Der Verzicht auf die mündliche Verhandlung kann nur ausnahmsweise widerrufen werden, wenn sich die Prozesslage nach Abgabe der Einverständniserklärung wesentlich geändert hat.

Auch soweit die Kläger in einem solchen Fall die Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 FGO) rügen und geltend machen, dass der Verzicht auf die mündliche Verhandlung auf die fehlerhafte Suggestion der wesentlichen Erfolgsaussichten der Klage zurückzuführen sei, führt dies nicht zur Zulassung der Revision.
Gemäß § 90 Abs. 1 Satz 1 FGO entscheidet das Finanzgericht in Urteilsverfahren aufgrund mündlicher Verhandlung. Nach § 90 Abs. 2 FGO kann das Finanzgericht mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden. Ein Verzicht auf die mündliche Verhandlung ist als Prozesshandlung nicht wegen Irrtums (auch über die Tragweite des Verzichts) anfechtbar und auch nicht frei widerrufbar1. Der Verzicht auf die mündliche Verhandlung kann daher nur ausnahmsweise widerrufen werden, wenn sich die Prozesslage nach Abgabe der Einverständniserklärung wesentlich geändert hat2. Ausnahmsweise kann eine Prozesserklärung darüber hinaus auch bereits unwirksam sein, wenn sie durch bewusste Täuschung, Drohung, durch eine bewusst falsche Auskunft oder mittels offensichtlich unzutreffender Erwägungen -insbesondere gegenüber rechtsunkundigen Personen- veranlasst worden war3.
Für das hier vom Bundesfinanzhof entschiedene Verfahren bedeutet dies:
Die auch im finanzgerichtlichen Verfahren rechtskundig beratenen Kläger haben weder dargelegt, dass sie aufgrund einer bewussten Täuschung, Drohung, aufgrund einer bewusst falschen Auskunft oder mittels offensichtlich unzutreffender Erwägungen auf die mündliche Verhandlung verzichteten, noch, dass sich die Prozesslage seit der Erklärung des Verzichts auf die mündliche Verhandlung wesentlich geändert hat.
Die Erklärung des Verzichts war nicht durch eine bewusste Täuschung, Drohung, durch eine bewusst falsche Auskunft oder mittels offensichtlich unzutreffender Erwägungen veranlasst. Denn jedenfalls erst im Anschluss an den Verzicht erfolgte das Telefonat mit dem Berichterstatter, in dem dieser -aus der Sicht der Kläger- falsche Angaben zu den Erfolgsaussichten der Klage gemacht haben soll.
Auch hat sich die Prozesslage seit dem Verzicht auf die mündliche Verhandlung nicht wesentlich geändert, so dass die Kläger den Verzicht auf die mündliche Verhandlung noch hätten widerrufen können. Es kann dabei dahinstehen bleiben, inwiefern der Berichterstatter -aus der Sicht der Kläger- fehlerhaft wesentliche Erfolgsaussichten der Klage suggerierte. Nach § 5 Abs. 3 FGO entscheidet der Bundesfinanzhof in der dort vorgesehenen Besetzung nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO). Deshalb sind Hinweise des Berichterstatters, denen sich eine bestimmte Rechtsauffassung beziehungsweise Einschätzung zu den Erfolgsaussichten entnehmen lässt, nicht bindend für die spätere Entscheidung des Bundesfinanzhofs4 und können mithin nicht zu einer wesentlichen Änderung der Prozesslage führen.
Bundesfinanzhof, Beschluss vom 21. Juni 2023 – IX B 58/22
- BFH, Beschluss vom 10.03.2011 – VI B 147/10, BFHE 232, 322, BStBl II 2011, 556, Rz 9, m.w.N.[↩]
- BFH, Beschluss vom 19.04.2016 – IX B 110/15, BFH/NV 2016, 1060, Rz 14, m.w.N.[↩]
- BFH, Beschluss vom 08.06.2004 – IV B 180/02, BFH/NV 2004, 1634, unter 1.[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 20.10.1981 – VIII R 152/80 unter 4.; BFH, Beschluss in BFH/NV 2004, 1634, unter 1.[↩]
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