Die Voraussetzungen, unter denen das Prozessgericht für eine nicht prozessfähige Person einen Vertreter zu bestellen hat, sind in § 57 Abs. 1 ZPO geregelt, der gemäß § 58 Abs. 2 Satz 2 FGO im finanzgerichtlichen Verfahren entsprechend gilt.

Da die Prozessfähigkeit in jedem Verfahrensstadium von Amts wegen (§ 58 Abs. 2 Satz 2 FGO i.V.m. § 56 Abs. 1 ZPO) geprüft werden muss, ist der BFH im Verfahren über die Zulassung der Revision nicht an die Feststellungen des Finanzgericht gebunden. Vielmehr darf er insoweit auch in der Rechtsmittelinstanz neue Tatsachen feststellen und berücksichtigen1. Das Gericht ist bei der Prüfung der Prozessfähigkeit grundsätzlich in der Auswahl seiner Beweismittel frei und überzeugt sich im Wege des Freibeweises2.
Nach § 58 Abs. 1 Nr. 1 FGO sind alle nach bürgerlichem Recht geschäftsfähigen Personen prozessfähig. Nach § 104 Nr. 2 BGB ist geschäftsunfähig, wer sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet. Dieses ist zu bejahen, wenn der Betroffene nicht mehr in der Lage ist, seine Entscheidungen von vernünftigen Erwägungen abhängig zu machen.
Anzeichen für einen solchen Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit liegen nach Auffassung des angerufenen Bundesfinanzhofs bei dem Antragsteller jedoch nicht vor. Seinen Schriftsätzen nicht nur des finanzgerichtlichen Rechtsstreits, sondern auch des vorliegenden Verfahrens ist sein materielles Begehren klar zu entnehmen, die steuerlichen Folgen seiner krankheitsbedingten Aufwendungen höchstrichterlich klären zu lassen. Dass er sowohl in steuerrechtlichen als auch in verfahrensrechtlichen Fragen zielgerichtet argumentieren kann, zeigt zudem seine Einlassung in der mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht, er sei erst während des Rechtsstreits prozessunfähig geworden, bei Erhebung der Klage jedoch noch prozessfähig gewesen. Mit dieser Behauptung konnte er vermeiden, dass die Klage bereits als unzulässig zu verwerfen war. Auch die an den Bundesfinanzhof gerichteten Schreiben zeigen eine ausreichende Zielgerichtetheit und Willensbestimmtheit auf: Der Antragsteller war in der Lage, unabhängig von dem Schreiben des Finanzgericht zu erkennen, dass er den Antrag auf Beiordnung eines Notanwalts bei dem nunmehr zuständigen BFH zu stellen hatte, ebenso wie es ihm möglich war, Gründe für die nicht fristgerechte Einlegung des von ihm gewünschten Rechtsmittels aufzuzeigen, unabhängig davon, ob diese als stichhaltig anzusehen sind oder nicht.
Der angerufene Bundesfinanzhof weist ergänzend darauf hin, dass das Prozessgericht nach § 57 ZPO nur dann einen Vertreter für eine nicht prozessfähige Person zu bestellen hat, wenn eine nicht prozessfähige Person verklagt werden soll. Nach Wortlaut und Zweck erschöpft sich die Vorschrift des § 57 ZPO darin, dem Kläger einen prozessfähigen Gegner gegenüberzustellen, damit er seinen Anspruch geltend machen kann. Deshalb ist die Vorschrift im Steuerrecht bisher nicht entsprechend angewandt worden, wenn eine nicht prozessfähige GmbH ihrerseits klagen will3.
Der Bundesfinanzhof hat zudem in seinem Beschluss vom 12.07.19994 auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hingewiesen. Auch das BVerwG hat die Vorschrift des § 57 ZPO gegenüber einem Kläger nur in Sonderfällen angewandt, wenn sich nämlich das Begehren des Klägers auf Hilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) richtet und die Hilfsbedürftigkeit durch die geistige Behinderung hervorgerufen ist, die auch die Prozessunfähigkeit bedingt5. Ferner hat das BVerwG die entsprechende Anwendung des § 57 ZPO im Verwaltungsstreitverfahren erwogen, wenn im Verwaltungsprozess die Rechtmäßigkeit eines angefochtenen belastenden Verwaltungsakts im Streit stand und der Behörde an der Klärung der Bestandskraft des Verwaltungsakts gelegen gewesen ist6. Abgesehen von diesen Ausnahmefällen hat das BVerwG die entsprechende Anwendung des § 57 ZPO gegenüber einem prozessunfähigen Kläger grundsätzlich abgelehnt7.
Nach diesen Maßstäben liegen im Streitfall bereits die Voraussetzungen, unter denen für den Antragsteller ein Vertreter gemäß § 57 ZPO zu bestellen wäre, nicht vor. Der Antragsteller begehrt weder Leistungen nach dem BSHG noch ist ein finanzgerichtliches Verfahren anhängig, in dem das Finanzamt die Bestandskraft des von ihm erlassenen Steuerbescheids geklärt wissen will. Der Antragsteller wehrt sich vielmehr gegen das Urteil des Finanzgericht, in dem die von ihm erstrebte Anerkennung von krankheitsbedingten Aufwendungen versagt wurde.
Da mithin die Bestellung eines Prozesspflegers nach § 57 ZPO durch den Bundesfinanzhof nicht möglich ist, könnte der Antragsteller -sofern prozessunfähig- seine Rechte allein dadurch wahren, dass er bei dem für ihn zuständigen Amtsgericht (AG) die Bestellung eines Betreuers beantragt (§ 1896 BGB), der ihn in dem vom AG bestimmten Aufgabenkreis gerichtlich vertreten kann8.
Dieser Beschluss ergeht gerichtsgebührenfrei9.
Bundesfinanzhof, Beschluss vom 10. März 2016 – X S 47/15
- vgl. z.B. BFH, Beschluss vom 01.09.2005 – IX B 87/05, BFH/NV 2006, 94, unter II. 3.a, m.w.N.[↩]
- vgl. BFH, Beschluss in BFH/NV 2006, 94, unter II. 3.a[↩]
- BFH, Entscheidung vom 02.12 1986 – VIII R 148/85, BFH/NV 1987, 379[↩]
- BFH, Beschluss vom 12.07.1999 – IX S 8/99, BFH/NV 1999, 1631, unter 1.[↩]
- BVerwG, Urteil vom 31.08.1966 – V C 223.65, BVerwGE 25, 36[↩]
- BVerwG, Urteil vom 03.12 1965 – VII C 90.61, BVerwGE 23, 15[↩]
- BVerwG, Urteil vom 05.06.1968 – V C 147.67, BVerwGE 30, 24[↩]
- vgl. auch BFH, Beschluss in BFH/NV 1999, 1631, unter 1.[↩]
- vgl. BFH, Beschluss in BFH/NV 1999, 1631, unter 2.[↩]