Die Veräußerung einer B.V.-Beteiligung – und ihre Besteuerung in Zuzugsfällen

Der bis zum Zeitpunkt der Begründung der unbeschränkten Steuerpflicht nach § 1 Abs. 1 EStG entstandene Vermögenszuwachs hat nicht i.S. von § 17 Abs. 2 Satz 3 EStG aufgrund gesetzlicher Bestimmungen des Wegzugsstaats im Wegzugsstaat einer der Steuer nach § 6 AStG vergleichbaren Steuer unterlegen, wenn dort keine Steuer festgesetzt worden ist.

Die Veräußerung einer B.V.-Beteiligung – und ihre Besteuerung in Zuzugsfällen

Zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb gehört nach § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG auch der Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft, wenn der Veräußerer innerhalb der letzten fünf Jahre am Kapital der Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar zu mindestens 1 Prozent beteiligt war. Anteile an einer Kapitalgesellschaft sind Aktien, Anteile an einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung, Genussscheine oder ähnliche Beteiligungen und Anwartschaften auf solche Beteiligungen (§ 17 Abs. 1 Satz 3 EStG). Veräußerungsgewinn i.S. des § 17 Abs. 1 EStG ist der Betrag, um den der Veräußerungspreis nach Abzug der Veräußerungskosten die Anschaffungskosten übersteigt (§ 17 Abs. 2 Satz 1 EStG). Weist der Veräußerer nach, dass ihm die Anteile bereits im Zeitpunkt der Begründung der unbeschränkten Steuerpflicht nach § 1 Abs. 1 EStG zuzurechnen waren und dass der bis zu diesem Zeitpunkt entstandene Vermögenszuwachs aufgrund gesetzlicher Bestimmungen des Wegzugsstaats im Wegzugsstaat einer der Steuer nach § 6 AStG vergleichbaren Steuer unterlegen hat, tritt an die Stelle der Anschaffungskosten der Wert, den der Wegzugsstaat bei der Berechnung der der Steuer nach § 6 AStG vergleichbaren Steuer angesetzt hat, höchstens jedoch der gemeine Wert (§ 17 Abs. 2 Satz 3 EStG). § 17 Abs. 2 Satz 3 EStG ist in den Fällen des § 6 Abs. 3 AStG nicht anzuwenden (§ 17 Abs. 2 Satz 4 EStG).

Da im Rahmen des § 17 Abs. 2 Satz 1 EStG die tatsächlichen Anschaffungskosten zugrunde zu legen sind, wären ohne die Vorschrift des § 17 Abs. 2 Satz 3 EStG die im Wegzugsstaat entstandenen Wertzuwächse einer Beteiligung in jedem Fall ungemindert steuerlich zu erfassen, wenn ein Anteilsinhaber in die unbeschränkte Steuerpflicht in Deutschland eintritt, weil die Begründung einer unbeschränkten Steuerpflicht nicht dazu führt, dass an die Stelle der ursprünglichen Anschaffungskosten der Anteilswert im Zeitpunkt des Zuzugs nach Deutschland tritt1. Mit dem durch das Gesetz über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerrechtlicher Vorschriften (SEStEG) vom 07.12.20062 eingeführten § 17 Abs. 2 Satz 3 EStG wird daher -wenn dessen Voraussetzungen gegeben sind- in Abkehr von der vorgenannten Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs in den Fällen des Zuzugs eines Anteilsinhabers sichergestellt, dass bei der Ermittlung des Gewinns aus einer späteren Veräußerung von steuerverstrickten Anteilen nicht die ursprünglichen Anschaffungskosten, sondern der Wert, den der Wegzugsstaat einer § 6 AStG vergleichbaren Wegzugsbesteuerung unterworfen hat, berücksichtigt wird (sog. Wertverknüpfung, BT-Drs. 16/2710, S. 29). § 17 Abs. 2 Satz 3 EStG unterscheidet nicht danach, ob der Anteilsinhaber von einem Mitgliedstaat der Europäischen Union, des Europäischen Wirtschaftsraums oder einem Drittstaat nach Deutschland gezogen ist. Eine Bindung der deutschen Finanzbehörde an die Steuerfestsetzung im ausländischen Wegzugsstaat besteht nicht; die Finanzbehörde ist zur eigenständigen Prüfung berechtigt3.

Weiterlesen:
Schadensersatz wegen unterbliebener Beförderung

Im hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall hat das in der Vorinstanz tätige Finanzgericht Düsseldorf4 nach Ansicht des Bundesfinanzhofs zutreffend erkannt, dass die in Rede stehenden Anschaffungskosten in Höhe des vom Finanzgericht festgestellten Stammkapitals (18.000 €) und nicht mit einem Wert von 1.112.240 € anzusetzen sind:

Im Streitfall hat der unbeschränkt steuerpflichtige Veräußerer (§ 1 Abs. 1 Satz 1 EStG i.V.m. § 8 der Abgabenordnung) seinen im Privatvermögen gehaltenen Anteil in Höhe von 100 % an der B.V. als einer Kapitalgesellschaft nach niederländischem Recht im Jahr 2016 zum Preis von 1.419.956 € veräußert und damit den Tatbestand des § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG erfüllt. Die in Rede stehenden Anteile gehören zu den ähnlichen Beteiligungen i.S. des § 17 Abs. 1 Satz 3 EStG, weil sie Gesellschafterrechte verkörpern, wie sie nach deutschem Recht mit GmbH-Anteilen verbunden sind5.

Das Finanzgericht hat im Ergebnis zu Recht entschieden, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 17 Abs. 2 Satz 3 EStG für erhöhte Anschaffungskosten nicht gegeben sind.

Zwar hat das Finanzgericht festgestellt, dass die niederländische Regelung zur Wegzugsbesteuerung der deutschen Regelung des § 6 AStG vergleichbar ist. Hierbei handelt es sich um eine Feststellung zum Inhalt ausländischen Rechts, die aus revisionsrechtlicher Sicht wie eine Feststellung von Tatsachen zu behandeln ist6. Der BFH ist deshalb gemäß § 118 Abs. 2 FGO an eine solche Feststellung gebunden, wenn gegen sie keine zulässigen und begründeten Verfahrensrügen vorgebracht worden sind. Derartige Rügen hat der Veräußerer im Streitfall nicht erhoben, so dass im Revisionsverfahren von der Richtigkeit der vom Finanzgericht getroffenen Feststellungen zum niederländischen Steuerrecht auszugehen ist.

Weiterlesen:
Betriebsveräußerung durch Grenzpendler

Der bis zum Zeitpunkt der Begründung der unbeschränkten Steuerpflicht entstandene Wertzuwachs der Beteiligung hat in den Niederlanden aber nicht einer der Steuer nach § 6 AStG vergleichbaren Steuer unterlegen. Anders als das Finanzgericht und das Finanzamt meinen, spricht der Wortlaut „unterlegen“ im Ausgangspunkt gegen die Auslegung, dass die Steuer festgesetzt und tatsächlich bezahlt worden sein muss. Dieser Begriff ist nicht in dem Sinne eindeutig, dass der Gesetzestext es von vornherein ermöglicht, auf die dem Veräußerer gegenüber festgesetzte und von ihm entrichtete Steuer abzustellen. Denn der Gesetzgeber verwendet ihn z.B. in § 1 Abs. 3 Satz 2 EStG, in § 1 Abs. 1 des Erbschaftsteuergesetzes und in § 1 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes zweifelsfrei in dem Sinne, dass hiermit die nach dem Gesetz zu besteuernden („steuerbaren“) und nicht (nur) die tatsächlich besteuerten Vorgänge bezeichnet werden. Auch stellt er, wenn er die Anknüpfung des deutschen Rechts an die tatsächlich erfolgte ausländische Besteuerung zum Ausdruck bringen will, auf die „festgesetzte“, „gezahlte“ oder „erhobene“ ausländische Steuer ab (z.B. § 34c Abs. 1 Satz 1 EStG, § 10 Abs. 1 Satz 1 AStG in der bis 30.06.2021 gültigen Fassung, § 26 Abs. 1 KStG). Angesichts dessen schließt der Wortlaut „unterlegen“ nicht aus, dass es hier nicht auf die konkret festgesetzte und bezahlte, sondern auf die rechtlich vorgesehene ausländische Steuer ankommen soll7.

Weiterlesen:
Kein Kindergeld ohne inländischen Wohnsitz und ohne inländische Einkünfte

Da im Rahmen der Rechtsfolge des § 17 Abs. 2 Satz 3 EStG (Anknüpfung an den „Entstrickungswert“) jedoch maßgebend eine „Berechnung“ der der Steuer nach § 6 AStG vergleichbaren Steuer vorausgesetzt wird, tritt insoweit eine Konkretisierung des Tatbestandsmerkmals „einer […] Steuer unterlegen hat“ in dem Sinne ein, dass zumindest ein Steuerbescheid des Wegzugsstaats mit Berechnung und Festsetzung der Steuer ergangen sein muss. Dafür spricht auch, dass der Veräußerer nachweisen muss, dass der bis zum Zeitpunkt der Begründung der unbeschränkten Steuerpflicht entstandene Wertzuwachs einer entsprechenden Steuer unterlegen hat.

Daran fehlt es hier. Die niederländische Steuerbehörde hat zwar mit Schreiben vom 28.12.2015 den Wert der Anteile im Zeitpunkt des Wegzugs mit 1.112.240 € festgestellt; sie hat allerdings für den Anteilswertzuwachs in den Niederlanden weder Steuern berechnet noch festgesetzt. Einen „Aufschubbescheid“ hat sie nicht erlassen. Eine Gleichstellung des Schreibens vom 28.12.2015 mit einem niederländischen Steuerbescheid ist nicht möglich; dies käme einer bloßen Fiktion gleich. Der Wertzuwachs der Beteiligung hat daher in den Niederlanden keiner Steuer unterlegen.

Bestätigt wird dieses Ergebnis durch systematische und historische Erwägungen. Denn im Gleichklang mit § 17 Abs. 2 Satz 3 EStG sah der Referentenentwurf des SEStEG vom 21.04.2006 für die Verstrickung von Wirtschaftsgütern des Betriebsvermögens (§ 4 Abs. 1 Satz 5  2. Halbsatz EStG-E) in der Parallelvorschrift des § 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG-E vor, dass das Wirtschaftsgut mit dem Wert anzusetzen ist, mit dem es anlässlich der Überführung in dem Staat der ausländischen Betriebsstätte einer Besteuerung „unterlegen hat“ (höchstens jedoch mit dem gemeinen Wert). Dabei schwebte den Entwurfsverfassern eine rückwirkende Korrektur des Wertansatzes in den Fällen vor, in denen die ausländische Besteuerung des Verbringungsvorgangs aufgrund einer aufschiebenden Bedingung erst zu einem späteren Zeitpunkt erfolgt8. Dies deutet darauf hin, dass ein Step-up nur für den Fall der tatsächlichen Besteuerung der stillen Reserven im Ausland zugelassen werden sollte. Wären stille Reserven hingegen im Herkunftsstaat des Wirtschaftsguts nicht besteuert worden, hätte Deutschland dieses Steuersubstrat seinem Besteuerungszugriff unterworfen9. Dies gilt gleichermaßen für § 17 Abs. 2 Satz 3 EStG, da der Gesetzgeber mit dieser Norm dieselbe Wertverknüpfung herstellen wollte10.

Weiterlesen:
Sonderbetriebseinnahmen aus einer spanischen Kommanditgesellschaft

Im Unterschied dazu regelte § 6 Abs. 1 Nr. 5a EStG i.d.F. des SEStEG eine Zugangsbewertung der betrieblichen Wirtschaftsgüter mit dem gemeinen Wert. Dementsprechend berücksichtigte die Norm eine Schlussbesteuerung im abgebenden Staat unabhängig davon, zu welchem Zeitpunkt (und ob) dieser Staat von seinem Besteuerungsrecht Gebrauch macht11. Im Ausland gelegte stille Reserven wurden vom deutschen Besteuerungszugriff verschont12. Dies spricht dafür, beim konzeptionell anders ausgestalteten § 17 Abs. 2 Satz 3 EStG auf die tatsächlich durchgeführte Schlussbesteuerung abzustellen13.

Anders als der Veräußerer meint, steht dieses Auslegungsergebnis -wie auch das Finanzgericht zutreffend erkannt hat- im Einklang mit Art. 13 Abs. 5 und 6 DBA NLD 2012. Nach Art. 13 Abs. 5 DBA NLD 2012 können Gewinne aus der Veräußerung des in den Abs. 1 bis 4 nicht genannten Vermögens nur in dem Vertragsstaat besteuert werden, in dem der Veräußerer ansässig ist. Bei einer natürlichen Person, die in einem Vertragsstaat ansässig war und im anderen Vertragsstaat ansässig geworden ist, berührt Art. 13 Abs. 5 DBA NLD 2012 nicht das Recht des erstgenannten Staates, bei Anteilen, Gewinnobligationen, Kaufoptionen und Nutzungsrechten an Aktien sowie Gewinnobligationen einer Gesellschaft und Forderungen gegenüber einer Gesellschaft einen Vermögenszuwachs für den Zeitraum der Ansässigkeit dieser Person nach seinen innerstaatlichen Rechtsvorschriften zu besteuern (Art. 13 Abs. 6 Satz 1 DBA NLD 2012). In diesem Fall wird der im erstgenannten Staat besteuerte Vermögenszuwachs bei der Ermittlung des späteren Vermögenszuwachses durch den anderen Staat nicht in die Bemessungsgrundlage einbezogen (Art. 13 Abs. 6 Satz 2 DBA NLD 2012). Art. 13 Abs. 6 Satz 1 DBA NLD 2012 gewährt dem Wegzugsstaat -hier die Niederlande- zwar das Recht, den bis zum Wegzug entstandenen Wertzuwachs zu besteuern. Dieser hat die Möglichkeit, aber nicht die Verpflichtung, eine Besteuerung durchzuführen. Nur im Fall der Besteuerung durch den Wegzugsstaat ist Deutschland als Ansässigkeitsstaat daran gebunden und darf diesen Wertzuwachs gemäß Art. 13 Abs. 6 Satz 2 DBA NLD 2012 nicht erneut besteuern. Dies bedeutet im Umkehrschluss allerdings, dass Deutschland vollumfänglich besteuern darf, wenn es in den Niederlanden -wie im Streitfall- nicht zu einer Besteuerung gekommen ist14.

Weiterlesen:
Steuerfreistellung von Gewinnausschüttungen aufgrund eines DBA - und das europäische Unionsrecht

Bundesfinanzhof, Urteil vom 26. Oktober 2021 – IX R 13/20

  1. vgl. BFH, Urteile vom 30.03.1993 – VIII R 44/90, BFH/NV 1993, 597; vom 19.03.1996 – VIII R 15/94, BFHE 180, 146, BStBl II 1996, 312, unter II. 2.a[]
  2. BGBl I 2006, 2782[]
  3. vgl. Gosch in Kirchhof/Seer, EStG, 20. Aufl., § 17 Rz 81[]
  4. FG Düsseldorf, Urteil vom 01.07.2020 – 7 K 2991/19 E[]
  5. vgl. BFH, Urteile in BFHE 180, 146, BStBl II 1996, 312; vom 22.08.2006 – I R 6/06, BFHE 215, 103, BStBl II 2007, 163, jeweils zur B.V. niederländischen Rechts; vom 21.10.1999 – I R 43, 44/98, BFHE 190, 377, BStBl II 2000, 424[]
  6. vgl. BFH, Urteil vom 15.03.1995 – I R 14/94, BFHE 177, 263, BStBl II 1995, 502, 504[]
  7. so BFH, Urteil vom 09.07.2003 – I R 82/01, BFHE 202, 547, BStBl II 2004, 4, unter II. 3.a für § 8 Abs. 3 AStG in seiner damaligen Fassung[]
  8. Referentenentwurf des SEStEG vom 21.04.2006, unter II., Besonderer Teil, S. 7[]
  9. Ehlermann/Müller, Internationale Steuer-Rundschau -ISR- 2013, 47, 48[]
  10. BT-Drs. 16/2710, S. 29[]
  11. Ritzer in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG, 3. Aufl., Anh. 7 Rz 186[]
  12. Ehlermann/Müller, ISR 2013, 47, 48[]
  13. vgl. auch Rödder/Schumacher, DStR 2006, 1481, 1487[]
  14. vgl. Kaeser in Wassermeyer, MA Art. 13 Rz 167, zu Art. 13 Abs. 6 der deutschen Verhandlungsgrundlage für Doppelbesteuerungsabkommen im Bereich der Steuern vom Einkommen und Vermögen[]
Weiterlesen:
Das Standby-Zimmer eines Piloten als Wohnsitz im Inland

Bildnachweis: