Liegen infolge eines fehlgeschlagenen Zustellversuchs konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass die angegebene Adresse keine Anschrift ist, an die das Gericht förmliche Zustellungen bewirken kann, ist der Kläger gegebenenfalls zu einer Glaubhaftmachung seiner Angaben verpflichtet, damit die Klage den Anforderungen des § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO genügt.

Es stellt zwar grundsätzlich einen Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO i.V.m. § 119 Nr. 3 FGO dar, wenn ein Finanzgericht § 65 Abs. 2 Satz 2 FGO fehlerhaft anwendet und die Klage deshalb durch Prozessurteil als unzulässig abweist, ohne sich mit dem klägerischen Vortrag in der Sache befasst zu haben [1]. Im hier entschiedenen Streitfall hat das Finanzgericht die Vorschrift jedoch zutreffend angewandt und die Klage zu Recht durch Prozessurteil abgewiesen:
Nach § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO muss die Klage u.a. den Kläger bezeichnen. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH gehört dazu bei natürlichen Personen ‑vorbehaltlich besonderer Umstände, die dies unzumutbar machen (etwa Obdachlosigkeit [2] oder drohende Verhaftung [3])- die Angabe der tatsächlichen Wohnanschrift, an die das Gericht förmliche Zustellungen bewirken kann und die mitunter auch als „ladungsfähige Anschrift“ bezeichnet wird [4].
Die Notwendigkeit, bei natürlichen Personen eine Wohnung anzugeben, ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass die Ersatzzustellung nach § 178 ZPO durch Übergabe des Schriftstücks an eine dritte Person, die Ersatzzustellung nach § 180 ZPO durch Einlegen in den Briefkasten und die Ersatzzustellung durch Niederlegung nach § 181 ZPO das Vorhandensein einer Wohnung voraussetzen. Soweit es an der Angabe einer Wohnanschrift fehlt, liegt keine „Anschrift, an die das Gericht förmliche Zustellungen bewirken kann“, bzw. keine „ladungsfähige Anschrift“ vor; das Vorhalten eines Briefkastens genügt nicht [5].
Dies gilt auch dann, wenn der Kläger durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten wird [6].
Die Anwendung dieser Rechtsgrundsätze war für den Bundesfinanzhof im hier entschiedenen Streitfall nicht zu beanstanden: Nachdem die von dem Finanzgericht an die Klägerin an die von ihr nach wiederholten Anfragen des Finanzgericht angegebene Adresse „[…]“ versandte Post am 27.12.2018 als unzustellbar zurückgekommen war, konnte das Finanzgericht davon ausgehen, dass die Adresse unzutreffend oder zumindest unvollständig war. Das Finanzgericht konnte daher der Klägerin nach pflichtgemäßem Ermessen am 02.01.2019 eine Ausschlussfrist zur Beibringung der Anschrift setzen.
Aus dem Beschluss des Bundesfinanzhofs vom 13.03.2003 [7], in dem der Bundesfinanzhof einen zweiten Zustellversuch verlangt hat, folgt nichts anderes. Dort ging es nicht um die Frage, ob das Finanzgericht berechtigt ist, nach einem gescheiterten Zustellversuch weitere Aufklärung zu verlangen, sondern um die Frage, ob das Finanzgericht dann das Verfahren sogleich durch öffentliche Zustellung der Entscheidung beenden darf, obwohl sich die Adresse in der Vergangenheit als zutreffend erwiesen hatte.
m Streitfall hingegen hatte sich die Adresse nie als zutreffend erwiesen. Das Finanzgericht hat das Verfahren auch nicht sogleich durch öffentliche Zustellung einer Entscheidung beendet. Es hat die Klägerin vielmehr durch Zustellung eines entsprechenden Schreibens an ihre Prozessbevollmächtigte über den misslungenen Zustellversuch unterrichtet und ihr aufgegeben, eine zutreffende Adresse anzugeben. Da der Wohnort der Klägerin den zu ihrem Wahrnehmungsbereich gehörenden Verhältnissen zuzurechnen ist, war sie nach dem Rechtsgedanken des § 138 Abs. 2 ZPO im Rahmen der sekundären Darlegungslast zu einer Korrektur bzw. zu einer Ergänzung oder gegebenenfalls auch zu einer Glaubhaftmachung ihrer Angaben (durch Vorlage einer Meldebescheinigung, einer Ausweiskopie, von Strom- oder Wasserrechnungen, welche sie unter der Adresse erreicht haben, o.Ä.) verpflichtet, nachdem infolge des Rücklaufs des finanzgerichtlichen Schreibens konkrete Anhaltspunkte dafür vorlagen, dass die von ihr angegebene Adresse unzutreffend oder unvollständig war [8].
Innerhalb der ihr gesetzten Frist hat die Klägerin die Anschrift jedoch weder korrigiert noch ergänzt. Sie hat auch nichts unternommen, um dem Anschein entgegenzuwirken, dass die Adresse unvollständig oder unzutreffend ist bzw. um glaubhaft zu machen, dass der konkrete Rücklauf lediglich auf einem Versehen des Postbeamten beruhte. Im Gegenteil hat sie vorgetragen, dass die von ihr abgelehnten Richter nicht befugt seien, Post an die von ihr genannte Adresse zu richten, und dass sie zwischenzeitlich „dauerhaft unterwegs“ gewesen und ‑so sinngemäß- deshalb eine Postzustellung unter der von ihr angegebenen Anschrift schwierig gewesen sei. Vor diesem Hintergrund konnte das Finanzgericht davon ausgehen, dass die von der Klägerin angegebene Adresse nicht ihre (vollständige) zustellungsfähige, tatsächliche Wohnanschrift ist. Eines zweiten Zustellversuchs bedurfte es daher nicht.
Gewichtige Umstände, wonach die Klägerin nicht verpflichtet gewesen wäre, ihre tatsächliche Wohnanschrift anzugeben, hat sie nicht glaubhaft gemacht. Die Behauptung, dass „gegenüber der Klägerin Auskunftssperre gemäß § 51 des Bundesmeldegesetzes aus vorab hier nicht näher vorzutragenden Gründen vorliegt“, hat sich nicht bestätigt. Ob das Finanzgericht eine frühere Adresse der Klägerin kannte, ist ohne Belang, denn erforderlich ist bei natürlichen Personen die Offenbarung der aktuellen tatsächlichen Wohnanschrift, an die förmliche Zustellungen bewirkt werden können.
Nach dem ergebnislosen Ablauf der Ausschlussfrist ist die Klage somit unzulässig geworden [9].
Bundesfinanzhof, Beschluss vom 21. Oktober 2020 – VII B 119/19
- vgl. BFH, Beschlüsse vom 17.11.2003 – XI B 213/01, BFH/NV 2004, 514; und vom 22.02.2005 – III S 17/04 (PKH), BFH/NV 2005, 1124[↩]
- vgl. BFH, Beschluss vom 29.01.2018 – X B 122/17, BFH/NV 2018, 630, Rz 23 ff.[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 19.10.2000 – IV R 25/00, BFHE 193, 52, BStBl II 2001, 112[↩]
- vgl. etwa BFH, Beschluss in BFH/NV 2018, 630, Rz 23 ff.[↩]
- vgl. BFH, Beschluss in BFH/NV 2018, 630, Rz 25[↩]
- vgl. etwa BFH, Beschlüsse in BFH/NV 2018, 630, Rz 23; und vom 30.06.2015 – X B 28/15, BFH/NV 2015, 1423, Rz 11, m.w.N.[↩]
- BFH, Beschluss vom 13.03.2003 – VII B 196/02, BFHE 201, 425, BStBl II 2003, 609[↩]
- zu diesem Rechtsgedanken vgl. etwa BGH, Urteil vom 20.10.2005 – IX ZR 276/02, NJW-RR 2006, 552, unter III. 2.a[↩]
- vgl. BFH, Beschluss in BFH/NV 2015, 1423[↩]
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