Die finanzgerichtliche Entscheidung leidet an einem Verfahrensfehler, wenn das Finanzgericht über Bescheide entschieden hat, die zum Zeitpunkt der Vorentscheidung durch den Erlass neuer Änderungsbescheide überholt und nicht mehr existent waren. Darin liegt ein im Revisionsverfahren von Amts wegen zu berücksichtigender Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens1.

So auch in dem hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall: Das Finanzgericht hat in seinem Urteil lediglich auf die Änderungsbescheide vom 15.11.2011; und vom 31.10.2014 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 05.06.2015 Bezug genommen. Während des finanzgerichtlichen Verfahrens sind aber am 28.06.2016 weitere Änderungsbescheide ergangen. Obwohl die Klägerin ihren Klageantrag nicht entsprechend angepasst und das Finanzgericht zu den neuen Bescheiden keine Information i.S. des § 68 Satz 3 FGO erhalten hatte, waren zum Zeitpunkt der Vorentscheidung ausschließlich diese neuen Änderungsbescheide vom 28.06.2016 Gegenstand des Klageverfahrens (§ 68 Satz 1 FGO).
Der Bundesfinanzhof konnte im Streitfall nicht ausnahmsweise davon absehen, die Vorentscheidung aufgrund dieses Verfahrensfehlers aufzuheben und die Sache an das Finanzgericht zurückzuverweisen:
Im Streitfall sind die hierfür zu beachtenden Voraussetzungen nicht erfüllt. Diese erfordern2, dass mit den unberücksichtigt gebliebenen Änderungsbescheiden keine neuen Streitpunkte in das Verfahren eingeführt wurden und das Finanzgericht in Unkenntnis oder unter versehentlicher Außerachtlassung dieser Änderungsbescheide entschieden hat. In diesem Fall wäre die Zurückverweisung eine reine Förmlichkeit, die dem Sinn und Zweck des § 68 Satz 1 FGO widerspräche, das Verfahren trotz Ergehens eines Änderungsbescheids aus prozessökonomischen Gründen fortsetzen zu können. Mit den Änderungsbescheiden vom 28.06.2016 ist jedoch ein neuer Streitpunkt in das Verfahren eingeführt worden.
Da die Änderungsbescheide vom 28.06.2016 zu Gunsten der Klägerin ergangen sind, würde eine Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückverweisung der Sache an das Finanzgericht darüber hinaus dann ausnahmsweise ausscheiden, wenn die Revision der Klägerin insgesamt materiell unbegründet wäre. Auch in diesem Fall wären Aufhebung und Zurückverweisung an das Finanzgericht eine reine Förmlichkeit, da das Finanzgericht wegen des Verböserungsverbots i.S. des § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO gehindert wäre, über den neuen Streitpunkt der Anwendung des § 8b Abs. 5 Satz 1 KStG auf französische Dividenden zu Ungunsten der Klägerin zu entscheiden. Die Revision der Klägerin ist aber materiell (teilweise) begründet. Dies hat zur Folge, dass das Finanzgericht eine etwaige, für die Klägerin ungünstige Änderung im Zusammenhang mit der Anwendung des § 8b Abs. 5 Satz 1 KStG auf französische Dividenden mit denjenigen Änderungen zu saldieren hätte, die infolge des Revisionsbegehrens zu Gunsten der Klägerin vorzunehmen sind3.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 14. August 2019 – I R 44/17