Die Vorschriften des Saarvertrags zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung sind seit dessen Außerkrafttreten am 5. Juli 1959 nicht mehr anwendbar. Die Verwaltungsanweisungen, durch die ihre weitere Anwendung angeordnet wurde, sind für die Gerichte nicht verbindlich und begründen keinen Vertrauensschutz zugunsten der Steuerpflichtigen.

Die Vorschriften des SaarVtr zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung stehen einer deutschen Erbschaftsbesteuerung nicht entgegen.
Diese Vorschriften (Art. 19 i.V.m. Anlage 4 SaarVtr) waren Bestandteil der in Kapitel II 1. Abschn. SaarVtr enthaltenen Regelungen über die während der Übergangszeit (Art. 1 Abs. 2 SaarVtr) bestehende Zoll- und Währungsunion zwischen dem Saarland und Frankreich und galten nach Art. 3 Satz 2 SaarVtr nur während dieser Übergangszeit. Die Übergangszeit endete mit Ablauf des 5. Juli 1959, 24 Uhr1.
Die Verwaltungserlasse, durch die die Finanzverwaltung angeordnet hat, die Vorschriften des SaarVtr zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Erbschaftsteuer über den gesetzlich angeordneten Zeitpunkt ihres Außerkrafttretens hinaus anzuwenden, haben keine Rechtsnormqualität und sind daher für die Gerichte nicht verbindlich2. Die Erlasse sind darauf gerichtet, ohne gesetzliche Grundlage für bestimmte, auf das Saarland bezogene Sachverhalte Ausnahmen von der durch das ErbStG vorgeschriebenen Besteuerung zuzulassen, und verstoßen dadurch gegen die Pflicht der Finanzbehörden, die Steuer nach Maßgabe der Gesetze gleichmäßig festzusetzen und zu erheben (Art. 3 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3 GG, § 85 Satz 1 AO). Jede (partielle) Nichtfestsetzung gesetzlich entstandener Steuern muss durch Gesetz besonders zugelassen sein3 und kann daher nicht durch bloße Verwaltungserlasse angeordnet werden.
Eine die Gerichte bindende Wirkung der Verwaltungserlasse könnte wegen deren Unvereinbarkeit mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine den Gesetzen entsprechende, gleichmäßige Besteuerung sowie mit § 85 Satz 1 AO auch nicht angenommen werden, wenn die Vorschriften des Art. 19 i.V.m. Anlage 4 SaarVtr abweichend von der dem angefochtenen Steuerbescheid zugrunde liegenden Ansicht bei Sachverhalten der vorliegenden Art bei der Besteuerung anderer Steuerpflichtiger zu deren Gunsten angewandt worden sein sollten. Eine Selbstbindung der Verwaltung, wie sie etwa durch eine allgemeine Verwaltungsanweisung entstehen kann, kann außerhalb eines konkreten Rechtsverhältnisses nur in Betracht kommen, soweit die Verwaltung nach der Rechtsordnung Entscheidungsfreiheit für den Einzelfall oder für Gruppen von Einzelfällen hat4. Eine solche Entscheidungsfreiheit steht der Finanzverwaltung bei der Festsetzung von Erbschaftsteuer nach dem ErbStG nicht zu.
Im Übrigen vermittelt Art. 3 Abs. 1 GG keinen Anspruch auf Anwendung einer rechtswidrigen Verwaltungspraxis und gebietet keine „Gleichheit im Unrecht“5.
Etwas anderes ergibt sich nach Ansicht des Bundesfinanzhofs auch nicht aus dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes.
Die Verdrängung gesetzten Rechts durch den Grundsatz von Treu und Glauben kann nur in besonders liegenden Fällen in Betracht kommen, in denen das Vertrauen des Steuerpflichtigen in ein bestimmtes Verhalten der Verwaltung nach allgemeinem Rechtsgefühl in einem so hohen Maße schutzwürdig ist, dass demgegenüber die Grundsätze der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung zurücktreten müssen. In diesem Zusammenhang verlangt der Grundsatz von Treu und Glauben einen Vertrauenstatbestand, aufgrund dessen der Steuerpflichtige disponiert hat. Der Vertrauenstatbestand besteht in einer bestimmten Position oder einem bestimmten Verhalten des einen Teils, aufgrund dessen der andere bei objektiver Beurteilung annehmen konnte, jener werde an seiner Position oder seinem Verhalten konsequent und auf Dauer festhalten. Die Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben setzt nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs regelmäßig voraus, dass sich der Steuerpflichtige und die Verwaltungsbehörde als Partner eines konkreten Rechtsverhältnisses (§§ 33 ff. AO) gegenüberstehen6.
Das Abkommen vom 12. Oktober 2006 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik zur Vermeidung der Doppelbesteuerung der Nachlässe, Erbschaften und Schenkungen7 ist im vorliegenden Fall nicht anwendbar. Es findet nach seinem Art. 19 Abs. 2 Satz 2 Anwendung auf die Nachlässe von Personen, die am oder nach dem Tag des Inkrafttretens des Abkommens sterben, und auf Schenkungen, die am oder nach dem Tag des Inkrafttretens des Abkommens ausgeführt werden.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 4. Juli 2012 – II R 38/10
- vgl. den durch Bekanntmachung vom 30. Juni 1959 veröffentlichten Briefwechsel vom 25. Juni 1959, BGBl I 1959, 401[↩]
- vgl. z.B. BFH, Urteile vom 13.01.2011 – V R 12/08, BFHE 232, 261, BStBl II 2012, 61, unter II.4.c; und vom 07.06.2011 – V R 21/10, BFHE 234, 531, BFH/NV 2012, 143, unter II.1.g dd[↩]
- Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 85 AO Rz 32[↩]
- vgl. z.B. BFH, Urteil vom 13.05.1987 – VII R 37/84, BFHE 150, 108, BStBl II 1987, 606, unter 3.; zur grundsätzlichen Verbindlichkeit von Schätzungsrichtlinien der Verwaltung vgl. BFH, Urteil vom 22.07.2010 – IV R 30/08, BFHE 230, 397, BStBl II 2011, 210 Rz 28[↩]
- BFH, Urteil vom 11.01.2006 – II R 12/04, BStBl II 2006, 615, m.w.N.; BFH, Beschlüsse vom 13.02.2007 – II B 32/06, BFH/NV 2007, 966; und vom 26.09.2007 – V B 8/06, BFHE 219, 245, BStBl II 2008, 405, unter II.2.d[↩]
- BFH, Urteile vom 07.10.2010 – V R 17/09, BFH/NV 2011, 865;; und vom 13.12.2011 – II R 26/10, BFH/NV 2012, 537, unter II.2.a aa[↩]
- BGBl II 2007, 1402[↩]