Hat ein Kläger keinen ausdrücklichen Sachantrag gestellt, muss das Finanzgericht sein Klagebegehren anhand seines Vorbringens ermitteln.

So hat das Finanzgericht Baden-Württemberg im hier entschiedenen Fall im Ergebnis zu Recht den Klageantrag der Klägerin rechtsschutzgewährend dahin ausgelegt, dass sie (auch) beantragt -wie nun ausdrücklich auch im Revisionsverfahren-, den Gewinnfeststellungsbescheid 2015 vom 20.02.2017 dahin zu ändern, dass der laufende Gesamthandsverlust um 144.000 € höher festgestellt wird1:
In der mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht hatte die Klägerin lediglich beantragt, das Verfahren nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG auszusetzen und eine Entscheidung des BVerfG einzuholen, ob § 15 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 4 Abs. 1 und Abs. 3, § 5 Abs. 1 EStG mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar und nichtig ist, soweit „er“ bargeldintensive Gewerbebetriebe, insbesondere der Gastronomie, betrifft. Bei diesem Antrag handelt es sich jedoch nicht um einen Sachantrag, über den das Finanzgericht befinden muss, sondern lediglich um eine Anregung an das Gericht2. Ob das Finanzgericht sein Verfahren aussetzen und nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG dem BVerfG die Frage der Verfassungswidrigkeit einer Norm zur Prüfung vorlegen muss, richtet sich allein danach, ob das Finanzgericht davon überzeugt ist, dass eine seiner Ansicht nach für den Streitfall entscheidungserhebliche Norm verfassungswidrig ist.
Hat ein Kläger keinen ausdrücklichen Sachantrag gestellt, muss das Finanzgericht sein Klagebegehren anhand seines Vorbringens ermitteln.
Die Klägerin begehrt die Feststellung eines strukturellen Vollzugsdefizits. Ungeachtet der Tatsache, dass auch diese Feststellung (was auch die Klägerin nicht bestreitet) allein dem BVerfG vorbehalten ist, ist das Finanzgericht im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass eine solche Feststellungsklage unzulässig wäre. Dies ergibt sich bereits daraus, dass sie nicht, wie dies nach § 41 Abs. 1 FGO erforderlich wäre, auf das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses gerichtet wäre, sondern auf die Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer Norm. Zudem wäre sie, worauf das Finanzgericht zu Recht hingewiesen hat, auch deshalb unzulässig, weil der Klägerin zur Erreichung ihres Ziels vorrangig die Anfechtungsklage zur Verfügung steht. Denn letztlich begehrt die Klägerin, so gestellt zu werden wie sie stünde, wenn das von ihr behauptete Vollzugsdefizit tatsächlich gegeben wäre. Für diesen Fall geht sie davon aus, dass dann ihr laufender Gesamthandsgewinn (mindestens) um den Betrag von 144.000 € zu mindern sei, sich der bislang im Gewinnfeststellungsbescheid festgestellte laufende Gesamthandsverlust also entsprechend erhöhte. Insoweit hat das Finanzgericht im Ergebnis zu Recht ihr Klagebegehren als Anfechtungsklage gegen den Gewinnfeststellungsbescheid 2015 ausgelegt und nur diese Klageart für statthaft gehalten.
Ausgehend von den dargestellten Grundsätzen widerspricht das Urteil des Finanzgericht daher, anders als die Klägerin meint, nicht rechtsstaatlichen Grundsätzen, wenn es einerseits die von der Klägerin in erster Linie begehrte Feststellungsklage im Hinblick auf § 41 Abs. 2 FGO für unzulässig hält, die seiner Ansicht nach vorrangige Anfechtungsklage dann aber (auch) mit der Begründung als unbegründet abweist, dass die Klägerin keinen Anspruch auf „Gleichheit im Unrecht“ habe. Insoweit übersieht die Klägerin zum einen, dass die von ihr für statthaft gehaltene Feststellungsklage in jedem Fall bereits unzulässig gewesen wäre, und zudem, dass das Finanzgericht im Rahmen der Anfechtungsklage -wie von der Klägerin begehrt- geprüft hat, ob das nach Ansicht der Klägerin gegebene Vollzugsdefizit besteht.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 16. September 2021 – IV R 34/18
- FG Baden-Württemberg, Urteil vom 12.06.2018 – 8 K 501/17[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 01.04.1981 – I R 27/79, BFHE 133, 386, BStBl II 1981, 660, unter IV. [Rz 24][↩]
Bildnachweis:
- Finanzgericht und Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg: Bubo | CC BY-SA 3.0 Unported