Der behauptete Verstoß gegen den wesentlichen (klaren) Inhalt der Akten ist nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs als solcher kein Verfahrensmangel [1]. Er kann aber als Rüge verstanden werden, dass das Finanzgericht (FG) entgegen § 96 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 FGO nicht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung entschieden hat [2].

Nach § 96 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 FGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Das Gesamtergebnis des Verfahrens umfasst den gesamten durch das Klagebegehren begrenzten und durch die Sachaufklärung des Gerichts und die Mitverantwortung der Beteiligten konkretisierten Prozessstoff. Insbesondere verpflichtet § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO das Gericht, den Inhalt der ihm vorliegenden Akten vollständig und einwandfrei zu berücksichtigen [3]. Das Finanzgericht verstößt gegen den klaren Inhalt der Akten, wenn es seine Entscheidung maßgeblich auf eine (Zeugen-)Aussage, das schriftsätzliche oder zu Protokoll erklärte Vorbringen eines Beteiligten oder auf Unterlagen stützt, wobei weder die protokollierten Bekundungen des Zeugen bzw. des Beteiligten noch die in den Akten befindlichen Schriftsätze und sonstigen Unterlagen die durch das Finanzgericht gezogenen Schlussfolgerungen stützen [4].
Nach diesen Maßstäben lag in dem hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Nichtzulassungsrügeverfahren der gerügte Verstoß, das Finanzgericht habe bei seiner rechtlichen und tatsächlichen Würdigung des Streitfalls gegen den klaren Inhalt der Akten entschieden, nicht vor:
Das Finanzgericht hat das vom Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) zu Protokoll erklärte Beteiligtenvorbringen in seinem Urteil ausführlich gewürdigt. Es hat hieraus zwar nicht den von den Klägern für zutreffend gehaltenen Schluss gezogen, der Kläger habe den objektiven Tatbestand der Steuerhinterziehung nicht vorsätzlich verwirklicht. § 96 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 FGO verpflichtet das Gericht aber nicht, dem protokollierten Beteiligtenvortrag zu folgen.
Die Vorinstanz hat in ihrem Urteil im Einzelnen nachvollziehbar dargelegt, aus welchen Gründen sie das Vorbringen des Klägers, er habe nicht vorsätzlich gehandelt bzw. sei jedenfalls einem Irrtum über Tatumstände i.S. von § 16 StGB erlegen, als nicht glaubhafte Schutzbehauptung angesehen hat. Das Finanzgericht hat ‑anders als die Kläger meinen- die Tatsachen, aus denen es auf das Vorliegen des subjektiven Tatbestands einer Steuerhinterziehung geschlossen hat, auch nicht lediglich unterstellt. Es hat den Sachverhalt zwar anders als die Kläger gewürdigt. Dies stellt aber keinen Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten dar. Denn das Finanzgericht konnte seine Würdigung ‑wie geschehen- in vertretbarer Weise auf das zu Protokoll erklärte Vorbringen des Klägers und weitere sich bei den Akten befindliche Unterlagen stützen.
Das Finanzgericht hat die Vorsatzfrage entgegen dem Vortrag der Kläger in der Beschwerdebegründung auch „nicht rückwirkend aus heutiger Sicht – ex post“ beurteilt. Es hat aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens vielmehr die Überzeugung gewonnen, der Kläger habe bei der Abgabe der Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre (2009 bis 2011) jeweils einen mindestens bedingten Hinterziehungsvorsatz bezüglich der objektiven Tatbestandsmerkmale der Steuerhinterziehung gehabt. Es hat insoweit darauf abgestellt, dass der Kläger in den Steuererklärungen für die Streitjahre ‑unstreitig- nicht offenbart hatte, dass er aus den von ihm erworbenen Optionen der X 16.000 € (2009), 87.557, 71 € (2010) und 25.000 € (2011) erhalten hatte.
Nach der Überzeugung des Finanzgericht hielt es der Kläger dabei zumindest für möglich, dass die Zahlungen steuerpflichtigen Arbeitslohn darstellten. Dies hat das Finanzgericht ‑neben anderen, im Urteil näher dargelegten Umständen- ohne Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten auch aus dem protokollierten Vortrag des Klägers in der mündlichen Verhandlung geschlossen. So hat der Kläger in seiner Befragung vor dem Finanzgericht selbst angegeben, ihm sei schon bei seinem Einstieg gesagt worden, er solle eine Umsatzbeteiligung erhalten, auf die er dann zunächst mehrere Jahre gewartet habe. Im Jahr 2008 sei dann einer der Geschäftsführer seiner Arbeitgeberin auf ihn zugekommen und habe ihm gesagt, dass „nun das Angebot vorbereitet sei und die Optionen vorbereitet seien“. Der Kläger hat vor dem Finanzgericht ‑persönlich befragt- weiter angegeben, ihm sei „zur Bemessung der Optionen … bewusst“ gewesen, dass er „belohnt werden sollte für erzielte Umsätze und in der Gesellschaft verbliebene Gewinne“. Das Finanzgericht hat unter Hinweis auf Entscheidungen des Bundesgerichtshofs [5] weiterhin angenommen, der Kläger habe durch die unstreitig unterlassene Angabe der ebenfalls unstreitigen Zahlungen in den Steuererklärungen für die Streitjahre billigend in Kauf genommen, dass die entsprechenden Einkommensteuern zu niedrig festgesetzt wurden und damit zumindest bedingt vorsätzlich gehandelt.
Soweit sich die Kläger (auch) gegen die diesbezügliche rechtliche Würdigung des Finanzgericht wenden, können sie die Zulassung der Revision nicht erreichen. Denn die Rüge der falschen Rechtsanwendung und tatsächlichen Würdigung des Streitfalls durch das Finanzgericht ist im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren ‑von im Streitfall nicht gegebenen Ausnahmefällen abgesehen- grundsätzlich unbeachtlich [6].
Bundesfinanzhof, Beschluss vom 26. November 2020 – VI B 29/20
- BFH, Beschluss vom 20.01.2016 – VI B 61/15, Rz 10[↩]
- BFH, Beschluss vom 08.05.2014 – X B 105/13, Rz 31, m.w.N.[↩]
- z.B. BFH, Beschlüsse vom 09.07.2012 – III B 66/11, Rz 18, m.w.N.; und vom 16.07.2019 – X B 114/18, Rz 21[↩]
- s. BFH, Beschluss vom 17.07.2019 – II B 30, 32–34, 38/18, BFHE 265, 5, BStBl II 2019, 620, Rz 12[↩]
- BGH, Beschluss vom 10.01.2019 – 1 StR 347/18, Rz 21; und vom 08.09.2011 – 1 StR 38/11, Rz 26[↩]
- BFH, Beschluss vom 11.05.2017 – VI B 105/16, Rz 14, m.w.N.[↩]