Die Anfertigung eines Urteilsentwurfs bereits vor mündlicher Verhandlung begründet keinen Verfahrensfehler.

Die Übermittlung des Urteils ca. eineinhalb Stunden nach dem Beginn der mündlichen Verhandlung ist kein Verfahrensverstoß. Selbst wenn die – nicht näher substantiierte – Behauptung zuträfe, zumindest ein Urteilsentwurf habe zu Beginn der mündlichen Verhandlung bereits vorgelegen, wäre dies ein rechtlich nicht zu beanstandendes Verfahren der Terminsvorbereitung und Urteilsfindung.
Es entspricht allgemeiner Übung, dass sich der Richter vor der mündlichen Verhandlung umfassend den gesamten Sach- und Streitstand erarbeitet und sich so in die Lage versetzt, dem gesetzlichen Gebot zu entsprechen, einen Rechtsstreit möglichst in einer mündlichen Verhandlung zu erledigen (§ 79 Abs. 1 Satz 1 FGO)1.
Dass dieses Vorgehen vielfach in einen Urteilsentwurf mündet, ist nicht nur ein Gebot rationeller Arbeitsweise, weil damit zugleich die Basis für die spätere Urteilsbegründung erarbeitet wird, es dient auch der Selbstkontrolle, weil auf diese Weise die Entscheidungserheblichkeit einzelner Punkte und die Entscheidungsreife des Falls besonders deutlich werden.
Schließlich dient dieses Verfahren typischerweise nur einer vorläufigen Standortbestimmung, die sich infolge anderer oder besserer späterer Erkenntnisse bei der endgültigen Überzeugungsbildung (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO) als korrekturbedürftig erweisen kann2, so dass in dieser Vorgehensweise keine Verletzung des Anspruchs der Beteiligten auf rechtliches Gehör gesehen werden kann3. Sie zeigt vielmehr, dass das Finanzgericht das Vorbringen der Beteiligten bis zur mündlichen Verhandlung sorgfältig zur Kenntnis genommen und verarbeitet hat4.
Bundesfinanzhof, Beschluss vom 20. August 2014 – VII B 32/14
- vgl. dazu näher: Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 79 Rz 1[↩]
- vgl. im Übrigen auch BVerfG, Entscheidung vom 17.03.1959 – 1 BvR 53/56, BVerfGE 9, 213, 215[↩]
- BFH, Beschluss vom 04.07.2006 – X B 4/06, BFH/NV 2006, 1867[↩]
- ausführlich BFH, Urteil vom 17.05.1995 – X R 55/94, BFHE 177, 344, BStBl II 1995, 604[↩]