Die Auslegung eines Verwaltungsaktes richtet sich danach, ob die Äußerung des Finanzamt als eine Entscheidung über eine Streitigkeit i.S. des § 218 Abs. 2 AO anzusehen ist, ob das Finanzamt also mit ihr nach dem für den Adressaten objektiv erkennbaren Erklärungswert mit unmittelbarer Wirksamkeit nach außen zwischen den Beteiligten rechtsfeststellend diese Streitigkeit entschieden hat.

Der Abrechnungsbescheid muss dabei die Angaben enthalten, die erforderlich sind, um die im Einzelfall bestehende Streitigkeit, also die konkrete Streitfrage, zu klären.
Liegen diese Voraussetzungen vor, so ist ein Abrechnungsbescheid auch dann gegeben, wenn das Finanzamt die Äußerung nicht ausdrücklich als Abrechnungsbescheid oder als Bescheid nach § 218 Abs. 2 AO bezeichnet hat1.
Bei der Prüfung der Frage, ob der Inhalt einer behördlichen Erklärung einen Verwaltungsakt darstellt, handelt es sich nicht um eine Tat, sondern um eine Rechtsfrage2.
Im hier entschiedenen Fall ergibt sich aus dem Wortlaut des Schreibens de Finanzamtes zwanglos, dass eine Anrechnung der beantragten Körperschaftsteuer in der Sache abgelehnt wird. Dieser Ausspruch war im Streitfall zur verbindlichen Klärung einer Streitigkeit über die Anrechnung ausländischer Körperschaftsteuer ausreichend, wie auch ein Vergleich mit dem während des Klageverfahrens vom Finanzamt erlassenen und in der Aussage im Kern übereinstimmenden „Abrechnungsbescheid nach § 218 Abs. 2 AO“ vom 20.02.2003 bestätigt. Ungeachtet seiner fehlenden Bezeichnung ist das Schreiben aus der maßgeblichen Sicht der Empfänger auch nicht als bloße Ablehnung der Änderung der Anrechnungsverfügung, sondern als Abrechnungsbescheid (§ 218 Abs. 2 Satz 1 AO) anzusehen. Denn nur mit einem solchen mussten die Kläger rechnen. Der Kläger zu 1., der -wie aus den Umständen erkennbar; und vom Finanzamt auch so aufgefasst- zugleich für die Klägerinnen zu 2. und zu 3. handelte, hatte im Schreiben vom 30.10.2000 die Anrechnung ausländischer Körperschaftsteuer beantragt. Wollte das Finanzamt über diesen Antrag abschlägig entscheiden, läge offenkundig eine Streitigkeit i.S. des § 218 Abs. 2 Satz 1 AO vor. Ein objektiver Empfänger musste angesichts dessen davon ausgehen, dass das Finanzamt mit dem Schreiben vom 30.11.2000 seiner aus § 218 Abs. 2 Satz 1 AO resultierenden Verpflichtung zum Erlass eines Abrechnungsbescheides nachgekommen war. Dies gilt umso mehr, als der Erlass eines solchen auch im Sinne eines effektiven Rechtsschutzes geboten war, weil ein Abrechnungsbescheid verfahrensrechtlich gegenüber einer Anrechnungsverfügung vorrangig ist3.
Diesem Einspruchsverfahren ist auch die vorliegend ergangene Einspruchsentscheidung zuzuordnen. Der Tenor der Entscheidung ist nicht eindeutig. Jedoch spricht die Bezeichnung des Streitgegenstands („Abrechnung zur Einkommensteuer 1995, 1996 und 1997“) -nach den obigen Darlegungen- angesichts der offenkundigen Streitigkeit über die Körperschaftsteueranrechnung für eine Entscheidung im Einspruchsverfahren über den Abrechnungsbescheid i.S. des § 218 Abs. 2 AO. Hinzu kommt, dass nur hiergegen Einspruch eingelegt war und dieser Einspruch in der Entscheidung ausdrücklich in Bezug genommen ist. Die weitere Begründung der Einspruchsentscheidung erschüttert dieses Auslegungsergebnis nicht. Etwaige bei der Auslegung verbleibende Zweifel sind zugunsten des Steuerpflichtigen -und damit zugunsten der verfahrensrechtlich gebotenen Form- aufzulösen4.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 15. Januar 2015 – I R 69/12
- vgl. BFH, Urteile vom 07.08.1990 – VII R 120/89, BFH/NV 1991, 569; vom 05.07.1988 – VII R 142/84, BFH/NV 1990, 69[↩]
- BFH, Urteil in BFH/NV 1991, 569[↩]
- s. bereits BFH, Urteile vom 28.04.1993 – I R 100/92, BFHE 171, 397, BStBl II 1993, 836; – I R 123/91, BFHE 170, 573, BStBl II 1994, 147; vgl. auch BMF, Schreiben vom 22.12 1994, BStBl I 1995, 5, dort Tz. 7, Nr. 3 zu § 218 AO[↩]
- vgl. BFH, Beschluss vom 15.05.2009 – IV B 24/09, BFH/NV 2009, 1402[↩]