Anhörungsrüge- und die Grenzen der Gehörsverletzung

Der Anspruch auf rechtliches Gehör im Sinne von Art. 103 Abs. 1 GG und § 96 Abs. 2 FGO ist erst dann verletzt, wenn sich aus den besonderen Umständen des Einzelfalls ergibt, dass das Gericht Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei seiner Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung gezogen hat.

Anhörungsrüge- und die Grenzen der Gehörsverletzung

Nach § 133a Abs. 1 Satz 1 FGO ist das Verfahren auf die Rüge eines durch eine gerichtliche Entscheidung beschwerten Beteiligten fortzuführen, wenn ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist und das Gericht den Anspruch dieses Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.

Der Anspruch auf rechtliches Gehör im Sinne von Art. 103 Abs. 1 GG und § 96 Abs. 2 FGO verpflichtet das Gericht unter anderem, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen, in Erwägung zu ziehen und sich mit dem entscheidungserheblichen Kern des Vorbringens auseinanderzusetzen. Dabei ist das Gericht naturgemäß nicht verpflichtet, der Rechtsansicht eines Beteiligten zu folgen1. Das Gericht ist nach Art. 103 Abs. 1 GG auch nicht verpflichtet, sich mit jedwedem Vorbringen des Beteiligten in der Begründung seiner Entscheidung ausdrücklich zu befassen2. Dies bedeutet, dass im Einzelfall eine Begründung ganz entfallen oder sich das Gericht lediglich mit den seiner Ansicht nach wesentlichen Gesichtspunkten der Begründungsschrift auseinandersetzen kann. Vor diesem Hintergrund ist grundsätzlich davon auszugehen, dass das Gericht das von ihm entgegengenommene Vorbringen eines Beteiligten tatsächlich auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat3; der Umstand allein, dass sich die Entscheidungsgründe mit einem bestimmten Gesichtspunkt nicht ausdrücklich auseinandersetzen, rechtfertigt -insbesondere mit Blick auf die Bestimmung des § 133a Abs. 4 Satz 4 FGO- deshalb auch nicht die Annahme, das Gericht habe den Gesichtspunkt unter Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör übergangen.

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Nach diesen Maßstäben ist der Anspruch auf rechtliches Gehör im Sinne von Art. 103 Abs. 1 GG und § 96 Abs. 2 FGO erst dann verletzt, wenn sich aus den besonderen Umständen des Einzelfalls ergibt, dass das Gericht Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei seiner Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung gezogen hat4.

Das ist vorliegend nicht der Fall. Der Bundesfinanzhof hat den Vortrag des Klägers in seinem Schreiben vom 12.10.2022 gegen den Gerichtsbescheid des Bundesfinanzhofs vom 24.05.20225 zur Kenntnis genommen und über das Vorbringen des Klägers entschieden.

Der Kläger bringt mit seiner gegen das Urteil des Bundesfinanzhofs6 gerichteten Anhörungsrüge im Wesentlichen vor, der Bundesfinanzhof berücksichtige nach wie vor nicht, dass die nachträglichen Anschaffungskosten des Tiefgaragenstellplatzes der einheitlichen Gebäudeabschreibung unter Berücksichtigung der gesamten bisherigen Herstellungskosten zuzurechnen seien. Dabei habe der Bundesfinanzhof den Grundsatz der einheitlichen Abschreibung missachtet. Der Bundesfinanzhof habe zu dem Ergebnis kommen müssen, dass die von ihm im Gerichtsbescheid vertretene Auffassung leichtfertig und auf unvollständiger Grundlage gebildet worden sei. Dies stelle einen Verfahrensmangel in der Tatsachenwürdigung dar.

Dieses Vorbringen des Klägers aus seinem Antrag auf mündliche Verhandlung hat der Bundesfinanzhof sowohl im Tatbestand des angefochtenen Urteils als auch in den Entscheidungsgründen berücksichtigt und ist darauf eingegangen. Eine Gehörsverletzung liegt mithin nicht vor. Im Übrigen vertieft und ergänzt der Kläger mit seiner Anhörungsrüge sein bisheriges Vorbringen. Mit der Wiederholung und Ergänzung der Begründung aus dem Revisionsverfahren kann der Kläger im Verfahren der Anhörungsrüge indes nicht gehört werden. Denn eine Anhörungsrüge dient nicht dazu, die angegriffene Entscheidung nochmals einer vollen inhaltlichen Überprüfung zuzuführen.

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Bundesfinanzhof, Beschluss vom 2. Juni 2023 – IX S 6/23

  1. vgl. BVerfG, Beschluss vom 11.06.2008 – 2 BvR 2062/07, DVBl. 2008, 1056[]
  2. BVerfG, Entscheidungen vom 27.05.1970 – 2 BvR 578/69, BVerfGE 28, 378; vom 10.06.1975 – 2 BvR 1086/74, BVerfGE 40, 101; vom 05.10.1976 – 2 BvR 558/75, BVerfGE 42, 364; und vom 15.04.1980 – 2 BvR 827/79, BVerfGE 54, 86[]
  3. BVerfG, Beschluss vom 15.04.1980 – 1 BvR 1365/78, BVerfGE 54, 43[]
  4. vgl. BFH, Beschluss vom 27.10.2017 – IX S 21/17, BFH/NV 2018, 50, Rz 2[]
  5. BFH, Gerichtsbescheid vom 24.05.2022 – IX R 14/20[]
  6. BFH, Urteil vom 15.11.2022 – IX R 14/20[]