Bei einem Wechsel des Prozessbevollmächtigten kann dem Kläger im Rahmen einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur das Verschulden des Prozessbevollmächtigten zugerechnet werden, der im Zeitpunkt des Ablaufs der Frist im Innenverhältnis zur Führung des Verfahrens rechtsgeschäftlich wirksam beauftragt ist. Ein Verschulden des früheren Prozessbevollmächtigten kann selbst dann nicht zugerechnet werden, wenn dessen Prozessvollmacht im Außenverhältnis gegenüber dem Gericht gemäß § 155 FGO i.V.m. § 87 Abs. 2 ZPO fortgilt1.

Wiedereinsetzung ist nach § 56 Abs. 1 FGO zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden an der Einhaltung einer gesetzlichen Frist gehindert war. Hiernach schließt jedes Verschulden -also auch einfache Fahrlässigkeit- die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus2. Der Beteiligte muss sich dabei grundsätzlich auch ein Verschulden seines Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen (§ 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO). Prozessbevollmächtigter im Sinne dieser Vorschrift ist der (im Innenverhältnis) rechtsgeschäftlich bestellte Vertreter, der für den Beteiligten in einem Rechtsstreit tätig werden soll3. Da § 85 Abs. 2 ZPO auf dem Gedanken beruht, dass der Beteiligte für seinen Bevollmächtigten als Person seines Vertrauens einzustehen hat4, muss sich der Beteiligte ein Verschulden nur von dem Bevollmächtigten zurechnen lassen, mit dem im Zeitpunkt der Pflichtverletzung im Innenverhältnis ein wirksamer Mandatsvertrag bestand. Wird das Mandatsverhältnis zwischen dem Beteiligten und seinem Bevollmächtigten beendet, besteht dieses Vertrauensverhältnis nicht mehr und eine Verschuldenszurechnung scheidet selbst dann aus, wenn die Prozessvollmacht im Außenverhältnis gemäß § 155 FGO i.V.m. § 87 Abs. 1 ZPO fortbesteht5. Hat ein Beteiligter mehrere Bevollmächtigte, haftet er für das Verschulden eines jeden von ihnen, solange die Vertretungszeit (im Innenverhältnis) läuft6.
Die Wiedereinsetzung in die Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde setzt ferner voraus, dass innerhalb eines Monats nach Wegfall des Hindernisses ein Wiedereinsetzungsantrag gestellt worden ist (§ 56 Abs. 2 Satz 1 FGO). Außerdem muss die versäumte Rechtshandlung innerhalb dieser Frist nachgeholt und die Tatsachen, die eine Wiedereinsetzung rechtfertigen können, müssen dargelegt und glaubhaft gemacht werden (§ 56 Abs. 2 Satz 2 und 3 FGO). Ist dies geschehen, so kann Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden (§ 56 Abs. 2 Satz 4 FGO). Nach Ablauf der Frist können wesentliche Lücken in der Darstellung nicht mehr geschlossen, sondern allenfalls ergänzende Erläuterungen gegeben werden7.
Maßgeblich für die Verschuldenszurechnung ist im Streitfall das Verhalten des im Zeitpunkt des Ablaufs der Beschwerdebegründungsfrist am 31.03.2023 vom Kläger im Innenverhältnis mandatierten Bevollmächtigten. Der Kläger hat hierzu vorgetragen, er habe vor Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist Rechtsanwalt X aus A mit der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde beauftragt. Rechtsanwalt X habe gegenüber dem Bundesfinanzhof mit Schreiben vom 23.03.2023 die Vertretung des Klägers in dem vorliegenden Beschwerdeverfahren angezeigt und die Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist um einen Monat beantragt.
Der beschließende Senat kann dahinstehen lassen, ob der Kläger die Bevollmächtigung von Rechtsanwalt X (im Innenverhältnis) hinreichend dargelegt und glaubhaft gemacht hat. Das Schreiben des Rechtsanwalts X vom 23.03.2023 ist dem Bundesfinanzhof lediglich durch die ursprüngliche und jetzige Verfahrensbevollmächtigte des Klägers als Anlage zu deren Schreiben vom 12.04.2023 zusammen mit einer an diese gerichtete E-Mail des Klägers vom 30.03.2023 übermittelt worden. Denn auch wenn Rechtsanwalt X, der in dem vorliegenden Verfahren zu keinem Zeitpunkt selbst einen Schriftsatz an den Bundesfinanzhof gerichtet hat, bei Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist im Innenverhältnis der (alleinige) Verfahrensbevollmächtigte des Klägers gewesen sein sollte, hat der Kläger nicht hinreichend dargelegt und glaubhaft gemacht, dass Rechtsanwalt X die Beschwerdebegründungsfrist ohne Verschulden fruchtlos verstreichen ließ. Eine diesbezügliche Darlegung und Glaubhaftmachung war insbesondere deshalb geboten, weil der Vorsitzende des beschließenden Bundesfinanzhofs dem Kläger mit Schreiben vom 13.04.2023 mitgeteilt hat, dass das Schreiben des Rechtsanwalts X dem Bundesfinanzhof nur als Anlage K2 zum Schreiben der ursprünglichen und jetzigen Verfahrensbevollmächtigten vom 12.04.2023 vorliege und auch kein elektronischer Eingang sichtbar sei.
Der Kläger hat vielmehr ausschließlich Gründe vorgetragen, die eine unverschuldete Fristversäumnis der ursprünglichen und jetzigen Verfahrensbevollmächtigten belegen sollen. Hierzu wurde insbesondere vorgetragen, diese sei davon ausgegangen, dass sie im Zeitpunkt des Ablaufs der Beschwerdebegründungsfrist weder im Innen- noch im Außenverhältnis zur Führung des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens berechtigt und verpflichtet gewesen sei. Denn der Kläger habe das mit ihr geschlossene Mandatsverhältnis vor Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist beendet und ihr auch die Abschrift eines Schreibens des neu mandatierten Rechtsanwalts X vom 23.03.2023 übermittelt, in welchem dieser gegenüber dem Bundesfinanzhof seine Bevollmächtigung angezeigt und die Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist beantragt habe.
Selbst wenn der Bundesfinanzhof zugunsten des Klägers davon ausgehen würde, dass die Beendigung des Mandatsverhältnisses der Verfahrensbevollmächtigten zum Zeitpunkt des Ablaufs der Beschwerdebegründungsfrist (im Innenverhältnis) hinreichend dargelegt und glaubhaft gemacht wurde, vermag dies die Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist nicht zu entschuldigen. Zwar wäre dem Kläger in diesem Fall ein etwaiges Verschulden seiner ursprünglichen und jetzigen Verfahrensbevollmächtigten -auch aus nachwirkenden Schutzpflichten8- nicht gemäß § 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen. Dies vermag aber nichts daran zu ändern, dass der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand jedenfalls die fehlende Darlegung und Glaubhaftmachung der schuldlosen Säumnis im Übrigen -insbesondere in Bezug auf ein etwaiges Verschulden des Rechtsanwalts X- entgegensteht.
Bundesfinanzhof, Beschluss vom 2. Februar 2024 – VI B 13/23
- s. BFH, Urteil vom 21.03.2002 – VII R 7/01, BFHE 198, 36, BStBl II 2002, 426[↩]
- BFH, Beschluss vom 26.02.2014 – IX R 41/13, Rz 10 und BFH, Beschluss vom 01.09.2022 – VI R 8/22, Rz 13[↩]
- Zöller/Althammer, ZPO, 35. Aufl., § 85 Rz 16[↩]
- s. BFH, Urteil vom 21.03.2002 – VII R 7/01, BFHE 198, 36, BStBl II 2002, 426, unter II. 2.a; BGH, Beschlüsse vom 28.03.1989 – VI ZB 9/89, – VI ZB 10/89, unter II. 2.b aa; und vom 11.06.2008 – XII ZB 184/07, NJW 2008, 2713, unter III. 3.a; Zöller/Althammer, ZPO, 35. Aufl., § 85 Rz 24, jeweils m.w.N.[↩]
- BFH, Urteil vom 21.03.2002 – VII R 7/01, BFHE 198, 36, BStBl II 2002, 426, unter II. 2.a; BGH, Beschluss vom 11.06.2008 – XII ZB 184/07, NJW 2008, 2713, unter III. 3.a; BVerwG, Beschluss vom 05.05.1999 – 4 B 35.99, NVwZ 2000, 65, unter I.1; und BSG, Beschluss vom 17.05.2000 – B 7 AL 16/00 B[↩]
- s. BGH, Beschluss vom 11.06.2008 – XII ZB 184/07, NJW 2008, 2713, unter III. 3.a[↩]
- BFH, Urteil vom 27.09.2001 – X R 66/99, BFH/NV 2002, 358, unter II. 1., m.w.N.[↩]
- s. dazu BGH, Beschluss vom 11.06.2008 – XII ZB 184/07, NJW 2008, 2713, unter III. 3.a, m.w.N.[↩]