Billigkeitserlass – und die Rechtsprechungsänderung

Nach § 163 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) können Steuern niedriger festgesetzt werden und einzelne die Steuer erhöhende Besteuerungsgrundlagen unberücksichtigt bleiben, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falls aus sachlichen oder aus persönlichen Gründen unbillig wäre.

Billigkeitserlass – und die Rechtsprechungsänderung

Die nach § 163 AO zu treffende Billigkeitsentscheidung ist eine Ermessensentscheidung der Finanzbehörde i.S. des § 5 AO, die grundsätzlich nur eingeschränkter gerichtlicher Nachprüfung unterliegt (§ 102, § 121 FGO). Sie kann im finanzgerichtlichen Verfahren nur dahin geprüft werden, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde1.

Die Festsetzung einer Steuer ist aus sachlichen Gründen unbillig, wenn sie zwar dem Wortlaut des Gesetzes entspricht, aber den Wertungen des Gesetzes zuwiderläuft2. Das setzt voraus, dass der Gesetzgeber die Grundlagen für die Steuerfestsetzung anders als tatsächlich geschehen geregelt hätte, wenn er die zu beurteilende Frage als regelungsbedürftig erkannt hätte3.

Für einen über § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO hinausgehenden Vertrauensschutz im Fall einer Änderung der Rechtsprechung besteht allerdings im Allgemeinen zumindest dann keine Notwendigkeit, wenn die vom Steuerpflichtigen erstrebten Rechtsfolgen aus anderen Gründen nicht eingetreten wären.

Zudem sind Verwaltungsanweisungen, zu denen auch dort getroffene Übergangsregelungen gehören, nicht wie Gesetze auslegungsfähig, sondern im Allgemeinen entsprechend dem Verständnis der Finanzverwaltung anzuwenden4.

Weiterlesen:
Erlass von Säumniszuschlägen im Billigkeitsverfahren

Bundesfinanzhof, Urteil vom 2. Dezember 2015 – V R 12/14

  1. ständige Rechtsprechung, vgl. Beschluss des Gemeinsamen Bundesfinanzhofs der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19.10.1971 GmS-OGB 3/70, BFHE 105, 101, BStBl II 1972, 603; BFH, Urteile vom 26.10.1994 – X R 104/92, BFHE 176, 3, BStBl II 1995, 297; vom 10.10.2001 – XI R 52/00, BFHE 196, 572, BStBl II 2002, 201; vom 07.10.2010 – V R 17/09, BFH/NV 2011, 865; vom 06.09.2011 – VIII R 55/10, BFH/NV 2012, 269[]
  2. vgl. BFH, Urteile vom 11.07.1996 – V R 18/95, BFHE 180, 524, BStBl II 1997, 259; vom 18.12 2007 – VI R 13/05, BFH/NV 2008, 794; in BFH/NV 2011, 865[]
  3. vgl. BFH, Beschluss vom 12.09.2007 – X B 18/03, BFH/NV 2008, 102, m.w.N.[]
  4. vgl. z.B. BFH, Urteil vom 13.01.2011 – V R 43/09, BFHE 233, 58, BStBl II 2011, 610 zur „Vertretbarkeit“ der von einer Finanzbehörde vorgenommenen Auslegung einer von der Finanzverwaltung getroffenen Übergangsregelung[]