Nach § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO erforscht das Finanzgericht den Sachverhalt von Amts wegen. Es hat ihn unter allen ernstlich in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen. Diese Pflicht beinhaltet zwar nicht, jeder fernliegenden Erwägung nachgehen zu müssen. Wohl aber muss das Finanzgericht die sich im Einzelfall aufdrängenden Überlegungen auch ohne entsprechenden Hinweis der Beteiligten anstellen und entsprechende Aufklärungsmaßnahmen treffen1.

Gemäß § 76 Abs. 1 Satz 5 AO ist das Finanzgericht an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden.
Das bedeutet jedoch nicht, dass das Finanzgericht frei entscheiden kann, ob es beantragte Beweise erhebt oder nicht. Verzichten kann das Finanzgericht auf eine beantragte Beweiserhebung im Regelfall nur dann, wenn das Beweismittel für die zu treffende Entscheidung unerheblich ist, wenn die in Frage stehende Tatsache zugunsten des Beweisführenden als wahr unterstellt werden kann oder wenn das Beweismittel unerreichbar, unzulässig oder untauglich ist2.
Unter Berücksichtigung dieser Rechtsgrundsätze liegen in dem hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Verfahren die von dem Kläger gerügten Verstöße gegen die Sachaufklärungspflicht des Finanzgerichts nicht vor:
Das Finanzgericht hat seine Entscheidung, von der Vernehmung der von dem Kläger benannten und in der Revisionsbegründung aufgeführten weiteren Zeugen abzusehen, in dem angefochtenen Urteil nachvollziehbar begründet; auf die dortigen Ausführungen wird Bezug genommen. Verfahrensfehler sind dem Finanzgericht dabei nicht unterlaufen.
Der darüber hinaus erhobene Vorwurf des Klägers, das Finanzgericht habe seine Sachaufklärungspflicht auch dadurch verletzt, dass es auf eine Vernehmung des „Kronzeugen“ Herrn C verzichtet habe, ist jedenfalls unbegründet. Auf die Mitteilung des Finanzgerichts hin, dass der als Zeuge benannte Herr C bereits aus der Haft entlassen worden sei und sich seither im Balkangebiet aufhalten solle, hat der Kläger selbst die Verwertung des Protokolls über die Zeugeneinvernahme in der Justizvollzugsanstalt beantragt. Ungeachtet dessen blieb eine weitere Anfrage des Finanzgerichts bei dem schriftsätzlich benannten früheren Rechtsanwalt des Zeugen ohne Ergebnis. Eine Ladung des Zeugen war somit nicht möglich. Der Zeuge war nicht erreichbar.
Das Finanzgericht hat auch keinen Verfahrensfehler dadurch begangen, dass es das Protokoll über die Vernehmung des – I vom 25.11.2009 zwar verwertet hat, aber nicht hat verlesen lassen. Denn im finanzgerichtlichen Verfahren ist es nicht erforderlich, Niederschriften über frühere Aussagen von Zeugen in der mündlichen Verhandlung zu verlesen3.
Bundesfinanzhof, Beschluss vom 28. Februar 2023 – VII R 29/18
- BFH, Beschluss vom 08.04.2022 – IX B 10/21, Rz 4[↩]
- ständige Rechtsprechung, vgl. BFH, Urteil vom 16.03.2022 – VIII R 24/19, BFHE 276, 127, BStBl II 2022, 450, Rz 22, m.w.N.; BFH, Beschlüsse vom 08.04.2022 – IX B 10/21, Rz 5; und vom 16.12.2016 – X B 41/16, Rz 16, m.w.N.; Gräber/Herbert, Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 76 Rz 31, m.w.N.[↩]
- vgl. BFH, Beschluss vom 27.11.2018 – V B 72/18, Rz 6, m.w.N.; s.a. Gräber/Herbert, Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 82 Rz 40, m.w.N.[↩]
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