Ein zulässiger Antrag auf Erhebung eines Zeugenbeweises setzt nicht stets die Angabe einer ladungsfähigen Anschrift des Zeugen voraus. Entscheidend ist vielmehr, dass der Zeuge individualisierbar ist; hierfür kann es genügen, wenn der Name des Zeugen sowie dessen Arbeitgeber angegeben wird.

Das prozessrechtliche Leitbild, den Rechtsstreit möglichst in einer einzigen mündlichen Verhandlung zu erledigen, rechtfertigt es nicht, erhebliche Beweisanträge abzulehnen, die erst in der mündlichen Verhandlung und nach einer Umstellung der Prozessstrategie eines Beteiligten gestellt werden.
Gemäß § 373 ZPO i.V.m. § 82 FGO wird der Zeugenbeweis durch die Benennung der Zeugen und die Bezeichnung der Tatsachen, über welche die Vernehmung der Zeugen stattfinden soll, angetreten. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts stellt die Benennung eines Zeugen auch ohne Angabe der ladungsfähigen Anschrift einen den Anforderungen des § 373 ZPO genügenden beachtlichen Beweisantritt dar, sofern der Zeuge individualisierbar ist [1].
Soweit das Bundesverfassungsgericht weiter ausführt, das Fehlen einer ladungsfähigen Anschrift sei als behebbares Hindernis anzusehen, das nur unter den Voraussetzungen des § 356 ZPO (erfolglose Fristsetzung zur Benennung der Anschrift) zur Nichtberücksichtigung des Beweisantritts führen dürfe, ist dies auf das finanzgerichtliche Verfahren zwar nicht übertragbar, weil § 82 FGO nicht auf § 356 ZPO verweist. Die Nichtanwendung des § 356 ZPO im finanzgerichtlichen Verfahren beruht indes darauf, dass die genannte Vorschrift Ausfluss des den Zivilprozess beherrschenden Dispositionsgrundsatzes ist, während im Verfahren nach der FGO der Grundsatz der Amtsermittlung gilt. Erforderlichenfalls kann daher auch das Finanzgericht selbst verpflichtet sein, Ermittlungen zur genauen Anschrift eines Zeugen anzustellen, vorausgesetzt, dieser ist bereits individualisierbar benannt.
Eine solche Pflicht hat der Bundesfinanzhof selbst dann bejaht, wenn der Zeuge ohne Angabe seines Namens, sondern nur durch Bezeichnung seines Arbeitgebers und seine dort ausgeübte Funktion benannt wird [2]. Ungeachtet der Bedenken des Finanzgericht muss der Bundesfinanzhof unter der Geltung einer Prozessordnung, die vom Amtsermittlungsgrundsatz beherrscht und von den verfassungsrechtlichen Grundsätzen des Anspruchs auf rechtliches Gehör und auf effektiven Rechtsschutz getragen wird, zu diesem Ergebnis kommen. In diesem Zusammenhang ist auch der Hinweis des Klägers zu berücksichtigen, dass ein Beteiligter, der mit einer als Zeuge in Betracht kommenden Person bisher nur in dessen Eigenschaft als Arbeitnehmer eines Geschäftspartners in Kontakt gekommen ist, oftmals gar nicht die Möglichkeit haben wird, im Beweisantrag mehr als den Namen und die Bezeichnung des Arbeitgebers des Zeugen anzugeben.
Nach diesen Grundsätzen war im hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall die Benennung des Zeugen D mit dessen vollständigem Namen und der Bezeichnung seines Arbeitgebers ausreichend. Der Zeuge war aufgrund dieser Angaben hinreichend individualisiert. Zwar hatte der Kläger die Anschrift des Arbeitgebers des Zeugen nicht mitgeteilt; da es sich aber um ein weltbekanntes Unternehmen handelte, wäre es für das Finanzgericht unschwer möglich gewesen, diese Anschrift zu ermitteln. Der Umstand, dass – so das Finanzgericht – nicht sicher feststand, ob der Zeuge auch im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung noch bei dem Arbeitgeber beschäftigt war, kann nicht dazu führen, den Beweisantrag abzulehnen, ohne auch nur den Versuch zu unternehmen, eine entsprechende Anfrage an den Arbeitgeber zu richten. Nur dann, wenn eine solche Anfrage erfolglos gewesen wäre und keine anderen zumutbaren Möglichkeiten zur Ermittlung der ladungsfähigen Anschrift des Zeugen zur Verfügung gestanden hätten, hätte der Beweisantrag wegen nicht ordnungsmäßiger Benennung des Zeugen abgelehnt werden dürfen.
Bei einer solchen Verfahrensgestaltung wäre auch die weitere Erwägung des Finanzgericht nicht zu beanstanden gewesen, den vom Kläger gestellten Vertagungsantrag unter Berufung auf dessen mangelnde Terminsvorbereitung (§ 227 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 ZPO) abzulehnen. Denn ein Beteiligter, der einen Zeugen erst in der mündlichen Verhandlung benennt, ohne eine ladungsfähige Anschrift anzugeben, trägt zumindest das Risiko, dass diejenigen Maßnahmen, die dem Finanzgericht noch während der mündlichen Verhandlung zur Ermittlung der Anschrift möglich sind, erfolglos bleiben, wenn weitere Maßnahmen aus Sicht des Finanzgericht nicht in Betracht kommen und daher eine Vertagung nicht schon von Amts wegen geboten ist.
Im Prozessrecht besteht ein Spannungsverhältnis zwischen einerseits dem an das Finanzgericht, nicht an die Beteiligten gerichteten- gesetzlichen Leitbild, den Rechtsstreit möglichst in einer (einzigen) mündlichen Verhandlung zu erledigen (§ 79 Abs. 1 Satz 1 FGO), und andererseits dem grundlegenden Verfahrensrecht der Beteiligten, Tatsachenvortrag und Beweisanträge bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in der einzigen ihnen eröffneten Tatsacheninstanz in das Verfahren einführen und die volle Einbeziehung der sich hieraus ergebenden Tatsachen in die Urteilsfindung erwarten zu dürfen (vgl. § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO: Entscheidung „aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens“; Art. 103 Abs. 1 GG: Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs vor Gericht). Dieses Spannungsverhältnis kann nach Ansicht des Bundesfinanzhofs aber nicht dahingehend aufgelöst werden, dass Beweisanträge, die nach einer Änderung des Sachvortrags erst in der mündlichen Verhandlung gestellt würden, abzulehnen seien [3].
Die Finanzgerichtsordnung stellt einem Tatrichter, der in besonderer Weise an der Erfüllung des gesetzlichen Leitbilds interessiert ist, den Rechtsstreit möglichst in einer (einzigen) mündlichen Verhandlung zu erledigen, u.a. das Mittel der Setzung von Präklusionsfristen nach § 79b FGO zur Verfügung. Dies setzt allerdings voraus, dass der Tatrichter frühzeitig vor der mündlichen Verhandlung den Prozessstoff ordnet, um den Beteiligten zielgerichtete Aufklärungsanordnungen zukommen lassen zu können. Denn die nach § 79b FGO gesetzte Frist muss, um die in § 79b Abs. 3 FGO vorgesehenen Rechtsfolgen auslösen zu können, angemessen sein [4]. Ferner wird – auch wenn dies im Tatbestand des § 79b FGO nicht ausdrücklich angeordnet ist – eine auf diese Vorschrift gestützte Fristsetzung angesichts des Verlusts grundlegender prozessualer Rechte, der mit einem ergebnislosen Fristablauf verbunden sein kann, im Regelfall voraussetzen, dass zuvor eine nicht präklusionsbewehrte „einfache“ Aufklärungsanordnung nach § 79 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 FGO ergangen und erfolglos geblieben ist [5].
Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass das finanzgerichtliche Verfahren vorrangig auf die Erforschung des Sachverhalts (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) gerichtet ist, nicht aber auf die Verkürzung des Verfahrens um jeden Preis.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 19. Oktober 2011 – X R 65/09
- BVerfG, Beschluss vom 26.10.1999 – 2 BvR 1292/96, NJW 2000, 945, unter II.01.b; ebenso BFH, Beschluss vom 30.05.2011 – XI B 90/10, BFH/NV 2011, 1479, unter 2.a[↩]
- BFH, Beschluss vom 30.04.2002 – X B 132/00, BFH/NV 2002, 1457[↩]
- vgl. hierzu bereits BFH, Beschluss vom 29.09.2008 – X B 203/07, BFH/NV 2008, 2049[↩]
- vgl. zur früheren Ausschlussfrist zur Vorlage einer Prozessvollmacht: BFH, Urteil vom 21.02.1980 – V R 7173/79, BFHE 130, 157, BStBl II 1980, 457[↩]
- vgl. auch BFH, Urteile vom 09.09.1998 – I R 31/98, BFHE 186, 511, BStBl II 1999, 26; und vom 10.06.1999 – IV R 23/98, BFHE 189, 3, BStBl II 1999, 664; Thürmer in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 79b FGO Rz 21, 100, Stand September 2009[↩]