Dieser wiederum obliegt die Verpflichtung zur Mitwirkung gegenüber der zuständigen Bundesoberbehörde für Pharmakovigilanz, mithin grundsätzlich dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM, § 62 S 2, § 77 Abs 1 AMG). Dort werden die einzelnen Arzneimittelrisiken gesammelt, in einem Stufenplan der Gefahrenabwehr nach verschiedenen Gefahrenstufen (Risiko oder konkreter Verdacht) ausgewertet (§ 63 S 1 und 2 AMG; sog Stufenplanverfahren)).
Der erforderliche kausale Zusammenhang zwischen Arzneimittelanwendung und unerwünschter Nebenwirkung im Ausmaß einer behandlungsbedürftigen Krankheit oder einer Verschlimmerung muss auch – abgesehen vom beanspruchten – hinsichtlich aller anderen Festbetragsarzneimittel mit überwiegender Wahrscheinlichkeit bestehen. Notwendige Bedingung dafür, dass die Festbetragsgrenze im Einzelfall infolge der inneren Begrenzung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12 Abs 1 SGB V) entfällt, ist nämlich grundsätzlich, dass der Arzt unter Beachtung der allgemein anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst dem Versicherten die in Betracht kommenden, zum Festbetrag erhältlichen und nach ihrer Wirkungsweise therapeutisch geeigneten Arzneimittel verordnet und der Versicherte die verordneten Arzneimittel über einen therapeutisch relevanten Zeitraum hinweg auch tatsächlich in vorgeschriebener Weise anwendet.
Bei Krankheiten von behandlungsbedürftigem Ausmaß als Folgen unerwünschter Arzneimittelwirkungen besteht aber nicht bereits dann ein dauerhafter Anspruch auf das Nicht-Festbetragsarzneimittel, wenn alle Festbetragsarzneimittel im konkret-individuellen Behandlungsfall eines Versicherten nachweisbar nach dem Maßstab der Theorie der wesentlichen Bedingung gleichermaßen nebenwirkungsbehaftet sind. Vielmehr besteht der Anspruch auf das begehrte Festbetragsarzneimittel ohne Zahlung des über der Festbetragsgrenze liegenden Anteils zunächst nur während eines Heilversuchs im Rahmen eines aussagekräftigen indikationsbezogenen Therapiezeitraums. Dort muss der Wegfall oder der deutliche Rückgang der nebenwirkungsbedingten behandlungsbedürftigen Krankheiten vollbeweislich gesichert sein. Ist dies der Fall, muss die Nebenwirkungsfreiheit bzw ‑armut nach dem oben aufgezeigten Kausalitätsmaßstab mit überwiegender Wahrscheinlichkeit wesentlich auf der Therapie mit dem preislich über dem Festbetrag liegenden Arzneimittel beruhen. Zugleich dürfen keine anderen, ähnlich belastenden neuen Nebenwirkungen wie bei den bisher angewendeten Festbetragsarzneimitteln auftreten. Hierüber hat die Krankenkasse vor Ablauf des Heilversuchs unter Berücksichtigung der gewonnenen Erkenntnisse erneut zu entscheiden.
Bundessoszialgericht, Urteil vom 3. Juli 2012 – B 1 KR 22/11 R
- Gesetz zur Sicherung und Strukturverbesserung der gesetzlichen Krankenversicherung
vom 21.12.1992, BGBl I 2266[↩] - stRspr, vgl. zB BSGE 79, 125, 126 f = SozR 3 – 2500 § 13 Nr 11 S 51 f mwN; BSGE 100, 103 = SozR 4 – 2500 § 31 Nr 9, RdNr. 13 mwN – "Lorenzos Öl"; BSG SozR 4 – 2500 § 31 Nr 15 RdNr. 19 – Ritalin[↩]
- BSG SozR 4 – 2500 § 13 Nr 3 RdNr. 14 mwN[↩]
- idF GKV-Modernisierungsgesetzes
vom 14.11.2003, BGBl I 2190[↩] - idF durch Art 1 Nr 1 Buchst a Gesetz zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit in der Arzneimittelversorgung
vom 26.04.2006, BGBl I 984[↩] - zur Verfassungsmäßigkeit der Zuzahlungsregelungen vgl. grundlegend BSGE 100, 221 = SozR 4 – 2500 § 62 Nr 6[↩]
- vgl. hierzu BSGE 107, 287 = SozR 4 – 2500 § 35 Nr 4[↩]
- vgl. zum Ganzen BSGE 107, 287 = SozR 4 – 2500 § 35 Nr 4, RdNr. 15[↩]
- BVerfGE 106, 275, 301, 302, 303 = SozR 3 – 2500 § 35 Nr 2 S 19, 20, 21 = juris RdNr. 113 f, 117, 122[↩]
- vgl. zur Regelungskonzeption für Arzneimittel BSGE 95, 132 RdNr. 17 = SozR 4 – 2500 § 31 Nr 3, RdNr. 24 mwN[↩]
- vgl. zum Ganzen BSGE 107, 287 = SozR 4 – 2500 § 35 Nr 4, RdNr. 24[↩]
- BVerfGE 106, 275, 306, 307 = SozR 3 – 2500 § 35 Nr 2 S 23 f.[↩]
- vgl. BVerfGE 106, 275, 309 = SozR 3 – 2500 § 35 Nr 2 S 26[↩][↩]
- vgl. zB BSGE 97, 190 = SozR 4 – 2500 § 27 Nr 12, RdNr. 26; BSGE 97, 133 = SozR 4 – 2500 § 139 Nr 2, RdNr. 40; BSGE 96, 261 = SozR 4 – 2500 § 92 Nr 5, RdNr. 70; Hauck, SGb 2010, 193, 197 f mwN[↩]
- vgl. BSGE 78, 70, 89 f = SozR 3 – 2500 § 92 Nr 6 S 46; Hauck, SGb 2010, 193, 198[↩]
- vgl. BVerfGE 106, 275, 308 f = SozR 3 – 2500 § 35 Nr 2 S 25[↩]
- vgl. näher BSGE 107, 287 = SozR 4 – 2500 § 35 Nr 4, RdNr. 26[↩]
- vgl. BT-Drucks 11/2237 S 176[↩]
- hierzu Rehmann, AMG, 3. Aufl 2008, § 4 RdNr. 12[↩]
- BSG SozR 4 – 2500 § 27 Nr 20 RdNr. 14; vgl. zur Gesetz- und Verfassungsmäßigkeit BSGE 97, 190 = SozR 4 – 2500 § 27 Nr 12, RdNr. 23 mwN[↩]
- vgl. hierzu BSGE 79, 125, 127 = SozR 3 – 2500 § 13 Nr 11 S 52[↩]
- vgl. BSG, Urteil vom 29.11.2011 – B 2 U 26/10 R, RdNr. 31 mwN; BSG SozR 4 – 3200 § 81 Nr 5 RdNr. 21 mwN[↩]
- stRspr, vgl. zB BSG Urteil vom 08.11.2011 – B 1 KR 19/10 R, RdNr. 11 f mwN – BTX/A; zum System vgl. Hauck, NZS 2007, 461[↩]
- in der Neufassung vom 12.12.2005, BGBl I 3394[↩]
- idF des Gewebegesetzes vom 20.07.2007, BGBl I 1574[↩]
- hierzu Rehmann, AMG, 3. Aufl 2008, § 63b RdNr. 2[↩]
- vgl. § 6 Muster-Berufsordnung der in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte – MBO‑Ä 1997 – idF der Beschlüsse des 114. Deutschen Ärztetages 2011; inhaltlich übereinstimmend etwa § 6 Berufsordnung der Sächsischen Landesärztekammer idF der Änderungssatzung vom 23.11.2011; ebenso die Fassung vom 23.11.2007, ÄBS 2007, 605[↩]