Anordnung des persönlichen Erscheinens und das Ordnungsgeld nach Klagerücknahme

Die Anordnung des persönlichen Erscheinens sowie die Androhung und Festsetzung eines Ordnungsgeldes (§ 80 Abs. 1 FGO) dienen der Sachverhaltsaufklärung und der Verfahrensbeschleunigung. Unter Berücksichtigung dieses Normzwecks ist der Wortlaut des § 80 Abs. 1 Satz 3 FGO dahingehend einzuschränken, dass Ordnungsgeld im Regelfall nur festgesetzt werden darf, wenn das unentschuldigte Ausbleiben zu einer Verfahrensverzögerung führt. Daran fehlt es bei einer Klagerücknahme im Laufe der mündlichen Verhandlung.

Anordnung des persönlichen Erscheinens und das Ordnungsgeld nach Klagerücknahme

Nach § 80 Abs. 1 FGO kann das Gericht das persönliche Erscheinen eines Beteiligten anordnen. Für den Fall des Ausbleibens kann es Ordnungsgeld wie gegen einen im Vernehmungstermin nicht erschienenen Zeugen androhen. Bei schuldhaftem Ausbleiben setzt das Gericht durch Beschluss das angedrohte Ordnungsgeld fest. Ist der Beteiligte –wie im hier entschiedenen Streitfall– eine Vereinigung, so ist das Ordnungsgeld dem nach Gesetz oder Satzung Vertretungsberechtigten anzudrohen und gegen ihn festzusetzen (§ 80 Abs. 2 FGO).

Als ergänzende Vorschrift zu § 76 Abs. 1 FGO dient die Vorschrift der Aufklärung des Sachverhalts durch Mitwirkung der Beteiligten1 sowie der Konzentration und Beschleunigung des Verfahrens2. Die Pflicht zum Erscheinen bei Gericht ist daher kein Selbstzweck3.

§ 80 FGO entspricht wörtlich § 95 VwGO. Ähnliche Vorschriften über die Anordnung des persönlichen Erscheinens finden sich in § 141 ZPO und § 111 SGG, wobei hinsichtlich der Festsetzung von Ordnungsgeld durch § 202 SGG auf § 141 Abs. 3 ZPO verwiesen wird.

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Nach § 80 Abs. 1 Satz 3 FGO setzt das Gericht bei schuldhaftem Ausbleiben das angedrohte Ordnungsgeld durch Beschluss fest. Dabei ist zwar umstritten, ob die Festsetzung von Ordnungsgeld –ebenso wie deren Androhung– im Ermessen des Gerichts steht4 oder ob eine grundsätzliche Festsetzungspflicht besteht. Diese Streitfrage kann der BFH jedoch offen lassen, da auch dann, wenn dem Gericht bei der Ordnungsgeldfestsetzung kein Ermessen zugebilligt wird, eine Festsetzung von Ordnungsgeld in der Regel nur dann erfolgen darf, wenn das unentschuldigte Ausbleiben zu einer Verfahrensverzögerung führt. Eine Verfahrensverzögerung liegt jedoch dann nicht vor, wenn sich das Ausbleiben des Beteiligten für das Verfahren als unschädlich erweist.

Nach höchstrichterlicher Zivilrechtsprechung zu § 141 Abs. 3 ZPO ist die Verhängung eines Ordnungsgeldes ermessensfehlerhaft, wenn im Termin zur mündlichen Verhandlung des Rechtsstreits keine Fragen zum Sachverhalt offen geblieben sind und der Rechtsstreit ohne weiteren Vortrag durch Urteil entschieden wird5. Da der Zweck der Ordnungsgeldfestsetzung nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 10. November 19976 nicht darin bestehe, eine vermeintliche Missachtung des Gerichts zu ahnden, sondern die Aufklärung des Sachverhalts zu fördern, könne ein Ordnungsgeld nur festgesetzt werden, wenn das unentschuldigte Ausbleiben der Partei die Sachaufklärung erschwert und dadurch den Prozess verzögert habe7.

Diese Rechtsprechungsgrundsätze betreffen zwar die Auslegung von § 141 Abs. 3 ZPO, der die Festsetzung eines Ordnungsgeldes –im Unterschied zu § 80 Abs. 1 Satz 3 FGO– in das Ermessen des Gerichts stellt. Selbst wenn es sich bei den unterschiedlichen Formulierungen nicht um ein bloßes Redaktionsversehen des Gesetzgebers8 handeln sollte, gebietet jedenfalls der mit § 141 Abs. 3 ZPO übereinstimmende Normzweck eine einschränkende Auslegung des Tatbestands von § 80 Abs. 1 Satz 3 FGO dahingehend, dass bei schuldhaftem Ausbleiben ein Ordnungsgeld nur festzusetzen ist, wenn hierdurch die Sachaufklärung erschwert und der Prozess verzögert wird. Die Festsetzung eines Ordnungsgeldes verliert dagegen ihre Berechtigung, wenn sich das Ausbleiben des Beteiligten oder seines gesetzlichen Vertreters nicht verfahrensverzögernd ausgewirkt hat9, weil der Prozess im Laufe der mündlichen Verhandlung –wie im Streitfall– durch Klagerücknahme beendet wurde10. In Übereinstimmung damit wird im finanzgerichtlichen Schrifttum allgemein vertreten, dass in derartigen Fällen von der Festsetzung eines Ordnungsgeldes abzusehen ist11.

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Im vorliegenden Streitfall hat das Finanzgericht die Festsetzung des Ordnungsgeldes damit begründet, dass das persönliche Erscheinen der Beschwerdeführer angeordnet worden sei, um mit ihnen persönlich die Gründe für die verspätete Abgabe der Umsatzsteuererklärung 2009 zu erörtern. Nachdem der Prozessbevollmächtigte der Klägerin im Laufe der mündlichen Verhandlung die Klage zurückgenommen hatte und dadurch das Verfahren beendet war, entfiel dieser Grund für die Anordnung des persönlichen Erscheinens und eine Verzögerung des Verfahrens war ausgeschlossen. Unter diesen Umständen ist ein schuldhaftes Ausbleiben der Beschwerdeführer nicht mit einem Ordnungsgeld zu belegen. Die angefochtenen Beschlüsse waren daher aufzuheben.

Bundesfinanzhof, Beschluss vom 17. September 2012 – V B 77/12

  1. BFH, Beschluss vom 14.12.2010 – X B 103/10, BFH/NV 2011, 618 II.01.a; Stöcker in Beermann/Gosch, Steuerliches Verfahrensrecht, § 80 FGO Rz 1 und 2; Thürmer in HHSp, § 80 FGO Rz 11[]
  2. Koch in Gräber, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 80 Rz 1; Thürmer in HHSp, § 80 FGO Rz 12[]
  3. Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 80 FGO Rz 3[]
  4. so Thürmer in HHSp, § 80 FGO Rz 71, unter Hinweis auf das verwaltungsrechtliche Schrifttum zur Rechtslage nach § 95 VwGO[]
  5. BGH, Urteil vom 12.06.2007 – VI ZB 4/07, NJW-RR 2007, 1364; BAG, Urteil vom 20.08.2007 – 3 AZB 50/05, NJW 2008, 252[]
  6. BVerfG, Beschluss vom 10.11.1997 – 2 BvR 429/97, NJW 1998, 892[]
  7. BGH, Urteil in NJW-RR 2007, 1364 II.02.a[]
  8. so Thürmer in HHSp, § 80 FGO Rz 71 Fußnote 3[]
  9. vgl. Leipold in Stein/Jonas, Zivilprozessordnung, 21. Aufl., § 141 Rz 35a[]
  10. vgl. LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 03.08.1987 – 13 Ta 6/87, NZA 1987, 827[]
  11. vgl. Thürmer in HHSp, § 80 FGO Rz 71; Stöcker in Beermann/Gosch, a.a.O., § 80 FGO Rz 53; Seer in Tipke/Kruse, a.a.O., § 80 FGO Rz 3; Koch in Gräber, a.a.O., § 80 Rz 10[]
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