Das überlange PKH-Verfahren

Ein PKH-Verfahren, das gleichzeitig neben einem rechtshängigen Hauptsacheverfahren geführt wird, ist entschädigungsrechtlich kein eigenständiges Gerichtsverfahren i.S. von § 198 Abs. 6 Nr. 1 Halbsatz 1 GVG. Dessen Bearbeitung ist dann als verfahrensfördernde Maßnahme des Hauptsacheverfahrens anzusehen, wenn es sich um eine solche handelt, die erkennbar eine verfahrensbeendende Zielrichtung hat.

Das überlange PKH-Verfahren

Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt (§ 198 Abs. 1 Satz 1 GVG). 

Nach den hierzu vom Bundesfinanzhof entwickelten und in ständiger Rechtsprechung vertretenen Rechtsgrundsätzen ist bei einem finanzgerichtlichen Klageverfahren, das im Vergleich zu dem typischen in dieser Gerichtsbarkeit zu bearbeitenden Verfahren keine wesentlichen Besonderheiten aufweist, zu vermuten, dass die Dauer des Verfahrens i.S. von § 198 Abs. 1 GVG noch angemessen ist, wenn das Gericht gut zwei Jahre nach dem Eingang der Klage mit Maßnahmen beginnt, die das Verfahren einer Entscheidung zuführen sollen, und die damit begonnene letzte Phase des Verfahrenslaufs nicht durch nennenswerte Zeiträume unterbrochen wird, in denen das Gericht die Akte unbearbeitet lässt. Dies gilt allerdings nicht, wenn der Verfahrensbeteiligte rechtzeitig und in nachvollziehbarer Weise auf Umstände hinweist, aus denen eine besondere Eilbedürftigkeit des Verfahrens folgt1.

Ein PKH-Verfahren, das gleichzeitig neben einem rechtshängigen Hauptsacheverfahren geführt wird, ist nach der zutreffenden Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht geeignet, weitere -eigenständige- Entschädigungsansprüche auszulösen. Dies beruht auf der Legaldefinition des § 198 Abs. 6 Nr. 1 Halbsatz 1 GVG, wonach Gerichtsverfahren im entschädigungsrechtlichen Sinn jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss u.a. „einschließlich“ eines Verfahrens zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe ist2. Hiernach ist zwar ein isoliertes PKH-Verfahren ein entschädigungsrechtlich relevantes -eigenständiges- Gerichtsverfahren3, nicht aber ein gleichzeitig neben dem bereits anhängigen Hauptsacheverfahren geführtes PKH-Verfahren. Es handelt sich vielmehr um einen unselbständigen Bestandteil (Annex) des Hauptsacheverfahrens, dessen verzögerte Bearbeitung keine Mehrfachentschädigung begründen kann4.

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Aus diesen Rechtsgrundsätzen folgt zum einen, dass Verzögerungen im Verfahren um die PKH-Bewilligung während der Dauer eines gleichzeitig rechtshängig gewordenen Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen sein können, wenn ein Gericht wegen eines solchen Nebenverfahrens die Hauptsache nicht so zügig bearbeitet wie dies ggf. erforderlich wäre5. Zum anderen ist die Bearbeitung eines PKH-Verfahrens dann als verfahrensfördernde Maßnahme des Hauptsacheverfahrens anzusehen, wenn es sich um eine solche handelt, die erkennbar eine verfahrensbeendende Zielrichtung hat. Dies ist hier nicht der Fall. Die gerichtliche Bitte vom 27.11.2019 betraf lediglich die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers, deren Überprüfung ausschließlich Gegenstand eines PKH-Bewilligungsverfahrens ist.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 23. März 2022 – X K 6/20

  1. vgl. statt vieler BFH, Urteil vom 08.10.2019 – X K 1/19, BFH/NV 2020, 98, Rz 27 ff., m.w.N.[]
  2. BSG, Entscheidungen vom 07.09.2017 – B 10 ÜG 3/16 R, SozR 4-1720 § 198 Nr 14, Rz 30, sowie vom 18.02.2021 – B 10 ÜG 8/20 B Rz 6[]
  3. vgl. hierzu bereits BFH, Urteile vom 20.03.2019 – X K 4/18, BFHE 263, 498, BStBl II 2020, 16, Rz 30 f., sowie vom 14.04.2021 – X K 3/20, BFH/NV 2021, 1507, Rz 25[]
  4. ebenso Zöller/Lückemann, ZPO, 34. Aufl., § 198 GVG Rz 12, m.w.N.[]
  5. zutreffend BSG, Entscheidungen in SozR 4-1720 § 198 Nr 14, Rz 29, sowie vom 18.02.2021 – B 10 ÜG 8/20 B Rz 6[]
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