Nach § 128 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 69 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 FGO ist die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts ganz oder teilweise auszusetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige Härte zur Folge hätte.

Ernstliche Zweifel im Sinne von § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO liegen bereits dann vor, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Bescheids neben für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung entscheidungserheblicher Tatfragen bewirken1. Die Entscheidung hierüber ergeht bei der im AdV-Verfahren gebotenen summarischen Prüfung aufgrund des Sachverhalts, der sich aus dem Vortrag der Beteiligten und der Aktenlage ergibt2. Zur Gewährung der AdV ist es nicht erforderlich, dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe im Sinne einer Erfolgswahrscheinlichkeit überwiegen3.
Ernstliche Zweifel können auch dann bestehen, wenn zu einer Rechtsfrage in der Rechtsprechung der Finanzgericht unterschiedliche Auffassungen vertreten werden, aber nur, wenn und soweit der Bundesfinanzhof die jeweilige Rechtsfrage noch nicht entschieden hat4.
Im Beschwerdeverfahren hat der Bundesfinanzhof das Rechtsschutzbegehren auf AdV eigenständig zu prüfen und dabei die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt seiner Beschwerdeentscheidung zugrunde zu legen5.
Der Bundesfinanzhof kann die Sache auch an das Finanzgericht zurückverweisen. Aus §§ 132, 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 572 Abs. 3 ZPO folgt, dass eine Zurückverweisung auch im Beschwerdeverfahren hinsichtlich eines AdV, Beschlusses zulässig ist. Sie ist Ausfluss eines tragenden Grundprinzips des Instanzenzugs, nämlich der Aufteilung der Rechtsprechungsfunktionen unter den Gerichten6.
Die Zurückverweisung ist insbesondere dann zweckmäßig, wenn sich das Finanzgericht auf der Grundlage seiner -rechtsfehlerhaften- Auffassung mit den von der Antragstellerin im gerichtlichen Aussetzungsverfahren geltend gemachten Einwendungen noch nicht befasst hat. Das gilt auch für weitere Einwendungen, die von der Antragstellerin nach Ergehen des ablehnenden AdV, Beschlusses des Finanzgericht im Rahmen des Einspruchs- oder Klageverfahrens geltend gemacht worden sind, oder wenn aus anderen Gründen neuer Sachvortrag der Antragstellerin zu erwarten ist.
Bundesfinanzhof, Beschluss vom 26. September 2023 – V B 23/22
- ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH, Beschlüsse vom 30.03.2021 – V B 63/20 (AdV), BFH/NV 2021, 1212; und vom 08.04.2009 – I B 223/08, BFH/NV 2009, 1437[↩]
- vgl. BFH, Beschluss vom 07.09.2011 – I B 157/10, BFHE 235, 215, BStBl II 2012, 590, Rz 12, m.w.N.[↩]
- BFH, Beschluss vom 07.09.2011 – I B 157/10, BFHE 235, 215, BStBl II 2012, 590, Rz 12[↩]
- BFH, Beschlüsse vom 10.05.1968 – III B 55/67, BFHE 92, 472, BStBl II 1968, 610, Leitsatz 2; vom 01.10.2007 – VII B 130/07, BFH/NV 2008, 231, unter II.; vom 29.07.2009 – XI B 24/09, BFHE 226, 449, unter II. 1.; vom 21.07.2009 – II B 8/09, BFH/NV 2009, 1845; und vom 19.08.1987 – V B 56/85, BFHE 150, 400, BStBl II 1987, 830; vgl. auch Seer in Tipke/Kruse, § 69 FGO Rz 91, m.w.N.; FG Köln, Beschluss vom 10.04.2013 – 10 – V 216/13, EFG 2013, 1389[↩]
- BFH, Beschlüsse vom 06.02.2009 – IV B 125/08, BFH/NV 2009, 760 sowie vom 18.08.1987 – VII B 97/87, BFH/NV 1988, 374; Birkenfeld in HHSp, § 69 FGO Rz 984; Bergkemper in HHSp, § 132 FGO Rz 22 sowie Gosch in Gosch, FGO § 69 Rz 176[↩]
- vgl. BFH, Beschlüsse vom 23.02.2021 – I B 55/20 (AdV), BFH/NV 2021, 1064, Rz 11 und 40; vom 04.03.2020 – I B 57/18, BFH/NV 2020, 1236, Rz 26; und vom 06.11.2008 – IV B 126/07, BFHE 223, 294, BStBl II 2009, 156[↩]