Das Strafurteil – und die Beweisaufnahme im finanzgerichtlichen Verfahren

Es ist grundsätzlich zulässig, die in strafrechtlichen Ermittlungen oder in einem Strafurteil getroffenen Feststellungen im finanzgerichtlichen Verfahren zu verwerten, es sei denn, die Beteiligten erheben gegen die Feststellungen substantiierte Einwendungen und stellen entsprechende Beweisanträge, die das Finanzgericht nicht nach den allgemeinen für die Beweiserhebung geltenden Grundsätzen unbeachtet lassen kann.

Das Strafurteil – und die Beweisaufnahme im finanzgerichtlichen Verfahren

Nach § 81 Abs. 1 Satz 1 FGO hat das Gericht den Beweis in der mündlichen Verhandlung zu erheben. Dies bedeutet neben dem (formellen) Erfordernis eigener Anschauung durch die Richter des Spruchkörpers, dass diese die für die Entscheidung notwendigen Tatsachen im weitestmöglichen Umfang aus der Quelle selbst schöpfen müssen, d.h. bei mehreren in Betracht kommenden Beweismitteln die Beweisaufnahme mit demjenigen durchzuführen haben, das ihnen den „unmittelbarsten“ Eindruck von dem streitigen Sachverhalt vermittelt1. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ist es jedoch auch grundsätzlich zulässig, die in strafrechtlichen Ermittlungen oder in einem Strafurteil getroffenen Feststellungen im finanzgerichtlichen Verfahren zu verwerten, es sei denn, die Beteiligten erheben gegen die Feststellungen substantiierte Einwendungen und stellen entsprechende Beweisanträge, die das Finanzgericht nicht nach den allgemeinen für die Beweiserhebung geltenden Grundsätzen unbeachtet lassen kann2.

Danach konnte das Finanzgericht im vorliegenden Verfahren von der richtigen Übertragung der Daten der Excel-Tabellen, die als Beweismittel im steuerstrafrechtlichen Ermittlungsbericht der Steuerfahndungsstelle des Finanzamtes für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung D vom 30.04.2018 aufgeführt waren, in die -den Beteiligten bekannten- Berichte der Betriebsprüfung und Steuerfahndung ausgehen. Nach den Feststellungen des Finanzgericht befanden sich im November 2016 auf der Festplatte des PC der B GmbH, die im strafrechtlichen Verfahren gegen den Kläger bei der Durchsuchung der Geschäftsräume der B GmbH gespiegelt wurde, Daten über Fahrzeugankäufe und Fahrzeugverkäufe der Jahre 2011 bis 2016. Dass die Daten als solche jedenfalls in elektronischer Form auf dem PC der B GmbH vorhanden und für das steuerrechtliche und steuerstrafrechtliche Verfahren gespiegelt und übertragungsfehlerfrei in die Berichte der Betriebsprüfung und Steuerfahndung übernommen worden waren, hat der Kläger nicht in Abrede gestellt. Sein Prozessbevollmächtigter hat insofern mit Schriftsatz vom 17.02.2022 auch lediglich die Übersendung eines Ausdrucks der ursprünglichen Excel-Datei in unbearbeiteter Form verlangt, was nach dem Schreiben des Finanzgericht vom 21.02.2022 mangels Ausdrucks der Dateien, die dem Finanzamt in elektronischer Form vorlagen, nicht erfolgte.

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Im Übrigen hat der Kläger im vorliegenden Fall sein Recht auf Rüge der Verletzung des Grundsatzes der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme nach § 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 295 ZPO verloren. Ausweislich des insoweit maßgeblichen Sitzungsprotokolls (§ 94 FGO i.V.m. §§ 160 Abs. 4, 164 ZPO) hat der rechtskundig vertretene Kläger eine Verletzung dieses Grundsatzes in der mündlichen Verhandlung nicht konkret gerügt, sondern einen Klageantrag gestellt3.

Nach § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO hat das Finanzgericht den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen und gemäß § 81 Abs. 1 Satz 2 FGO die erforderlichen Beweise zu erheben. Dabei hat es den entscheidungserheblichen Sachverhalt so vollständig wie möglich und bis zur Grenze des Zumutbaren, d.h. unter Ausnutzung aller verfügbaren Beweismittel aufzuklären. Von den Verfahrensbeteiligten angebotene Beweise muss das Finanzgericht grundsätzlich erheben, wenn es einen Verfahrensmangel vermeiden will. Auf die beantragte Beweiserhebung kann es im Regelfall nur verzichten, wenn das Beweismittel für die zu treffende Entscheidung unerheblich ist, wenn die in Frage stehende Tatsache zugunsten des Beweisführenden als wahr unterstellt werden kann, wenn das Beweismittel unerreichbar, unzulässig oder absolut untauglich ist. Ferner ist das Finanzgericht nicht verpflichtet, unsubstantiierten Beweisanträgen nachzugehen4.

Die Voraussetzungen, unter denen von der Erhebung eines angebotenen Beweises abgesehen werden kann, lagen im Streitfall vor. Danach war der von dem Kläger benannte Zeuge L, der nach Angaben des Klägers bei seinem Steuerberater als Buchhalter beschäftigt war, „zur Frage der Excel-Tabelle“ (ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht) oder „für die Funktion der Excel-Tabelle“ (ausweislich des Urteils) nicht zu vernehmen.

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Das Finanzgericht hat von der Vernehmung des Zeugen L abgesehen. Es sah diesen zum einen bezogen auf den Inhalt der Excel-Tabellen als untaugliches Beweismittel an, weil der Zeuge L weder nach dem Vorbringen des Klägers oder nach der Aussage des Zeugen A mit den Excel-Tabellen gearbeitet noch aus eigener Anschauung den Inhalt der Excel-Tabellen zur Kenntnis genommen hatte. Zum anderen hat das Finanzgericht die Vernehmung des Zeugen L abgelehnt, weil der Antrag allein darauf abgezielt habe, auszuforschen, ob der Zeuge L überhaupt etwas zu den Excel-Tabellen sagen könne. Dies ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

Es kann dahingestellt bleiben, ob der Zeuge L als absolut untaugliches Beweismittel anzusehen ist. Als Zeuge vom Hörensagen könnte er ggf. Indizien bezeugen, denen nicht von vornherein jede Bedeutung für die Beweiswürdigung abgesprochen werden kann5. Das Absehen von der Ladung eines Zeugen vom Hörensagen würde jedoch nur dann gegen die Pflicht zur Sachaufklärung verstoßen, wenn der Kläger einen substantiierten Beweisantrag auf Vernehmung des Zeugen gestellt hätte6. Der Beweisantrag des Klägers war jedoch unsubstantiiert.

Ein Beweisantrag ist insbesondere dann unsubstantiiert, wenn er lediglich auf eine weitere Ermittlung oder Ausforschung abzielt und nicht erkennen lässt, welche entscheidungserheblichen Tatsachen bezeugt werden sollen, oder die unter Beweis gestellten Tatsachen so ungenau bezeichnet, dass ihre Erheblichkeit nicht beurteilt werden kann, oder so unbestimmt ist, dass im Grunde erst die Beweiserhebung selbst die entscheidungserheblichen Tatsachen und Behauptungen aufdecken kann. Ein substantiierter Beweisantrag setzt voraus, dass das Beweisthema und das voraussichtliche Ergebnis der Beweisaufnahme in Bezug auf einzelne konkrete Tatsachen genau angegeben werden7.

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Aus dem Antrag, den Zeugen L „zur Frage der Excel-Tabelle“ oder „für die Funktion der Excel-Tabelle“ zu vernehmen, lassen sich keine Tatsachen entnehmen, zu denen das Finanzgericht den Zeugen L vernehmen sollte. Es ergeben sich daraus keinerlei Anhaltspunkte, ob der Zeuge L überhaupt jemals die Möglichkeit hatte, von der Existenz oder gar dem Inhalt der Excel-Tabellen Kenntnis zu nehmen. Zudem lässt sich aus dem Antrag auch auf kein konkretes Beweisthema schließen.

Bundesfinanzhof, Beschluss vom 5. April 2023 – V R 5/22

  1. BFH, Beschluss vom 05.08.2022 – VI B 65/21, BFH/NV 2022, 1185, Rz 4[]
  2. BFH, Beschluss vom 19.01.2012 – VII B 88/11, BFH/NV 2012, 761, Rz 8[]
  3. vgl. BFH, Beschluss vom 23.10.2019 – IX B 54/19, BFH/NV 2020, 219, Rz 16[]
  4. BFH, Beschluss vom 06.08.2014 – VI B 38/14, BFH/NV 2014, 1904, Rz 9[]
  5. BFH, Beschluss vom 13.07.2004 – II B 42/03, BFH/NV 2004, 1543, unter II.[]
  6. BFH, Beschluss in BFH/NV 2004, 1543, unter II.[]
  7. BFH, Beschluss vom 20.09.2022 – VIII B 82/21, BFH/NV 2022, 1295, Rz 13 f.[]