Entfällt das Rechtsschutzinteresse auf Erteilung einer Freistellungsbescheinigung nach Maßgabe des Urteils des Bundesfinanzhofs vom 25.04.20181 für ein laufendes Verfahren, kann eine drohende Wiederholungsgefahr als Voraussetzung für eine Fortsetzungsfeststellungsklage nicht darauf gestützt werden, dass in einem neuen Verfahren auf Erteilung einer Freistellungsbescheinigung für andere Zeiträume erneut ein Wegfall des Rechtsschutzinteresses wegen eines langjährigen Prüfungsverfahrens drohe. Dies gilt jedenfalls dann, wenn in dem neuen Antragsverfahren eine andere Rechtslage gilt.

Eine Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO kann auch im Fall einer Verpflichtungsklage erhoben werden, und zwar selbst dann, wenn aufgrund eines erledigenden Ereignisses vor Klageerhebung dem Verpflichtungsbegehren nicht mehr entsprochen werden kann2. Erforderlich für die Zulässigkeit ist ein Feststellungsinteresse, das von der Rechtsprechung unter anderem bejaht wird, wenn eine hinreichend konkrete Wiederholungsgefahr vorliegt. Dabei muss ein konkreter Anlass für die Annahme bestehen, die Finanzbehörde werde die für rechtswidrig erachtete Maßnahme in absehbarer Zukunft in einem anderen Verwaltungsverfahren wiederholen3.
Im vorliegenden Fall hat das Finanzgericht Köln hat nach diesen Maßstäben geprüft, ob eine Wiederholungsgefahr besteht. Es hat hierzu den klägerischen Vortrag in den Blick genommen und dahin gewürdigt, dass eine Wiederholungsgefahr nicht bestehe4. Der Bundesfinanzhof sah hierin keinen Rechtsfehler:
Die Klägerin, eine österreichische GmbH, die an einer deutschen GmbH beteiligt ist, meint, dass eine Wiederholung des langjährigen Antragsverfahrens beim BZSt zur Erteilung von Freistellungsbescheinigungen drohe. Die Wiederholungsgefahr sei gegeben, weil dem BZSt wegen seiner Verfahrensführung eine (Mit-)Schuld am Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses vorzuhalten sei. In dem neuen Verfahren ziehe das BZSt abermals (anlasslos) in Zweifel, ob die Klägerin die Voraussetzungen einer eigenen wirtschaftlichen Tätigkeit im Sinne von § 50d Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 EStG a.F. erfülle.
Das Finanzgericht hat eine Wiederholungsgefahr mit der Erwägung verneint, dass das neue Antragsverfahren einen späteren Ausschüttungszeitpunkt betreffe und es im Zusammenhang mit der Überprüfung von Hinderungsgründen für die Erteilung einer vollständigen Freistellungsbescheinigung sowohl auf § 50d Abs. 3 EStG a.F. als auch auf die jeweils geltende Rechtslage, insbesondere auf § 43b Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 i.V.m. § 50d Abs. 3 EStG i.d.F. des Abzugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetzes (AbzStEntModG) vom 02.06.20215 ankomme. Aus dem Ablauf der Antragsbearbeitung durch das BZSt in den Jahren 2013 bis 2016 könne für die Bearbeitung im neuen Antragsverfahren zur Erteilung einer Freistellungsbescheinigung daher nicht zwingend auf eine abermalige Verschleppung des Verfahrens der Klägerin sowie den erneuten Wegfall des Rechtsschutzinteresses geschlossen werden6.
Diese Würdigung des Finanzgerichtes ist nicht zu beanstanden. Eine Wiederholungsgefahr ist zu verneinen, wenn im Vergleich zu dem erledigten Verpflichtungsbegehren eine wesentliche Veränderung der Sach- und Rechtslage eingetreten ist7. Hiervon ist das Finanzgericht bei der Vergleichsprüfung für das unzulässig gewordene Begehren auf Erteilung einer Freistellungsbescheinigung und das von der Klägerin angeführte weitere Antragsverfahren zu Recht ausgegangen. Dass von einer geänderten Rechtslage zur Beurteilung des Anspruchs der Klägerin in beiden Freistellungsbescheinigungsverfahren auszugehen ist, liegt auf der Hand. Nach dem EuGH, Urteil Deister Holding und Juhler Holding vom 20.12.2017 – C-504/16 und – C-613/16, EU:C:2017:1009, dem EuGH, Beschluss GS vom 14.06.2018 – C-440/17, EU:C:2018:437 sowie des BMF, Schreibens vom 04.04.20188 ist in dem neuen Antragsverfahren der Klägerin § 50d Abs. 3 EStG a.F. mit der Maßgabe anzuwenden, dass Satz 2 keine Anwendung findet. Zudem ist nach der Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung des Finanzgerichtes am 15.03.2023 auch § 43b Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 i.V.m. § 50d Abs. 3 EStG i.d.F. des AbzStEntModG im Wege einer Günstigerprüfung gemäß § 52 Abs. 47b EStG in allen offenen Fällen und damit auch in dem zum Zeitpunkt der Entscheidung des Finanzgerichtes noch schwebenden weiteren Freistellungsbescheinigungsverfahren der Klägerin anzuwenden.
Zudem kann die Klägerin dafür sorgen, dass die M-GmbH begleitend zu dem neuen Freistellungsbescheinigungsverfahren den verjährungsbedingten Wegfall des Vorbehalts der Nachprüfung gemäß § 168 i.V.m. § 164 Abs. 4 AO durch Änderungsanträge unterbindet. Auf diese Weise könnte das Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin auch für eine nach dem Einbehalt der Kapitalertragsteuer zu erteilende Freistellungsbescheinigung erhalten werden, um einen Erstattungsanspruch gemäß § 37 Abs. 2 Satz 1 AO9 geltend machen zu können. Auch diese verfahrensrechtlichen Handlungsoptionen sprechen aus Sicht des Bundesfinanzhofs gegen die Annahme einer Wiederholungsgefahr.
Bundesfinanzhof, Beschluss vom 22. Januar 2025 – VIII B 123/23
- BFH, Urteil vom 25.04.2018 – I R 59/15, BFHE 261, 406, BStBl II 2018, 624[↩]
- BFH, Urteil vom 04.11.2014 – I R 19/13, BFH/NV 2015, 333, Rz 9; zum zulässigen hilfsweisen Fortsetzungsfeststellungsantrag BFH, Urteil vom 16.04.1986 – I R 32/84, BFHE 147, 14, BStBl II 1986, 736, unter 2.a [Rz 19 f.][↩]
- BFH, Beschluss vom 19.04.2016 – II B 66/15, BFH/NV 2016, 1059, Rz 5; BFH, Urteile vom 29.07.2015 – X R 4/14, BFHE 251, 112, BStBl II 2016, 135, Rz 27, m.w.N.; vom 12.07.2022 – VIII R 8/19, BFHE 276, 555, Rz 21[↩]
- FG Köln, Urteil vom 15.03.2023 – 2 K 754/19[↩]
- BGBl I 2021, 1259[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 25.04.2018 – I R 59/15, BFHE 261, 406, BStBl II 2018, 624[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 07.04.1987 – IX R 41/86, BFH/NV 1987, 714, unter 2.a und b [Rz 13, 15]; Gräber/Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 100 Rz 89[↩]
- BStBl I 2018, 589[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 29.01.2015 – I R 11/13, BFH/NV 2015, 950 und die Ausführungen in BFH, Beschluss vom 22.01.2025 – VIII B 124/23[↩]