Nach Rückkehr ins reguläre Insolvenzverfahren sind die während der Masseunzulänglichkeit geltenden Aufrechnungsverbote nicht mehr anzuwenden.

Nach Anzeige der wiedererlangten Zulänglichkeit der Masse durch den Insolvenzverwalter konnte das Finanzamt in dem hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Streitfall daher gemäß § 226 Abs. 1 AO i.V.m. § 389 BGB mit den während der Dauer der angezeigten Masseunzulänglichkeit verwirkten Säumniszuschlägen gegen die Masseforderung aus der Umsatzsteuervorauszahlung für ein anderes Quartal aufrechnen. Die während der Masseunzulänglichkeit zu berücksichtigenden Aufrechnungsverbote gemäß § 95 Abs. 1 Satz 3 InsO, § 96 Abs. 1 Nrn. 1 bis 4 InsO analog oder § 210 InsO analog galten nicht mehr.
Für die Aufrechnung mit Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis und gegen solche Ansprüche sind gemäß § 226 Abs. 1 AO die §§ 387 ff. BGB (unter Berücksichtigung etwaiger Besonderheiten der Aufrechnung von oder mit Steuerforderungen) sinngemäß anzuwenden. § 387 BGB verlangt, dass zwei Personen einander Leistungen schulden und dass der Aufrechnende im Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung die ihm gebührende Leistung fordern und die ihm obliegende Leistung bewirken kann [1].
Im Streitfall sind diese Voraussetzungen erfüllt. So wurden trotz Anzeige der Masseunzulänglichkeit Säumniszuschläge verwirkt. Diese sind ‑entsprechend der zugrundeliegenden Steuerschuld, d.h. der unter der Massesteuernummer angemeldeten Umsatzsteuer- gleichfalls eine Masseverbindlichkeit [2]. Nach dem Rechtsgedanken des § 240 Abs. 1 Satz 4 AO bleiben sie das auch, wenn der Steuerbescheid (wie im hier entschiedenen Streitfall) später aufgehoben wird.
Eine Masseforderung in Gestalt des Vorsteuervergütungsanspruchs ist infolge der Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldung für das entsprechende Quartal und der vom Finanzamt hierzu spätestens in dem Abrechnungsbescheid erteilten Zustimmung entstanden (§ 168 Satz 1 und Satz 2 AO).
Zum Zeitpunkt des Erlasses des Abrechnungsbescheids war auch noch kein Jahressteuerbescheid für das Streitjahr ergangen; die Abgabe der (Jahres-)Umsatzsteuererklärung erfolgte erst zu einem späteren Zeitpunkt. Die Fälligkeit der Vorauszahlungen und eine dadurch entstandene Aufrechnungslage bleiben im Übrigen erhalten, wenn zu einem späteren Zeitpunkt ein Jahressteuerbescheid ergeht [3]. Auch wenn sich die Höhe der Umsatzsteuerschuld dann nach dem Jahressteuerbescheid richtet [4] und die Masseforderung im Umsatzsteuer-Jahressteuerbescheid 2014 bei Erlass der Einspruchsentscheidung am 17.08.2016 niedriger war als im (unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden) Vorauszahlungsbescheid, wurde der Insolvenzverwalter dadurch, dass in dem Abrechnungsbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung ein Erlöschen der Säumniszuschläge in Höhe des Vorsteuerguthabens angenommen wurde, jedenfalls nicht in seinen Rechten verletzt.
Die Aufrechnung wurde im vorliegenden Fall gemäß § 226 Abs. 1 AO i.V.m. § 388 BGB nach Anzeige der wiedererlangten Zulänglichkeit der Masse durch den Insolvenzverwalter im Juli 2012 ordnungsgemäß erklärt. Die Erklärung [5] ist spätestens mit dem Abrechnungsbescheid über die Umsatzsteuervorauszahlung für das zweite Quartal erfolgt, in dem das Finanzamt die rein intern wirkende Umbuchung [6] mitteilte und bestätigte.
Nach der zuvor bereits erfolgten Anzeige der wiedererlangten Zulänglichkeit der Masse stand der Aufrechnung kein Aufrechnungsverbot mehr entgegen. Die während der Masseunzulänglichkeit geltenden Aufrechnungsverbote sind nach Rückkehr ins reguläre Insolvenzverfahren nicht mehr anzuwenden.
Eine Rückkehr ins reguläre Insolvenzverfahren ist nach Überwindung der Masseunzulänglichkeit möglich [7]. Dabei genügt mangels ausdrücklicher gesetzlicher Regelung jedenfalls eine Anzeige an das Insolvenzgericht (actus contrarius) [8]. Für die Annahme, dass für die Rückkehr ins reguläre Insolvenzverfahren ‑die nur in Betracht kommt, wenn die für die Massegläubiger günstige Aussicht besteht, dass sämtliche Masseverbindlichkeiten erfüllt werden können- höhere Hürden gelten könnten als für die Einleitung eines Verfahrens gemäß §§ 208 ff. InsO, dessen Rechtsfolgen für die Altmassegläubiger ungünstig sind, gibt es keinen Grund.
Nach diesen Grundsätzen ist im Streitfall eine Rückkehr ins reguläre Insolvenzverfahren erfolgt, nachdem der Insolvenzverwalter dem Insolvenzgericht angezeigt hat, dass die Masse wieder zulänglich geworden ist. Erst danach ist die Aufrechnungslage entstanden.
Nach Rückkehr ins reguläre Insolvenzverfahren sind Aufrechnungsverbote analog § 95 Abs. 1 Satz 3 InsO oder § 96 Abs. 1 Nrn. 1 bis 4 InsO [9] oder § 210 InsO [10] nicht mehr zu rechtfertigen. Die Gefahr, dass die für die Verteilung der unzulänglichen Masse geltenden Rechtsregeln durch eine Aufrechnung unterlaufen werden könnten, besteht nicht mehr, wenn die Masse wieder zulänglich geworden ist und die Erfüllung sämtlicher Masseverbindlichkeiten erwartet werden kann.
Aus den BFH-Urteilen in BFHE 220, 295, BStBl II 2008, 506 und in BFHE 193, 1, BStBl II 2002, 323 oder dem BGH-Urteil vom 18.05.1995 [11] folgt nichts anderes. Die Urteile betrafen Fälle, in denen die Masseunzulänglichkeit fortbestand.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 17. September 2019 – VII R 31/18
- BFH, Urteil in BFHE 191, 5, BStBl II 2000, 246, Rz 9 ff.[↩]
- vgl. z.B. Heuermann in HHSp, § 240 AO Rz 97; Kögel in Gosch, AO § 240 Rz 119[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 15.06.1999 – VII R 3/97, BFHE 189, 14, BStBl II 2000, 46, Rz 28[↩]
- BFH, Beschluss vom 22.08.1995 – VII B 107/95, BFHE 178, 532, BStBl II 1995, 916[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 24.11.2011 – V R 13/11, BFHE 235, 137, BStBl II 2012, 298, Rz 28[↩]
- vgl. Klein/Rüsken, a.a.O., § 226 Rz 64[↩]
- Kießner in Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung, 9. Aufl.2018, § 208 Rz 27 ff.; Riedel in Graf-Schlicker, Kommentar zur Insolvenzordnung, 4. Aufl.2014, § 208 Rz 7; Ries in Uhlenbruck, a.a.O., § 208 Rz 22; Weitzmann in Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, 7. Aufl.2019, § 208 InsO Rz 14; Windel in Jaeger, Insolvenzordnung, § 208 Rz 46; Oberlandesgericht Rostock, Urteil vom 10.10.2008 – 5 U 173/08, Neue Zeitschrift für Insolvenz- und Sanierungsrecht ‑NZI- 2008, 750; a.A. wohl Arbeitsgericht Hamburg, Beschluss vom 02.02.2000 – 67c IN 157/99, NZI 2000, 140[↩]
- vgl. etwa Kießner, a.a.O., § 208 Rz 28; Riedel, a.a.O., § 208 Rz 7; Weitzmann, a.a.O., § 208 InsO Rz 14[↩]
- vgl. BFH, Urteile vom 04.03.2008 – VII R 10/06, BFHE 220, 295, BStBl II 2008, 506; und vom 01.08.2000 – VII R 31/99, BFHE 193, 1, BStBl II 2002, 323[↩]
- vgl. BFH, Urteile in BFHE 220, 295, BStBl II 2008, 506, und in BFHE 193, 1, BStBl II 2002, 323; Runkel, Schnurbusch, NZI 2000, 49; Schmidt, NZI 1999, 442[↩]
- BGH, Urteil vom 18.05.1995 – IX ZR 189/94, BGHZ 130, 38[↩]