In Deutschland ansässige Unternehmen dürfen Verluste aus einer im EU-Ausland belegenen Niederlassung nicht steuermindernd mit im Inland erzielten Gewinnen verrechnen, wenn nach dem einschlägigen Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung für die ausländischen Einkünfte kein deutsches Besteuerungsrecht besteht. Das gilt nach Ansicht des Bundesfinanzhofs auch dann, wenn die Verluste im Ausland steuerrechtlich unter keinen Umständen verwertbar und damit endgültig sind (sog. „finale Verluste“). Dieser Ausschluss des Abzugs finaler ausländischer Betriebsstättenverluste verstößt auch nicht gegen das Recht der Europäischen Union.

Der auf einem DBA (hier: DBA-Großbritannien 1964/1970) beruhende Ausschluss der Berücksichtigung von Verlusten einer in einem anderen Mitgliedstaat belegenen Betriebsstätte (sog. Symmetriethese) verstößt auch im Hinblick auf endgültige („finale“) Verluste nicht gegen die unionsrechtliche Niederlassungsfreiheit1.
In dem aktuell vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall hatte eine in Deutschland ansässige Bank im Jahr 2004 in Großbritannien eine Zweigniederlassung eröffnet. Nachdem die Zweigniederlassung jedoch durchgehend nur Verluste erwirtschaftet hatte, wurde sie im Jahr 2007 wieder geschlossen. Da die Filiale niemals Gewinne erzielt hatte, konnte die Bank die in Großbritannien erlittenen Verluste dort steuerlich nicht nutzen.
Ursprünglich gingen sowohl der Unionsgerichtshof als auch der Bundesfinanzhof davon aus, dass aus Gründen der unionsrechtlichen Niederlassungsfreiheit ein Verlustabzug möglich ist, wenn und soweit der Steuerpflichtige nachweist, dass die Verluste im ausländischen Betriebsstättenstaat „final“ sind. Auf dieser Grundlage hatte das erstinstanzlich mit dem vorliegenden Fall befasste Hessische Finanzgericht noch der Bank Recht gegeben und den Verlustabzug zugelassen2.
Das EuGH, Urteil „Timac Agro Deutschland“ vom 17.12.20153 war dagegen vom Bundesfinanzhof in einer anderen Sache4 als Aufgabe dieser Rechtsprechung verstanden worden. Nachdem jedoch aufgrund weiterer Entscheidungen des Unionsgerichtshofs daran Zweifel aufgekommen waren, hatte der Bundesfinanzhof den Unionsgerichtshof erneut zur Klärung angerufen. Dieser hat daraufhin mit seinem Urteil „W“5 sein Urteil „Timac Agro Deutschland“ -und damit im Ergebnis die Aufgabe der früheren Rechtsprechung- bestätigt.
In Umsetzung dieser Entscheidung des Unionsgerichtshofs befand der Bundesfinanzhof nunmehr, dass die Verluste auch in Deutschland nicht nutzbar sind. Denn nach dem einschlägigen Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung unterliegen Betriebsstätteneinkünfte aus Großbritannien nicht der deutschen Besteuerung. Entscheidend ist dabei die sog. Symmetriethese, nach der die abkommensrechtliche Steuerfreistellung ausländischer Einkünfte sowohl positive als auch negative Einkünfte, also Verluste, umfasst. Vergleichbare Regelungen enthalten eine Vielzahl der von Deutschland abgeschlossenen Doppelbesteuerungsabkommen. Wie der Bundesfinanzhof auf der Grundlage der Entscheidung des Unionsgerichtshofs weiter entschied, verstößt dieser Ausschluss des Verlustabzugs auch im Hinblick auf sog. finale Verluste nicht gegen das Unionsrecht.
Die Bank hat Sitz und Ort ihrer Geschäftsleitung im Inland und ist hier deshalb gemäß § 1 Abs. 1 KStG mit ihren sämtlichen Einkünften unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig. Jedoch sind die der Bank durch die in Großbritannien gelegene Betriebsstätte entstandenen Verluste aufgrund des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung6 -DBA-Großbritannien 1964/1970- von der Bemessungsgrundlage der Körperschaftsteuer ausgenommen.
III Abs. 1 Satz 1 DBA-Großbritannien 1964/1970 bestimmt, dass gewerbliche Gewinne eines Unternehmens eines der Gebiete nur in diesem Gebiete besteuert werden, es sei denn, dass das Unternehmen in dem anderen Gebiet eine gewerbliche Tätigkeit durch eine dort gelegene Betriebstätte ausübt. Übt das Unternehmen durch eine Betriebstätte in dem anderen Gebiet eine gewerbliche Tätigkeit durch eine dort gelegene Betriebstätte aus, so können die Gewinne in dem anderen Gebiete besteuert werden, jedoch nur insoweit, als sie dieser Betriebstätte zugerechnet werden können (Art. III Abs. 1 Satz 2 DBA-Großbritannien 1964/1970). Nach Art. XVIII Abs. 2 Buchst. a Satz 1 DBA-Großbritannien 1964/1970 werden im Falle einer in Deutschland ansässigen Person von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer die Einkünfte aus Quellen innerhalb des Vereinigten Königreichs (Großbritannien) und die innerhalb Großbritanniens gelegenen Vermögensteile ausgenommen, die in Übereinstimmung mit diesem Abkommen in Großbritannien besteuert werden können, es sei denn, dass -was vorliegend allerdings nicht zum Tragen kommt- Art. XVIII Abs. 2 Buchst. b DBA-Großbritannien 1964/1970 gilt. Deutschland behält aber das Recht, die so ausgenommenen Einkünfte und Vermögensteile bei der Festsetzung des Steuersatzes zu berücksichtigen (Art. XVIII Abs. 2 Buchst. a Satz 2 DBA-Großbritannien 1964/1970).
Obwohl in Art. III Abs. 1 Satz 1 DBA-Großbritannien 1964/1970 ausdrücklich nur gewerbliche Gewinne erwähnt werden, sind nach Art. XVIII Abs. 2 Buchst. a Satz 1 DBA-Großbritannien 1964/1970 auch negative Einkünfte -so die im Streitfall in Rede stehenden Verluste- im Ansässigkeitsstaat des Steuerpflichtigen von der Bemessungsgrundlage der Körperschaftsteuer ausgenommen. Es entspricht ständiger Rechtsprechung7, dass auch dann, wenn sich der in einer abkommensrechtlichen Verteilungsnorm verwendete Einkünftebegriff auf einen Nettobetrag bezieht, Verluste ebenfalls aus der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer auszunehmen sind (sog. Symmetriethese).
Auch im Rahmen der Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags für den Erhebungszeitraum 2007 sind die der britischen Zweigniederlassung der Bank zuzuordnenden Verluste nicht zu berücksichtigen.
Gewerbeertrag ist gemäß § 7 Satz 1 des Gewerbesteuergesetzes in der für den Erhebungszeitraum 2007 geltenden Fassung (GewStG) der nach den Vorschriften des Einkommensteuergesetzes oder des Körperschaftsteuergesetzes zu ermittelnde Gewinn aus dem Gewerbebetrieb, der bei der Ermittlung des Einkommens für den dem Erhebungszeitraum (§ 14 GewStG) entsprechenden Veranlagungszeitraum zu berücksichtigen ist, vermehrt und vermindert um die in den §§ 8 und 9 GewStG bezeichneten Beträge.
Für die Bank als unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtiger AG, bei der gemäß § 8 Abs. 2 i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG alle Einkünfte als Einkünfte aus Gewerbebetrieb zu behandeln sind, ist Ausgangspunkt für die Ermittlung des Gewerbeertrags mithin der nach den Vorschriften des Körperschaftsteuergesetzes für das Jahr 2007 zu ermittelnde Gewinn. Einkünfte -auch solche negativer Art-, die nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA) von der Bemessungsgrundlage der Körperschaftsteuer auszunehmen sind, sind folglich von vornherein nicht Bestandteil des Gewerbeertrags i.S. von § 7 Satz 1 GewStG8.
Der Ausschluss der Verlustberücksichtigung bei der Körperschaft- und der Gewerbesteuer verstößt nicht gegen die unionsrechtliche Niederlassungsfreiheit (Art. 43 i.V.m. Art. 48 EG9, jetzt Art. 49 i.V.m. Art. 54 AEUV10).
Der gemäß Art. 267 AEUV für die Auslegung des Unionsrechts zuständige EuGH hat mit dem im Rahmen des vorliegenden Verfahrens ergangenen Urteil „W“11 entschieden, dass die Art. 49 und 54 AEUV dahin auszulegen sind, dass sie einer Steuerregelung eines Mitgliedstaats nicht entgegenstehen, nach der eine dort gebietsansässige Gesellschaft die endgültigen („finalen“) Verluste ihrer in einem anderen Mitgliedstaat belegenen Betriebsstätte von ihrem steuerpflichtigen Gewinn nicht abziehen kann, wenn der Ansässigkeitsmitgliedstaat aufgrund eines DBA auf seine Befugnis zur Besteuerung der Einkünfte dieser Betriebsstätte verzichtet hat. Nach Auffassung des EuGH ist im Fall der auf einem DBA beruhenden Freistellung der ausländischen Einkünfte im Sitzstaat wegen der fehlenden Besteuerungsbefugnis bei der Prüfung eines Verstoßes gegen die Niederlassungsfreiheit schon tatbestandlich eine Vergleichbarkeit mit der Behandlung reiner Inlandsfälle nicht gegeben.
Damit hat der EuGH sein Urteil „Timac Agro Deutschland“12 -und im Ergebnis auch das darauf basierende BFH-Urteil vom 22.02.201713- bestätigt. Die Auffassung des Hessischen Finanzgerichts, der zufolge die Grundsätze des EuGH-Urteils „Timac Agro Deutschland“14 mit dem später ergangenen EuGH-Urteil „Bevola und Jens W. Trock“ 15 aufgegeben worden seien, hat der EuGH dagegen nicht bestätigt. Der Unionsgerichtshof sieht für die Frage der Vergleichbarkeit der Verhältnisse einen maßgeblichen Unterschied darin, ob der „symmetrische“ Ausschluss der Berücksichtigung der gebietsfremden Betriebsstättengewinne und -verluste -wie im Streitfall und im Fall „Timac Agro Deutschland“- auf einer bilateralen Vereinbarung (DBA) mit dem Betriebsstättenstaat beruht oder ob der Ausschluss seine Grundlage -wie im Fall Bevola und Jens W. Trock- in einer (unilateralen) Entscheidung des nationalen Steuerrechts hat16.
Entgegen der Sichtweise der Bank handelt es sich bei der die Verlustberücksichtigung im Streitfall ausschließenden Symmetriethese -wie in dem Vorlagebeschluss des Bundesfinanzhofs in BFHE 269, 205, BStBl II 2021, 68 ausgeführt- um einen abkommensbasierten (bilateralen) und nicht um einen unilateralen Ausschluss des Verlustabzugs. Der Bundesfinanzhof führt die Symmetriethese in ständiger Rechtsprechung auf die Vereinbarung der Freistellungsmethode zurück. Da sich der Begriff der Betriebsstättengewinne auf einen Nettobetrag bezieht, sind auch Betriebsstättenverluste aus der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer auszunehmen17. So ordnet auch der im Streitfall anwendbare Art. XVIII Abs. 2 Buchst. a Satz 1 DBA-Großbritannien 1964/1970 an, dass im Falle einer in Deutschland ansässigen Person von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer die „Einkünfte“ aus Quellen innerhalb Großbritanniens ausgenommen werden, die in Übereinstimmung mit diesem Abkommen in Großbritannien besteuert werden können.
Anders als die Bank meint, beruht der Ausschluss des Verlustabzugs auch im Hinblick auf die Gewerbesteuer auf dem Abkommen und nicht auf einer Kürzung nach § 9 Nr. 3 GewStG. Wie oben ausgeführt, fallen die positiven wie negativen ausländischen Betriebsstätteneinkünfte im Fall der abkommensrechtlichen Freistellung bereits aufgrund des Verweises des § 7 Satz 1 GewStG auf die einkommen- bzw. körperschaftsteuerliche Gewinnermittlung nicht in die Bemessungsgrundlage der Gewerbesteuer, weshalb es insoweit nicht mehr zu einer Kürzung nach § 9 Nr. 3 GewStG kommt18.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 22. Februar 2023 – I R 35/22
- Anschluss an EuGH, Urteil W vom 22.09.2022 – C-538/20, EU:C:2022:717, DStR 2022, 1993; Bestätigung des Bundesfinanzhofs, Urteils vom 22.02.2017 – I R 2/15, BFHE 257, 120, BStBl II 2017, 709[↩]
- Hess. FG, Urteil vom 04.09.2018 – 4 K 385/17, EFG 2018, 1876[↩]
- BFH, Urteil „Timac Agro Deutschland“ vom 1712.2015 – C-388/14[↩]
- BFH, Urteil vom 22.02.2017 – I R 2/15[↩]
- EuGH, Urteil „W“ vom 22.09.2022 – C-538/20[↩]
- vom 26.11.1964, BGBl II 1966, 359, BStBl I 1966, 730, i.d.F. des Revisionsprotokolls vom 23.03.1970, BGBl II 1971, 46, BStBl I 1971, 140[↩]
- z.B. BFH, Urteil vom 28.03.1973 – I R 59/71, BFHE 109, 127, BStBl II 1973, 531; BFH, Beschlüsse vom 29.11.2006 – I R 45/05, BFHE 216, 149, BStBl II 2007, 398; vom 11.03.2008 – I R 116/04, BFH/NV 2008, 1161[↩]
- BFH, Urteil vom 09.06.2010 – I R 107/09, BFHE 230, 35[↩]
- Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft i.d.F. des Vertrags von Nizza zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union, der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften sowie einiger damit zusammenhängender Rechtsakte, ABl.EG 2002, Nr. C 325, 1[↩]
- Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union i.d.F. des Vertrags von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, ABl.EU 2008, Nr. C 115, 47[↩]
- EU:C:2022:717, DStR 2022, 1993[↩]
- EuGH, Urteil „Timac Agro Deutschland“ vom 17.12.2015 – C-388/14, EU:C:2015:829, BStBl II 2016, 362[↩]
- BFH, Urteil vom 22.02.2017 – I R 2/15, BFHE 257, 120, BStBl II 2017, 709[↩]
- EU:C:2015:829, BStBl II 2016, 362[↩]
- EuGH, Urteil Bevola und Jens W. Trock vom 12.06.2018 – C-650/16, EU:C:2018:424, DStR 2018, 1353[↩]
- zustimmend z.B. Ismer, DStR 2022, 1997; Mitschke, Internationales Steuerrecht -IStR- 2022, 771; Zwirner, Internationale Wirtschaftsbriefe 2022, 959; ablehnend z.B. Schnitger, IStR 2022, 769 f.; Wellmann/Kopec, Internationale Steuer-Rundschau 2022, 417, 419; Retzer/Bernhardt, Die Unternehmensbesteuerung 2022, 601[↩]
- z.B. BFH, Beschlüsse vom 11.03.1970 – I B 50/68, – I B 3/69, BFHE 98, 427, BStBl II 1970, 569; vom 28.06.2006 – I R 84/04, BFHE 214, 270, BStBl II 2006, 861, Rz 9 f.; in BFHE 216, 149, BStBl II 2007, 398; BFH, Urteil in BFHE 257, 120, BStBl II 2017, 709[↩]
- vgl. BFH, Urteil in BFHE 230, 35[↩]