Absehen von der Begründung der Entscheidung über eine Nichtzulassungsbeschwerde – und das rechtliche Gehör

Sieht der Bundesfinanzhof gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 der Finanzgerichtsordnung davon ab, seine Entscheidung über die Nichtzulassung der Revision (weiter) zu begründen, gibt dies keinen Anlass zu der Annahme, der Bundesfinanzhof habe das Vorbringen der Beteiligten nicht erwogen und deshalb den Anspruch der Beteiligten auf rechtliches Gehör im Sinne von Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes verletzt.

Absehen von der Begründung der Entscheidung über eine Nichtzulassungsbeschwerde – und das rechtliche Gehör

Der Anspruch auf rechtliches Gehör im Sinne von Art. 103 Abs. 1 GG und § 96 Abs. 2 FGO verpflichtet das Gericht unter anderem, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen, in Erwägung zu ziehen und sich mit dem entscheidungserheblichen Kern des Vorbringens auseinanderzusetzen. Dabei ist das Gericht naturgemäß nicht verpflichtet, der Rechtsansicht eines Beteiligten zu folgen1. Das Gericht ist nach Art. 103 Abs. 1 GG auch nicht verpflichtet, sich mit jedwedem Vorbringen des Beteiligten in der Begründung seiner Entscheidung ausdrücklich zu befassen2. Dies bedeutet, dass im Einzelfall eine Begründung ganz entfallen oder sich das Gericht lediglich mit den seiner Ansicht nach wesentlichen Gesichtspunkten der Begründungsschrift auseinandersetzen kann. Vor diesem Hintergrund ist grundsätzlich davon auszugehen, dass das Gericht das von ihm entgegengenommene Vorbringen eines Beteiligten tatsächlich auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat3; der Umstand allein, dass sich die Entscheidungsgründe mit einem bestimmten Gesichtspunkt nicht ausdrücklich auseinandersetzen, rechtfertigt deshalb auch nicht die Annahme, das Gericht habe den Gesichtspunkt unter Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör übergangen.

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Der Bundesfinanzhof ist bei der Entscheidung über eine Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision nach Maßgabe der Voraussetzungen des § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO befugt, von einer Begründung des Beschlusses abzusehen. Eine hierauf gestützte Handhabung gibt keinen Anlass zu der Annahme, der Bundesfinanzhof habe das Vorbringen der Beteiligten nicht erwogen. Daher vermag ein Absehen von einer Begründung auch nicht den Anspruch der Beteiligten auf rechtliches Gehör im Sinne von Art. 103 Abs. 1 GG zu verletzen4.

Daran gemessen lag hier eine Verletzung des rechtlichen Gehörs des Klägers nicht vor: Der Bundesfinanzhof hat den Vortrag des Klägers in der Begründung seiner Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg zur Kenntnis genommen und über das Vorbringen des Klägers entschieden. Aus dem Umstand, dass die Beschlussgründe keine detaillierte Befassung mit sämtlichen Erwägungen der Beschwerdebegründung enthalten (so zum Beispiel die vom Kläger angeführte Verletzung des Anspruchs auf ein faires Verfahren, des Willkürverbots und des Anspruchs auf rechtliches Gehör), kann nicht darauf geschlossen werden, der Bundesfinanzhof habe diese nicht zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen5.

Bundesfinanzhof, Beschluss vom 8. August 2023 – IX S 5/23

  1. vgl. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts -BVerfG- vom 11.06.2008 – 2 BvR 2062/07, DVBl.2008, 1056[]
  2. Entscheidungen des BVerfG vom 27.05.1970 – 2 BvR 578/69, BVerfGE 28, 378; vom 10.06.1975 – 2 BvR 1086/74, BVerfGE 40, 101; vom 05.10.1976 – 2 BvR 558/75, BVerfGE 42, 364; und vom 15.04.1980 – 2 BvR 827/79, BVerfGE 54, 86[]
  3. BVerfG, Beschluss vom 15.04.1980 – 1 BvR 1365/78, BVerfGE 54, 43[]
  4. vgl. BFH, Beschlüsse vom 29.07.2014 – I S 8/14, Rz 5, m.w.N.; und vom 10.06.2015 – I S 7/15, Rz 3[]
  5. vgl. auch BFH, Beschluss vom 07.02.2011 – XI S 29/10, Rz 8[]
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