Niederländische Einkünfte aus einer Tätigkeit als „Belastingadviseur“ sind nach dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen; und vom Vermögen sowie verschiedener sonstiger Steuern und zur Regelung anderer Fragen auf steuerlichem Gebiete vom 16.06.1959 -DBA-Niederlande 1959-1 in Deutschland steuerfrei.

Es ist hierbei unerheblich, ob es sich bei den Einkünften um solche aus Unternehmensgewinnen (Art. 5 DBA-Niederlande 1959) oder um solche aus selbständiger Arbeit (Art. 9 DBA-Niederlande 1959) handelt. In beiden Fällen stünde dem Königreich der Niederlande als Quellenstaat das alleinige Besteuerungsrecht zu (vgl. Art. 5 Abs. 1 und 9 Abs. 1 und 2 DBA-Niederlande 1959), während Deutschland die Einkünfte von der Bemessungsgrundlage unter Progressionsvorbehalt ausnimmt (vgl. Art.20 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 DBA-Niederlande 1959).
Gleichzeitig bejaht der Bundesfinanzhof den Tatbestand des § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG, nach dem bei Bezug von nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung steuerfreien Einkünften durch einen unbeschränkt Steuerpflichtigen ein besonderer Steuersatz auf das zu versteuernde Einkommen anzuwenden ist.
Es bleibt im Streitfall bei der Geltung des besonderen Steuersatzes, weil keiner der in § 32b Abs. 1 Satz 2 EStG aufgeführten Ausnahmetatbestände erfüllt ist.
Auch insoweit kann dahinstehen, ob die Einkünfte des Belastingadviseurs aus der Tätigkeit als Belastingadviseur als gewerblich oder freiberuflich zu qualifizieren sind2. Wären sie freiberuflicher Natur, so bliebe es bei der Geltung des Progressionsvorbehalts, weil solche von der enumerativen Aufzählung progressionsvorbehaltsschädlicher Einkünfte in § 32b Abs. 1 Satz 2 EStG von vornherein nicht erfasst sind.
Wären sie gewerblicher Natur, dann schlösse § 32b Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 EStG die Anwendung des besonderen Steuersatzes nur dann aus, wenn es sich um Einkünfte aus einer anderen als in einem Drittstaat belegenen gewerblichen Betriebsstätte, die nicht die Voraussetzungen des § 2a Abs. 2 Satz 1 EStG erfüllt, handelte. Diese zusätzlichen Voraussetzungen liegen im Streitfall jedoch nicht vor.
Dass der Belastingadviseur Gewinne -und nicht Verluste- aus seiner Tätigkeit erzielt hat, sperrt die Anwendung des § 32b Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 EStG nicht; der Ausnahmetatbestand erfasst positive wie negative Einkünfte. Dies folgt zunächst aus dem ohne weitere Differenzierung oder Einschränkung verwendeten Begriff der „Einkünfte“ sowohl im Grundtatbestand (§ 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG) als auch in der Rechtsfolgenbestimmung des Ausnahmetatbestands (§ 32b Abs. 1 Satz 2 EStG: „Satz 1 Nummer 3 gilt nicht für Einkünfte“). Der in den Gesetzesmaterialien deutlich zum Ausdruck gebrachte Wille des Gesetzgebers, den negativen und den positiven Progressionsvorbehalt bei bestimmten innerhalb der Mitgliedstaaten der EU verwirklichten Tatbeständen auszuschließen3, hat damit einen hinreichenden Niederschlag im Gesetzeswortlaut gefunden und ist bei der Auslegung der weiteren Tatbestandsmerkmale zu beachten.
Zwar hat der Belastingadviseur Einkünfte „aus einer anderen als in einem Drittstaat belegenen gewerblichen Betriebsstätte“ bezogen, weil das Königreich der Niederlande die sinngemäß anwendbare Drittstaatendefinition nicht erfüllt (§ 32b Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 2a Abs. 2a Satz 1 Nr. 1 EStG). Drittstaaten sind demnach solche Staaten, die nicht Mitglied der EU sind und die auch nicht zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) gehören.
Die Betriebsstätte des Belastingadviseurs ist aber keine solche, „die nicht die Voraussetzungen des § 2a Abs. 2 Satz 1 erfüllt“. Mit diesem Relativsatz hat der Gesetzgeber (nur) auf die in § 2a Abs. 2 Satz 1 EStG enthaltenen Aktivitätsanforderungen verwiesen4. Liegen diese nicht vor, handelt es sich also um eine EU/EWR-Betriebsstätte mit -positiven oder negativen- Einkünften aus passiver Tätigkeit, für die der Progressionsvorbehalt ausgeschlossen ist. Bei EU/EWR-Betriebsstätten mit -positiven oder negativen- Einkünften aus aktiver Tätigkeit i.S. des § 2a Abs. 2 Satz 1 EStG bleibt es hingegen bei der Anwendung des besonderen Steuersatzes. Dass die Tätigkeit des Belastingadviseurs als Belastingadviseur die Aktivitätsanforderungen („Bewirkung gewerblicher Leistungen“) erfüllt, steht im Streitfall außer Frage.
Dass der im Relativsatz des § 32b Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 EStG enthaltene Verweis auf die Voraussetzungen des § 2a Abs. 2 EStG nicht isoliert zu betrachten und wortwörtlich zu nehmen ist, folgt aus dem systematischen Zusammenhang der Regelungen und aus der Entstehungsgeschichte der Norm5.
Bei einem streng wortlautgetreuen Verständnis (allein) des Relativsatzes käme die darin enthaltene Negativvoraussetzung praktisch nie zum Tragen, die Regelung wäre schlicht überflüssig. Denn die erste der in § 32b Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 EStG genannten Voraussetzungen („aus einer anderen als in einem Drittstaat belegenen gewerblichen Betriebsstätte“) setzt positiv gewendet das Vorliegen einer EU/EWR-Betriebsstätte voraus. Eine EU/EWR-Betriebsstätte wird aber immer zugleich auch der zweiten -negativen- Voraussetzung des § 32b Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 EStG („die nicht die Voraussetzungen des § 2a Absatz 2 Satz 1 erfüllt“) unterfallen, weil EU/EWR-Betriebsstätten nicht als Drittlandsbetriebsstätten i.S. von § 2a Abs. 2 Satz 1 EStG qualifiziert werden können. Abgesehen davon, dass dem Gesetzgeber im Allgemeinen nicht zu unterstellen ist, „leerlaufende“ Regelungen treffen zu wollen, darf die Wortlautauslegung nicht auf den Relativsatz beschränkt werden. Diese muss vielmehr den Blick auf den gesamten Gesetzestatbestand richten: Mit der ersten in § 32b Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 EStG enthaltenen Voraussetzung, wonach es sich um eine Nicht-Drittstaatenbetriebsstätte handeln muss, wird der Belegenheitsaspekt der verschiedenen Betriebsstättenerfordernisse eigenständig geregelt und abschließend mit der ersten Voraussetzung beantwortet. Demgegenüber bezieht sich der im folgenden Relativsatz enthaltene Verweis auf § 2a Abs. 2 Satz 1 EStG nur noch auf die nicht belegenheitsbezogenen Eigenschaften der Betriebsstätte, also auf die Aktivitätsanforderungen.
Dass der im Relativsatz des § 32b Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 EStG enthaltene Verweis auf § 2a Abs. 2 Satz 1 EStG bei rein wortlautverhaftetem Verständnis zu keinen sinnhaften Ergebnissen führt, zeigt sich auch daran, dass dort stets das Vorliegen negativer Einkünfte vorausgesetzt wird. Diese Voraussetzung wird im „Gewinnfall“ (Steuerpflichtiger mit positiven Einkünften) von vornherein nicht erfüllt und würde zum „automatischen“ Wegfall des Progressionsvorbehalts bei EU/EWR-Betriebsstätten führen, während es für EU/EWR-Betriebsstätten mit negativen Einkünften -die weiteren Voraussetzungen des § 2a Abs. 2 Satz 1 EStG als gegeben unterstellt- bei der Anwendung des Progressionsvorbehalts bliebe. Dies widerspräche aber dem sich aus Wortlaut und Entstehungsgeschichte ergebenden Befund, dass es für die Geltung oder Nichtgeltung eines besonderen Steuersatzes nicht auf den Erfolg der wirtschaftlichen Betätigung ankommen soll. Der Gesetzgeber wollte aus gemeinschaftsrechtlichen Gründen negative und positive Einkünfte gleichbehandelt wissen6.
Durch die Anwendung des positiven Progressionsvorbehalts wird der Belastingadviseur nicht in seinen Grundfreiheiten beschränkt. Der Bundesfinanzhof verweist insoweit auf seinen Beschluss vom 19.07.2010 – I B 10/107. Die dort gemachten Ausführungen lassen sich auf die vom Belastingadviseur geltend gemachte Verletzung der Niederlassungsfreiheit bzw. Dienstleistungsfreiheit übertragen. Der Bundesfinanzhof erachtet diese Rechtslage für eindeutig. Einer Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union bedarf es deshalb nicht8.
Bundesfinanzhof, Beschluss vom 26. Januar 2017 – I R 66/15
- BGBl II 1960, 1782, BStBl I 1960, 382[↩]
- vgl. dazu Schmidt/Wacker, EStG, 35. Aufl., § 18 Rz 155 „Belastingadviseur“, m.w.N.[↩]
- BT-Drs. 16/10189, S. 46 und 53[↩]
- gleicher Auffassung Schmidt/Heinicke, a.a.O., § 32b Rz 34; Kuhn/Kühner in Herrmann/Heuer/Raupach, § 32b EStG Rz 129; Blümich/Wagner, § 32b EStG Rz 67; Egner/Quinten in Kanzler/Kraft/Bäuml, EStG, § 32b Rz 34; Schmidt/Heinz, IStR 2009, 43; Wittkowski/Lindscheid, IStR 2009, 225; Holthaus, DStZ 2009, 188; Gebhardt/Quilitzsch, IStR 2010, 390; FG Münster, Urteil vom 21.03.2014 – 4 K 2292/11 F, EFG 2014, 1003[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 18.03.2009 – I R 37/08, BFHE 225, 323, BStBl II 2011, 894, zu einer vergleichbaren Auslegungsfrage[↩]
- BT-Drs. 16/10189, S. 46 und 53; s.a. oben unter II. 3.b aa der Gründe dieses Beschlusses[↩]
- BFH/NV 2011, 17, m.w.N.[↩]
- z.B. EuGH, Urteil CILFIT vom 06.10.1982 – C-283/81, EU:C:1982:335[↩]