Solange die Steuerpflicht einer Kapitalgesellschaft nicht einwandfrei ausgeschlossen werden kann, ist die Aufforderung zur Abgabe einer Steuererklärung regelmäßig nicht ermessensfehlerhaft. Eine gesetzeskonkretisierende Aufforderung zur Abgabe von Steuererklärungen stellt einen Verwaltungsakt i.S. des § 118 AO dar, der gemäß § 328 Abs. 1 Satz 1 AO mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden kann.

Gemäß § 328 Abs. 1 Satz 1 AO kann ein Verwaltungsakt, der auf Vornahme einer Handlung oder auf Duldung oder Unterlassung gerichtet ist, mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden. Die Zwangsmittel müssen nach § 332 Abs. 1 Satz 1 AO schriftlich angedroht werden, wobei zur Erfüllung eine angemessene Frist zu bestimmen ist (§ 332 Abs. 1 Satz 3 AO). Fehlt die Androhung, ist die Festsetzung eines Zwangsmittels rechtswidrig1. Voraussetzung jeder Vollstreckung und damit auch für die Anwendung von Zwangsmitteln ist ein wirksamer Verwaltungsakt (§ 118 AO), dessen Erfüllung durchgesetzt werden soll.
Die an die GmbH gerichtete Aufforderung zur Abgabe der Steuererklärungen für den Veranlagungszeitraum 2017 vom 02.04.2019 ist ein wirksamer Verwaltungsakt.
Teilweise werden der Regelungsgehalt einer Aufforderung zur Abgabe einer Steuererklärung und damit das Vorliegen eines Verwaltungsakts zwar verneint, wenn sich die Steuererklärungspflicht als solche bereits aus dem Gesetz ergibt2. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung stellt indes auch eine gesetzeskonkretisierende Aufforderung zur Einreichung von Unterlagen einen Verwaltungsakt dar3. Nach § 118 Satz 1 AO ist ein Verwaltungsakt jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist.
Die in den Einzelsteuergesetzen normierte abstrakt-generelle Pflicht zur Abgabe von Steuererklärungen4 stellt noch keine Regelung im Einzelfall dar. Vielmehr liegt eine solche erst dann vor, wenn das Finanzamt den einzelnen Steuerpflichtigen -wie vorliegend- zur Abgabe einer Steuererklärung auffordert, weil dieser seiner gesetzlichen Pflicht nicht nachgekommen oder unklar ist, ob eine Erklärungspflicht überhaupt besteht. Auch mit dem Setzen einer Abgabefrist, die von den gesetzlichen Abgabefristen abweicht, nimmt die Behörde eine Regelung des Einzelfalls vor, weil sie dem Steuerpflichtigen eine nur für ihn geltende Verpflichtung auferlegt.
Dementsprechend kann die abstrakte Pflicht zur Abgabe von Steuererklärungen nicht bereits als solche mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden; sie bedarf vielmehr einer Konkretisierung und Individualisierung durch einen Verwaltungsakt, der erst die Grundlage für das Ergreifen von Zwangsmitteln darstellen kann5.
Nach diesen Grundsätzen handelt es sich im Streitfall um einen Verwaltungsakt, weil das Finanzamt die GmbH in dem Schreiben vom 02.04.2019 -zusätzlich zur abstrakt-generellen Pflicht zur Abgabe einer Steuererklärung- im Einzelfall zur Abgabe der Körperschaftsteuer, Umsatzsteuer- und Gewerbesteuererklärung sowie der Bilanz mit Gewinn- und Verlustrechnung für 2017 unter Fristsetzung bis zum 29.04.2019 aufgefordert hat, wobei die Bezeichnung des Bescheids als „Erinnerung“ unschädlich ist6. Als Verwaltungsakt kann die Aufforderung nach Maßgabe der §§ 328 ff. AO insbesondere im Wege der Zwangsgeldandrohung gemäß § 329 AO durchgesetzt werden.
Der Verwaltungsakt wurde mit der Bekanntgabe an die Geschäftsführerin A wirksam (§§ 122, 124 AO). Dass die Aufforderung an ihre Privatadresse gerichtet war, ist unschädlich, weil die GmbH nach eigenen Angaben nicht über ein Geschäftslokal verfügte.
Die Aufforderung zur Abgabe der Steuererklärungen für den Veranlagungszeitraum 2017 vom 02.04.2019 war auch rechtmäßig.
Die GmbH war mit ihren diesbezüglichen Einwendungen nicht ausgeschlossen. Zutreffend ist in der Vorinstanz das Finanzgericht Rheinland-Pfalz7 davon ausgegangen, dass sich der Einspruch der GmbH vom 20.05.2019 nicht nur gegen die Zwangsgeldandrohung, sondern auch gegen die Aufforderung zur Abgabe der Steuererklärungen vom 02.04.2019 richtete.
Einwendungen gegen den zu vollstreckenden Verwaltungsakt sind zwar gemäß § 256 AO außerhalb des Vollstreckungsverfahrens mit den hierfür zugelassenen Rechtsbehelfen zu verfolgen. Allerdings kann im Verfahren über die Festsetzung von Zwangsgeldern bzw. deren Androhung auch dann noch über die Rechtmäßigkeit des zu vollstreckenden Verwaltungsakts entschieden werden, wenn dieser noch nicht unanfechtbar geworden ist und Einwendungen gegen seine Rechtmäßigkeit erhoben werden, weil in diesem Fall davon auszugehen ist, dass auch der Verwaltungsakt mit dem Einspruch angefochten worden ist8.
Auch hinsichtlich der Aufforderung zur Abgabe der Steuererklärungen vom 02.04.2019 hat die GmbH fristgerecht Einspruch eingelegt. Mit ihrem Einspruch vom 20.05.2019 hat sie zugleich Einwendungen gegen die Aufforderung erhoben. Da die Aufforderung vom 02.04.2019 nicht mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen war, ist der Einspruch fristgerecht innerhalb der insoweit maßgeblichen Jahresfrist des § 356 Abs. 2 Satz 1 AO eingelegt worden. Die Rechtmäßigkeit des Vorlageverlangens ist mithin als Vorfrage für die Prüfung der Rechtmäßigkeit der Zwangsgeldandrohungen und -festsetzungen von Bedeutung9.
Das Finanzgericht hat die für die Überprüfung von Ermessensentscheidungen geltenden Vorgaben (§ 102 FGO) beachtet und zutreffend angewandt. Die Aufforderung an die GmbH zur Abgabe der Steuererklärungen vom 02.04.2019 erging ermessensfehlerfrei.
Die Entscheidung des Finanzamtes, zur Abgabe der Steuererklärung aufzufordern, ist als Ermessensentscheidung von den Gerichten nach § 102 Satz 1 FGO nur daraufhin zu überprüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder vom Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist.
Nach § 149 Abs. 1 Satz 2 AO können nur solche Steuererklärungen angefordert werden, die in dem betreffenden Einzelsteuergesetz grundsätzlich vorgesehen sind10.
Das Verlangen nach Abgabe von Steuererklärungen muss verhältnismäßig und zumutbar sein11. Es kommt nicht darauf an, ob jemand tatsächlich steuerpflichtig ist, weil die Aufforderung lediglich das Mittel ist, um der Finanzverwaltung Gewissheit zu verschaffen12.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs verletzt das Finanzamt das ihm eingeräumte Ermessen nur dann, wenn es eine Steuererklärung verlangt, obwohl klar und einwandfrei feststeht, dass eine Steuerpflicht nicht gegeben ist. Besteht die Möglichkeit, dass der Aufgeforderte steuerpflichtig ist, ist die Aufforderung selbst dann nicht ermessensfehlerhaft, wenn die Auffassungen der Beteiligten über das Bestehen einer Steuerpflicht auseinandergehen. Die Klärung dieser Zweifel kann nur im Veranlagungs- und ggf. im nachfolgenden Rechtsbehelfsverfahren herbeigeführt werden13. Bei der Ermessensausübung hat das Finanzamt schließlich den Grundsatz der Steuergerechtigkeit und die Notwendigkeit eines gesicherten Steueraufkommens zu beachten.
Unter Beachtung dieser Grundsätze war die Aufforderung zur Abgabe der Steuererklärungen sowie der Gewinn- und Verlustrechnung für 2017 nicht zu beanstanden.
Das Finanzgericht hat zutreffend angenommen, dass die GmbH grundsätzlich als unbeschränkt steuerpflichtige Kapitalgesellschaft i.S. von § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG zur Abgabe von Körperschaftsteuererklärungen und Bilanzen verpflichtet ist (§ 31 Abs. 1 Satz 1 KStG i.V.m. § 25 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes, § 60 Abs. 1 Satz 1 EStDV) und dass für sie als Kapitalgesellschaft bzw. Unternehmerin auch in Bezug auf die Gewerbesteuer und die Umsatzsteuer eine Steuererklärungspflicht besteht (§ 14a Satz 1 GewStG i.V.m. § 25 Abs. 1 Nr. 2 der Gewerbesteuer-Durchführungsverordnung, § 18 Abs. 3 Satz 1 UStG).
Von einem Bestehen der Steuerpflicht ist im Streitfall auch auszugehen, denn nach den insoweit bindenden Feststellungen des Finanzgericht ist zwischen den Beteiligten gerade streitig, ob eine Steuerpflicht der GmbH gegeben ist. Diese Prüfung muss durch das Finanzamt im Veranlagungsverfahren durchgeführt werden, wozu die angeforderten Steuererklärungen etc. erforderlich sind.
Die GmbH hat nicht eindeutig dargelegt und nachgewiesen, dass sie ihren Geschäftsbetrieb endgültig eingestellt hat; eine ausdrückliche Erklärung der Betriebsaufgabe liegt nicht vor. Das Finanzgericht hat zudem darauf hingewiesen, dass die GmbH zuerst von einer endgültigen Einstellung und später von einem Ruhen des Geschäftsbetriebs gesprochen habe. Inwieweit solche Handlungen bei einer Kapitalgesellschaft überhaupt für die Buchführungs- und Steuererklärungspflicht maßgeblich sein können, muss der Bundesfinanzhof nicht entscheiden. Die vom Finanzgericht unter Rz 40 zitierte Entscheidung des IV. Bundesfinanzhofs des Bundesfinanzhofs betrifft einen anderen Fall, weil es sich um eine KG, also um eine Personengesellschaft, handelte14. Schließlich hat die GmbH erst auf mehrmalige Nachfrage nach dem noch im Jahresabschluss zum 31.12.2011 enthaltenen Anlagevermögen in Höhe von mehr als 8.000 € pauschal behauptet, dieses verschenkt bzw. entsorgt zu haben. Weitere Unterlagen dazu liegen nicht vor.
Die Überprüfung der vom Finanzamt getroffenen Ermessensentscheidung durch das Finanzgericht begegnet im Übrigen keinen rechtlichen Bedenken.
Der Bescheid vom 16.05.2019 über die Androhung des Zwangsgeldes in Höhe von insgesamt 800 € ist rechtmäßig.
Insbesondere ist die Androhung schriftlich (§ 332 Abs. 1 Satz 1 AO), bezogen auf jede einzelne Verpflichtung und in bestimmter Höhe erfolgt. Die Frist von fast vier Wochen ist angemessen, weil es der GmbH mit verhältnismäßigen Mitteln möglich ist, ihre Verpflichtung zur Abgabe der Steuererklärungen innerhalb der Frist zu erfüllen15.
Bundesfinanzhof, Beschluss vom 19. August 2021 – VII R 34/20
- Hohrmann in Hübschmann/Hepp/Spitaler -HHSp-, § 332 AO Rz 5[↩]
- z.B. Söhn in HHSp, § 118 AO Rz 543[↩]
- BFH, Urteil vom 04.10.2017 – VI R 53/15, BFHE 259, 431, BStBl II 2018, 123, m.w.N.[↩]
- z.B. § 18 Abs. 3 Satz 1 UStG[↩]
- BFH, Urteil vom 16.11.2011 – X R 18/09, BFHE 235, 452, BStBl II 2012, 129[↩]
- BFH, Urteil in BFHE 259, 431, BStBl II 2018, 123, Rz 4 und 17[↩]
- FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 17.06.2020 – 1 K 1651/19[↩]
- BFH, Urteile vom 20.10.1981 – VII R 13/80, BFHE 135, 141, BStBl II 1982, 371; vom 02.11.1994 – VII R 94/93, BFH/NV 1995, 754; und vom 15.05.2018 – VII R 14/17, BFH/NV 2018, 1137, Rz 14[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 28.10.2009 – VIII R 78/05, BFHE 227, 338, BStBl II 2010, 455[↩]
- BFH, Urteil vom 11.10.1989 – I R 101/87, BFHE 159, 98, BStBl II 1990, 280, unter II. 2.d[↩]
- BFH, Urteil in BFHE 159, 98, BStBl II 1990, 280, unter II. 2.d[↩]
- vgl. BFH, Beschluss vom 17.01.2003 – VII B 228/02, BFH/NV 2003, 594; Heuermann in HHSp, § 149 AO Rz 15[↩]
- BFH, Urteil vom 02.07.1997 – I R 45/96, BFH/NV 1998, 14, m.w.N.; vgl. auch BFH, Beschluss in BFH/NV 2003, 594, und BFH, Beschluss vom 16.02.2012 – II B 99/11, BFH/NV 2012, 982, Rz 7, m.w.N.[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 09.11.2017 – IV R 37/14, BFHE 259, 545, BStBl II 2018, 227[↩]
- vgl. hierzu Drüen in Tipke/Kruse, § 332 AO Rz 12[↩]
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