Die wirksame Bekanntgabe eines Verwaltungsaktes und damit auch die einer Einspruchsentscheidung setzt die (passive) Handlungsfähigkeit des Empfängers voraus1.

Fähig zur Vornahme von Verfahrenshandlungen sind nach § 79 Abs. 1 Nr. 3 AO bei juristischen Personen ihre gesetzlichen Vertreter. Bei Gesellschaften mit beschränkter Haftung -wie im hier entschiedenen Streitfall- ist dies (vgl. § 35 Abs. 1 GmbHG) ihr Geschäftsführer. Die gesetzlichen Vertreter werden dadurch nicht selbst zu Beteiligten, müssen aber selbst handlungsfähig und damit geschäftsfähig sein2. Die Handlungsfähigkeit des Geschäftsführers einer GmbH setzt somit dessen Geschäftsfähigkeit nach bürgerlichem Recht voraus.
Geschäftsunfähig ist nach § 104 Nr. 2 BGB, wer sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet, sofern nicht der Zustand seiner Natur nach ein vorübergehender ist.
Ein Ausschluss der freien Willensbestimmung liegt vor, wenn jemand nicht imstande ist, seinen Willen frei und unbeeinflusst von einer vorliegenden Geistesstörung zu bilden und nach zutreffend gewonnenen Einsichten zu handeln3.
Abzustellen ist dabei darauf, ob eine freie Entscheidung nach Abwägung des Für und Wider bei sachlicher Prüfung der in Betracht kommenden Gesichtspunkte möglich ist oder ob umgekehrt von einer freien Willensbildung nicht mehr gesprochen werden kann, etwa weil infolge der Geistesstörung Einflüsse dritter Personen den Willen übermäßig beherrschen4.
Ein Ausschluss der freien Willensbildung ist nur dann substantiiert dargelegt, wenn das Gericht auf der Grundlage des Klägervorbringens zu dem Ergebnis kommen muss, die Voraussetzungen des § 104 Nr. 2 BGB lägen vor.
Im hier entschiedenen Fall hatte der Bundesfinanzhof keine Zweifel an der Geschäftsfähigkeit des GmbH-Geschäftsführers: Der Vortrag der GmbH beschränkt sich auf pauschale Behauptungen zum Krankheitsbild einer schweren Depression sowie zu deren denkbaren Folgen. Insoweit fehlt es insbesondere am Vortrag von Tatsachen, aus denen sich ergibt, dass die Depression des Geschäftsführers einen Zustand erreichte, der seine freie Willensbildung beeinträchtigte. Aus der allgemeinen Beschreibung von den mit einer Depression einhergehenden Symptomen folgt nicht, dass der Geschäftsführer dauerhaft und durchgängig einen freien Willen nicht hätte bilden können. Dies gilt umso mehr, als Depressionen bekanntermaßen in vielfältigen und völlig unterschiedlich ausgeprägten Formen vorkommen und depressive Erkrankungen regelmäßig Schwankungen unterliegen. Dass Geschäftsführer dauerhaft oder zumindest für einen längeren Zeitraum nicht mehr in der Lage war, Alltagstätigkeiten auszuführen, ergibt sich aus diesem Vortrag nicht.
Auch die medizinische Beurteilung des Arztes Dr. F aufgrund einer Konsultation vom 02.03.2017 ist nicht geeignet, den Bundesfinanzhof von der Geschäftsunfähigkeit des Geschäftsführers im Zeitpunkt der Entgegennahme der Einspruchsentscheidung am 20.01.2015 zu überzeugen. Nach dem Arztbrief vom 02.03.2017 war AL aufgrund einer chronischen Depression bereits seit Juli 2014 in Intensivbehandlung mit wöchentlicher Verhaltenstherapie; er erhielt Antidepressiva sowie angstlösende und schlaffördernde Medikamente. Die klinische Beurteilung lautet „Generalisiertes Angstsyndrom, starke depressive Episode, chronische Depression“. Ob eine starke depressive Episode geeignet ist, zur Geschäftsunfähigkeit zu führen, kann im Streitfall offen bleiben. Denn aus dem Arztbrief ist nicht ersichtlich, dass eine derartige Episode gerade zum maßgeblichen Zeitpunkt (hier: am 20.01.2015) bestand. Ausführungen hierzu wären nicht nur deshalb erforderlich gewesen, weil sich die Behandlungszeit nach den Ausführungen des Arztes vom Juli 2014 bis März 2017 erstreckte, sondern auch deshalb, weil der Geschäftsführer bereits wenige Wochen nach der Entgegennahme der Einspruchsentscheidung am 20.01.2015 in der Lage war, die Klageschrift vom 02.03.2015 aufzusetzen bzw. aufsetzen zu lassen und an das Finanzgericht zu faxen.
Bundesfinanzhof, Beschluss vom 7. Juli 2017 – V B 168/16
- BFH, Urteil vom 16.04.1997 – XI R 61/94, BFHE 183, 13, BStBl II 1997, 595, Rz 14; Drüen in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 79 AO Rz 6[↩]
- Drüen in Tipke/Kruse, a.a.O., § 79 AO Rz 25[↩]
- BGH, Urteil vom 05.12 1995 – XI ZR 70/95, NJW 1996, 918, Leitsatz[↩]
- BGH, Urteil in NJW 1996, 918, Rz 11[↩]