Das Finanzgericht – und die Ermittlung ausländischen Rechts

Es ist Aufgabe des Finanzgericht als Tatsacheninstanz, das maßgebende ausländische Recht gemäß § 155 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung i.V.m. § 293 der Zivilprozessordnung von Amts wegen zu ermitteln. Wie das Finanzgericht das ausländische Recht ermittelt, steht in seinem pflichtgemäßen Ermessen. Die Feststellungen zu Bestehen und Inhalt des ausländischen Rechts sind für das Revisionsgericht grundsätzlich bindend. Fehlen jedoch die erforderlichen Feststellungen zum maßgeblichen ausländischen Recht, liegt ein materieller Mangel vor.

Das Finanzgericht – und die Ermittlung ausländischen Rechts

Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung ist es Aufgabe des Finanzgericht als Tatsacheninstanz, das maßgebende ausländische Recht gemäß § 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 293 ZPO von Amts wegen zu ermitteln. Wie es dies tut, steht in seinem pflichtgemäßen Ermessen. Die Anforderungen an Umfang und Intensität der Ermittlungspflicht des Tatrichters lassen sich nur in sehr eingeschränktem Maße generell-abstrakt bestimmen. Jedenfalls sind an die Ermittlungspflicht umso höhere Anforderungen zu stellen, je komplexer oder je fremder das anzuwendende Recht im Vergleich zum eigenen ist. Gleiches gilt, wenn die Beteiligten zur ausländischen Rechtspraxis detailliert und kontrovers vortragen. Der Umstand, dass das ausländische Recht gegebenenfalls sehr komplex ist, kann das Finanzgericht von dieser Ermittlungspflicht nicht entbinden1.

Eine Revision kann nicht darauf gestützt werden, dass die Vorentscheidung auf einer fehlerhaften Anwendung ausländischen Rechts beruhe; denn ausländisches Recht gehört nicht zum „Bundesrecht“ im Sinne des § 118 Abs. 1 FGO. Vielmehr sind die Feststellungen über das Bestehen und den Inhalt ausländischen Rechts für das Revisionsgericht grundsätzlich bindend (§ 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 560 ZPO). Sie sind revisionsrechtlich wie Tatsachenfeststellungen zu behandeln2, auch wenn die ausländischen Rechtssätze dadurch nicht selbst zu Tatsachen werden und eine Entscheidung nach den Grundsätzen der Feststellungslast in diesem Bereich daher nicht möglich ist3.

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Die revisionsrechtliche Bindungswirkung entfällt allerdings, soweit die erforderlichen Feststellungen zum maßgeblichen ausländischen Recht fehlen oder auf einem nur kursorischen Überblick über die zu behandelnde Materie beruhen. In diesem Fall liegt ein materieller Mangel der Vorentscheidung vor4.

Unter Berücksichtigung dieser Rechtsgrundsätze liegt im Streitfall ein materieller Mangel vor; denn es fehlen jegliche Feststellungen zum maßgeblichen niederländischen Recht. Solche Feststellungen wären aber schon deswegen geboten gewesen, weil die Rechtsfiguren des allgemeinen „Heffingskorting“, des „Arbeitskorting“ und des „einkommensabhängigen Kombinationskorting“ dem deutschen Einkommensteuerrecht fremd sind.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 24. Mai 2023 – X R 28/21

  1. s. im Einzelnen BFH, Urteil vom 22.03.2018 – X R 5/16, BFHE 261, 132, BStBl II 2018, 651, Rz 22 ff. und BFH, Urteil vom 19.10.2021 – VII R 7/18, BFHE 276, 189, Rz 63 ff., jeweils m.w.N.[]
  2. z.B. BFH, Urteile vom 19.10.2021 – VII R 7/18, BFHE 276, 189, Rz 63; und vom 19.01.2017 – IV R 50/14, BFHE 257, 35, BStBl II 2017, 456, Rz 61[]
  3. BFH, Urteil vom 22.03.2018 – X R 5/16, BFHE 261, 132, BStBl II 2018, 651, Rz 23 und BFH, Urteil vom 25.06.2021 – II R 13/19, BFHE 275, 231, BStBl II 2022, 481, Rz 22, jeweils m.w.N.[]
  4. z.B. BFH, Urteile vom 20.04.2021 – IV R 3/20, BFHE 273, 119, Rz 50; und vom 19.01.2017 – IV R 50/14, BFHE 257, 35, BStBl II 2017, 456, Rz 61[]
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